Mir lag nur sein Glück am Herzen. Und erst als er mich überzeugt hatte, dass ich wirklich sein Glück bedeutete, ging ich nach Mürzzuschlag zurück – fest entschlossen, unter allen Umständen die Gattin des heißgeliebten Mannes zu werden. Ich wollte alles tun, was eine liebende Frau nur ersinnen kann, um meinen Auserwählten glücklich zu machen. Nach meiner Rückkehr nagte aber eine innere Unruhe an uns beiden. Um diesem qualvollen Zustand ein Ende zu bereiten, aber auch aus Angst, dass mich diese Quälereien ermüden könnten, ging er dann schließlich zum Pfarrer in Mürzzuschlag und holte sich dort Rat. Auch er selbst hatte aufgrund des Geredes im Ort keine Ruhe, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Er war neu in seinem Amte und wusste: Wenn er seinen Aufgaben nicht gewachsen war, würde er diese Anstellung verlieren, die ihm und seiner Familie das hohe Ansehen brachte.
Das alles sah ich und konnte nichts ändern. So befürwortete ich seinen Schritt, sich dem hiesigen Pfarrer anzuvertrauen. Der Pfarrer riet zu schleuniger Hochzeit und wollte mich sehen. Mein Herzensschatz bat mich, auf keinen Fall über mein bitteres Schicksal zu sprechen, denn der hochwürdige Mann mit dem niedrigen Horizont würde es nicht verstehen. So erzählte ich dem Pfarrer also nur, dass ich eine geschiedene Frau und noch nicht frei sei. Dass meine Dokumente bei einem Prozess gebraucht würden und nicht zu meiner Verfügung stünden. Auf seine Frage, ob mein ehemaliger Gatte noch am Leben sei, erwiderte ich, dass ich nichts von ihm wisse. Für mich sei er nicht mehr auf der Welt. Auch sagte ich dem Pfarrer, dass, wenn er mich, weil ich eine geschiedene Frau sei, nicht trauen könne, wir auf andere Art zum Ziele kommen würden. Er jedoch meinte, das sei für ihn kein Hindernis. Daraufhin bat Franz den Pfarrer, ein feierliches Eheverlöbnis in der Kirche von Mürzzuschlag vorzunehmen, er werde danach beruhigt sein. Am 15. Juli fand dieses Eheverlöbnis in der geschlossenen Kirche statt. Du kannst dir vorstellen, dass ich auf diese Lösung nur deshalb eingegangen bin, weil ich hoffte, dass nun endlich Ruhe in unsere Beziehung einkehre. Aber meinem Franz reichte das Eheverlöbnis nicht. Nach geraumer Zeit erklärte er mir, es müsse auf schnellstem Wege etwas gefunden werden, das es uns ermögliche, vor der ganzen Welt als Ehepaar zusammenzuleben und nicht nur unter dem pöbelhaften Volk in Mürzzuschlag. Er schrieb an meinen Anwalt in Trier, der den Scheidungsprozess führte, dass ich geneigt sei, alle Schuld auf mich zu nehmen, dass er ihm sogar ein Extrahonorar geben wolle, wenn er die Scheidung beschleunige, denn der Pfarrer warte bereits auf meine Dokumente. Außerdem werde er zwei Wochen Urlaub bekommen, nachdem der Kaiser mit dem Zaren zur Jagd in Mürzsteg gewesen sei, und plane in dieser Zeit die Hochzeitsreise. Ich war schockiert, doch dem nicht genug. Um den Quälereien seiner Eltern zu entkommen, teilte er ihnen unsere bevorstehende Hochzeit mit und dass ich 300.000 Kronen für ihn deponiert habe. Seine Mutter wollte ja nur das viele Geld. Dann ging er zum Pfarrer, der ihm versprach, ein Eheverlöbnis in Form einer richtigen Hochzeit vorzunehmen. Er zeigte mir ein Dokument, das folgenden Wortlaut hatte: „Um der Braut des Herrn Bezirkshauptmannes zu ermöglichen, unter dem Schutze ihres zukünftigen Gatten vor den Verleumdungen und Anfeindungen eine Zuflucht zu finden, nehme ich in Form einer Hochzeit ein feierliches Eheverlöbnis vor. Doch hat diese Ehe vor dem Gesetze keine Gültigkeit!“ Dieses Schriftstück schrieb der Pfarrer, stempelte es und versah es mit dem Kirchensiegel. Nach der Hochzeit sei das Schreiben von den Trauzeugen zu unterfertigen und außer uns und den beiden Herren würde ja niemand davon erfahren. Erst nach einer tatsächlich rechtmäßigen Trauung sollten die Daten ins Kirchenbuch eingetragen werden. Mein Mann gab dafür 600 Kronen! Meine Scheidungspapiere waren zu dieser Zeit noch immer nicht in Mürzzuschlag eingelangt. Dem Bürgermeister musste er ebenfalls ein paar Hundert Kronen zustecken, damit er keine Schwierigkeiten betreffend gewisser Unstimmigkeiten zur Formalität machen konnte. Zu meinem Franz, der selig war, sagte ich: „Du bist ja der Hüter des Gesetzes und musst wissen, ob das angeht, was ihr da vorhabt!“
Ohne mein Wissen erteilte mein Verlobter Dispens vom dreimaligen Aufgebot und die Hochzeit legte er für den 9. August 1903 fest, es sollte eine Überraschung für mich sein. Erst eine Woche vor dem Hochzeitstermin, als er sein Ziel unmittelbar vor Augen hatte, wurde er ruhiger und erzählte mir alles. Du kannst dir sicherlich vorstellen, wie verwundert ich war, doch er beruhigte mich: „Die Hochzeit ist ein gutes Zeichen, sagen die Leute, und alle freuen sich für uns!“ Die wenigen Tage vergingen wie ein süßer Rausch, wir zählten die Stunden, machten Pläne, richteten im Geiste die Wohnung ein und lebten in heller Glückseligkeit. Und dann kam der große Tag, der uns die Erfüllung unserer heißesten Wünsche brachte. Ein Sommertag voll Sonnenschein und Blumenduft. Die kirchliche Feier war wundervoll. Wie kann ein Mensch dankbareren Herzens zu seinem Schöpfer gebetet haben als wir vor dem Altar? Nach der Zeremonie hielten wir uns umschlungen, als könnten wir uns nicht mehr aus den Armen lassen. Mein Gesicht war von seinen Freudentränen benetzt, wir fanden nur mit großer Mühe unsere Fassung wieder, um die Glückwünsche der Gäste in Empfang zu nehmen. Das Diner im Hofwartesalon des Bahnhofs war ausgezeichnet und die Stimmung, dank des sehr reichlichen Sektgenusses, eine ungemein fröhliche. Nur die Familie meines Mannes stimmte nicht ein in die allgemeine Fröhlichkeit. Meine Schwägerin war wütend, dass sie neben dem Bürgermeister sitzen musste und „nicht standesgemäß“ platziert war. Der Herr Bürgermeister erzählte so ausgiebig, wie er schwitzte. Am Abend fuhren wir dann nach Wien, ein Teil der Hochzeitsgesellschaft gab uns bis zum Semmering Geleit. Still saßen wir nebeneinander, mein Mann hatte mich fest in seinen Arm genommen. Wir sprachen beide kein Wort. Nach den Kämpfen der letzten Zeit umfing uns jetzt die wohlige Gewissheit: Nun gehörten wir zusammen. Dankerfüllten Herzens genossen wir dieses Glück. Nur ab und zu stammelte mein Franz: „Mein Märchen, du mein süßes Frauerl, jetzt bist du mein!“ Und nun stell dir vor: Unterwegs bemerkte mein Mann, dass er sein gesamtes Gepäck vergessen hatte! So stieg er aus, um zu telegrafieren, und in seiner großen Nervosität vergaß er wohl, zur rechten Zeit wieder in den Zug einzusteigen. Ja, so war er! Der Zug fuhr ohne ihn ab und erst in Wiener Neustadt trafen wir uns nach einigen Stunden wieder. Wir hielten uns etliche Tage hier in Wien auf und fuhren anschließend weiter nach Ungarn zu Verwandten meines Mannes, lieben, prächtigen Menschen, denen ich in meinem Herzen stets ein warmes Andenken bewahren werde. Sie verstanden meine Antipathie gegen meine Schiegermutter und erzählten mir Geschichten aus dem Leben dieser Frau. Ich könnte dir hässliche Sachen erzählen, aber ich mag nicht weiter im Schmutz wühlen. Wie bitte? … Warum ich mich dann mit dieser furchtbaren Frau geeinigt habe? … Oh Gott, das ist eine eigene Geschichte und für diese ist es heute wohl zu spät, meine Liebe, du entschuldigst. Gut, eine Frage noch! … Warum ich diese fünfte Ehe eingegangen bin? In erster Linie aus Liebe, denn die wahre Liebe lernte ich mit meinem Franz kennen und deshalb war diese Liebe, die sich unbewusst in meinem Herzen aufgespeichert hatte, so intensiv, so elementar. Es gibt aber auch, außer der Liebe, einen anderen zwingenden Grund – das heißt, für mich gab es ihn. Nämlich die Hilflosigkeit eines Mannes. In mir ist ein starker Hang zur Opferfreudigkeit. Sie hat mir, bis ich die Liebe kennenlernte, diese ersetzt. Das schöne, starke Gefühl erfüllter Pflicht ist beinahe Glück! Hätte man meinen Mann und mich zusammengelassen, es wäre mit jedem Tage ein vollkommeneres Glück geworden. Ich hätte diesen Mann meiner ersten, herrlichen Liebe hinaufgetragen zum höchsten moralischen Fühlen. Doch leider, diese glühende, verlangende Liebe und das schrankenlose Sich-Hingeben konnten keinen Bestand haben. Frevelnde Hände wühlten in unserem Heiligtum und ich habe nicht im Geringsten daran gedacht, dass ich beneidet werden könnte. Mir ist dieses Gefühl so fremd, ich hatte auch gar keine Zeit, an Böses zu denken in dieser wonnigen Zeit. Oh herrliche, süße Zeit. Worte vermögen unser Glück nicht zu schildern. Die Hochzeitsreise endete in Tatrafüred und die Natur stimmte uns auch so freudig, wir machten ganz allein herrliche Spaziergänge am See. Ich denke an die Abende auf unserem Balkon, dieses ganze wonnige Liebesleben mit seinen tausend so nichtssagenden Geheimnissen, die alle so süß sind. Oh Gott, jetzt, wo ich in Erinnerung an die wundervolle Hochzeit mit meinem Franz schwelge, werde ich ganz sentimental, entschuldige. Ich muss mir die Nase putzen. Siehst du, wie meine Hände zittern? Ob das irgendwann vergehen wird? … Ich denke nicht. Wie du siehst, bin ich eine von ihrem schweren Schicksal gezeichnete Frau.
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