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19. November 1957: Gegendemonstration vor dem Bozner Siegesdenkmal wider die Kundgebung von Sigmundskron
A morte! – Zum Tode!
Porci! – Schweine!
Fuori oltre il Brennero! – Hinaus über den Brenner!
Auf dieser Höhenstufe stand auch die Rede des Bozner MSI-Führers Andrea Mitolo. „Die Südtiroler“, verkündete er, „werden als Nazi geboren und bleiben Nazi, denn sie sind von Natur aus Nazi!“ 58Dies alles waren italienische Beiträge zur politischen Kultur im Lande.
Jedoch die Vorgänge auf Sigmundskron und die Nachklänge zu Sigmundskron versetzten nicht nur die Italiener in Erregung. Sie lösten auch innerhalb der SVP ein Nachbeben aus. Josef Raffeiner gab im Senat am 26. November 1957 eine Erklärung ab, die mit der Linie der Partei nicht mehr im Einklang stand: 59
Ich fühle mich für meine Person zur Feststellung verpflichtet, daß ich den Dynamitanschlag, durch welchen am vergangenen Freitag das Grabmal des Senators Ettore Tolomei in dem kleinen Friedhof von Montan, an der Fleimstaler Straße, zerstört wurde, bedauere. Nicht weniger bedauere ich die Beleidigungen, die dem nationalen Gefühl der Italiener von unverantwortlichen Elementen mit feindseligen Rufen und einem Flugblatt anläßlich der Kundgebung unseres Volkes in Sigmundskron zugefügt wurden. Ich glaube, daß mein Freund und Kollege Braitenberg, der nicht im Saale anwesend ist und mit welchem ich über diesen Gegenstand nicht sprechen konnte, mit mir in dieser meiner Verurteilung und meinem Bedauern eines Sinnes ist. Ich will für den Augenblick nichts weiteres hinzufügen.
Kein Wort über Sinn und Zweck der Kundgebung von Sigmundskron, kein Wort über die Ausschreitungen der Italiener in Bozen. Von Braitenberg schloss sich dann in der Tat der Erklärung Raffeiners an.
Die Dolomiten meinten, die Südtiroler würden es begrüßen, wenn Senator Raffeiner seinen Kollegen im Senat und den Mitgliedern der Regierung auch den übrigen Inhalt der Entschließung der Landesleitung der Südtiroler Volkspartei zur Kenntnis brächte, in welcher die Ausschreitungen und Übergriffe bei der Kundgebung der Neufaschisten in Bozen am letzten Sonntag gebrandmarkt wurden und die Einsetzung einer Untersuchungskommission des italienischen Parlamentes zur Überprüfung der Zustände in Südtirol verlangt wurde. Die Zeitung gab der sicheren Erwartung Ausdruck, dass Senator Raffeiner dies bei nächster Gelegenheit nachholen werde. 60Diese Hoffnung erfüllte Raffeiner jedoch nicht. Der L’Adige erkannte richtig, dass zwischen den Erklärungen Raffeiners und Braitenbergs und dem Geist, der die SVP-Resolution leite, ein Abgrund klaffte. 61Viele Südtiroler stellten sich die Frage, auf welcher Seite die beiden eigentlich standen. Sie hatten diese Frage vermutlich auch an die drei SVP-Abgeordneten Tinzl, Guggenberg und Ebner gerichtet, wenn sie gewusst hätten, dass sie und die zwei Senatoren am 29. November 1957 ohne Wissen der Parteileitung bei Bundeskanzler Julius Raab in Wien vorsprachen und die Politik der neuen SVP-Führung madig machten. Nach den Ausführungen Tinzls und Guggenbergs hätte die in Sigmundskron erhobene Forderung nach Provinzialautonomie in der italienischen Regierung jener Richtung Oberwasser gegeben, die schon immer die Ansicht vertreten habe, es habe keinen Sinn, den Südtirolern Konzessionen zu machen. 62Wenn man das weiß, dann wundert man sich auch nicht, dass sich Raffeiner und Braitenberg weigerten, im Senat den Entwurf für ein neues Autonomiestatut einzureichen. Man wundert sich nach diesen Vorkommnissen vielmehr darüber, dass die Abgeordneten Tinzl, Ebner und Guggenberg am 4. Februar 1958 das Autonomieprojekt dann doch noch in der Kammer einbrachten. 63Logisch ging’s wirklich nicht her in der SVP in diesen Monaten. Sepp Kerschbaumer, über die Vorgänge in der Partei gut informiert, fand, dass es wieder an der Zeit war, ein Flugblatt in die Welt zu schicken.
Ein BAS-Flugzettel aus der Werkstatt Sepp Kerschbaumers
V O L K S V E R T R E T E R!
Seit der denkwürdigen Volkskundgebung auf Schloß Sigmundskron sind Tage und Wochen vergangen. Überall hat man sich eine entschlossene Inangriffnahme unserer brennenden Probleme erwartet.
Und aus Rom kam dann auch bald eine frohe Kunde. Giuseppe Raffeiner und sein Mitläufer Karlo de Breitenberg distanzierten sich feierlich von dem Geiste der Volkskundgebung von Schloß Sigmundskron und somit vom Südtiroler Volke. Die beiden Volksverräter wurden von uns mittels Schreiben aufgefordert, sofort zurückzutreten. Vierzig Jahre italienische Besatzung brachte Südtirol mit Hilfe einiger Volksverräter an den Rand des Abgrundes. Das Südtiroler Volk ist aber nicht länger gewillt, den Todesmarsch mitzumarschieren! Bedenkt die Worte unseres mutigen Tirolers Magnago am Abend der Kundgebung: „Man darf die Geduld und Disziplin des Volkes nicht überfordern.“ Durch die feige Handlungsweise der Volksverräter in Rom wurde sie bereits überfordert. Wir fordern euch energisch auf, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, ansonsten wir gezwungen sind, geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
„Los von Trient“ hieß die Forderung aller Südtiroler auf Schloß Sigmundskron. Seit einigen Monaten spricht man im ganzen Lande von berufener Seite (davon), den sog. Gesetzesantrag zur Schaffung der Landesautonomie innerhalb des Jahres 1957 im Parlament einzubringen. Bei der Kundgebung war für das Südtiroler Volk das deutsche Wort bindend. Ist für unsere Parlamentarier dieses deutsche Wort nicht bindend??? Die BAS wird unermüdlich weiterarbeiten zur Rettung der Heimat, und jeder aufrechte Volksvertreter kann versichert sein, daß sie stets hinter ihm stehen wird für ein freies Südtirol.
BAS
Es ist dies vermutlich das erste Flugblatt, das mit BAS gezeichnet ist. Dem aufmerksamen Leser fällt auf, dass da nicht der BAS, sondern die BAS steht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Kerschbaumer zunächst seine Phantom-Organisation Befreiungsaktion Südtirol nannte. Erst später kam er auf den Namen Befreiungsausschuss Südtirol. Ein Umstand, der etwas Verwirrung stiftete. Selbst Leute des BAS wussten eine Zeitlang nicht, was richtig war: der BAS oder die BAS, Befreiungsaktion oder Befreiungsausschuss. Durchgesetzt hat sich dann das Markenzeichen Befreiungsausschuss Südtirol, also der BAS. Kerschbaumer selbst sorgte in seinem nächsten Flugblatt für Klarheit. 64Bezugnehmend auf eine Äußerung des österreichischen Bundeskanzlers Julius Raab, wonach das italienische Volk von einem außerordentlichen Nationalismus beseelt sei, wandte er sich erneut an die Öffentlichkeit. 65Er wies zunächst darauf hin, dass wir es besonders „in unserer Heimat Südtirol mit fanatischen Nationalisten zu tun“ hätten, „die direkt und indirekt von Rom gelenkt“ würden. Ihr Ziel sei es, „mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln unser Volkstum zu schädigen und uns in unserer angestammten Heimat in die Minderheit zu versetzen“. „Selbst das unabhängige italienische Gerichtswesen ist von diesem Nationalismus verseucht.“ Jedoch eine Überprüfung der Lage ergebe, „daß wir nicht allein bei anderen die Schuld für die Mißstände in unserem Lande suchen dürfen, sondern daß es an der Zeit ist, bei uns selbst reinen Tisch zu machen!“
Was nützt uns, über die italienische Zuwanderung Klage zu führen, solange unsere eigenen Arbeitgeber – vielleicht aus Feigheit – Italiener beschäftigen, während unsere Landsleute, die in der eigenen Heimat brotlos sind, sich im Ausland Existenzmöglichkeiten suchen müssen. Und solange Südtiroler Besitzer ihre Güter als Baugründe an die Italiener verkaufen, die auf diese Weise die Zuwanderung fördern.
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