Josef Fontana / Hans Mayr
Eine Biografie
Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Deutsche Kultur der Autonomen Provinz Bozen – Südtirol
© Edition Raetia, Bozen 2021
Umschlaggestaltung: Dall’O & Freunde
Umschlagfoto: Wolfgang Pfaundler, Innsbruck
Druckvorstufe: Typoplus, Frangart
Korrektur: Helene Dorner
Redaktionelle Mitarbeit: Carolin Götz, Annalena Eschgfäller
Printed in Europe
ISBN 978-88-7283-796-2
eISBN 978-88-7283-805-1
Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.
Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.
Jugend und frühe Mannesjahre
Jugendzeit und erste politische Erfahrungen
Gründung eines eigenen Hausstandes
Die Kriegszeit 1939 bis 1945
1939: Gehen oder bleiben?
Die große Verweigerung?
Enttäuschte Hoffnungen
Der Neubeginn von 1945
Vom Pariser Vertrag bis zum Autonomiestatut
Halt in der Familie
Kerschbaumer und die Italiener
Von der zivilen Auflehnung zur Gewaltanwendung
Todesmarsch und Existenzängste
Die Palastrevolution von 1957
Die Kundgebung von Sigmundskron
Resonanzen und Dissonanzen
Eine verlorene Stimme der Vernunft
Die Haltung der Amtskirche
Die Schlacht um die Parlamentswahl von 1958
Eine Fahnengeschichte mit Folgen
Der Pfunderer Prozess
Hilfe für Toni und Sepp Stieler
1809-Feiern mit Trikolore?
Das verhinderte Combattenti-Treffen
Gegen Misshandlung von Minderjährigen
Nadelstiche und Feuernacht
Die neue Strategie des BAS
Sepp Kerschbaumer und die politischen Ziele des BAS
Spannungen und Zerwürfnisse im BAS
Befreiungstheologie und Naturrecht
Die Taktik der Nadelstiche
Die Große Feuernacht
Die Kleine Feuernacht
Verhaftung und Untersuchungshaft
Verhaftung und Misshandlung
Rechtfertigungs- und Verteidigungslinie
Zorn und Ohnmacht
Der Tod Franz Höflers
Weihnachten 1961 im Gefängnis
Der Tod Anton Gostners
Gefängnisalltag in Bozen
Die Fahnenaffäre vom 24. Juni 1962
Im Gefängnis von Verona
Hungerstreik
Der Prozess in Mailand
Die Einvernahme
Gefängnisalltag und Prozessstress
Anklage und Verteidigung
Das Urteil
Von Mailand nach Trient, von Trient nach Verona
Zwischenstation in Verona
Unbehagen in Trient, Rückkehr nach Verona
Tod und Begräbnis
Tod in Verona
Das Begräbnis, ein drittes Sigmundskron
Vermächtnis und Gedächtnis
Gedenkfeiern im Zeichen von Störmanövern
Gedenkfeier im Zeichen des zehnten Todestages
Gedenkfeiern im Zeichen des Terrors, erzeugt mit Bomben aus zweiter Hand
Gedenkfeiern im Zeichen hausgemachten Unfriedens
Erinnerungsdenkmale und historische Aufarbeitung
Anmerkungen
Quellen und Literatur
Personenregister
Ortsregister
Bildnachweis
Abkürzungen und Siglen
Die Autoren
Jugend und frühe Mannesjahre
Jugendzeit und erste politische Erfahrungen
Sepp Kerschbaumer wurde am 9. November 1913 als Sohn des Josef Kerschbaumer und der Luise Zelger in Frangart bei Bozen geboren. 1Der Vater, 1917 an der Tiroler Südfront gefallen, stammte vom Ritten, die Mutter aus Aldein. Durch Sparsamkeit und Fleiß hatte es die Familie Kerschbaumer zu bescheidenem Wohlstand und Ansehen gebracht. Als Angestellter der Firma Amonn war es dem Vater möglich gewesen, das Gemischtwarengeschäft in Frangart aufzubauen, das Sepp Kerschbaumer später übernehmen sollte. Sepp Kerschbaumer verlor aber den Vater bereits mit fünf und die Mutter mit neun Jahren. Nach dem Tod der Mutter kam er daher in ein Heim, zuerst in das Rainerum in Bozen, dann zu den Augustiner Chorherren in Neustift, wo er bis zum 14. Lebensjahr die kaufmännische Vorbereitungsschule absolvierte. Eine höhere Schule besuchte er nicht, doch dürfte er in Bozen und Neustift eine recht solide Grundausbildung erfahren haben. Seine spätere Gewandtheit in der Handhabung der Feder lässt darauf schließen, dass er gute Deutschlehrer hatte. Nach Abschluss der Schule in Neustift begann Sepp Kerschbaumer in einem Brixner Porzellangeschäft die Kaufmannslehre; wäre er nicht im Mai 1933 zum Militärdienst eingezogen worden, hätte er nun bald das vom Vormund verwaltete Gemischtwarengeschäft übernehmen können. So führte das Geschäft vorläufig Martin Alessandri aus Frangart weiter. Auch nach der Entlassung aus dem Militärdienst war es ihm nicht möglich, sich beruflich selbstständig zu machen. Jetzt war es die Politik, die ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Es ist nicht bekannt, ob sich Sepp Kerschbaumer in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren viel mit Politik befasst hat. Sicher ist, dass sich die Lage in Südtirol um 1933/34 verschärfte und dabei oft der Friedfertigste vom Sog der Zeit erfasst wurde. Der im Herbst ins Land gekommene neue Präfekt Giuseppe Mastromattei schlug einen Kurs ein, der den Menschen in Südtirol das Leben schwer machte. Eine forcierte Zuwanderung sollte das ethnische Verhältnis auf den Kopf stellen und das deutsche Element an den Rand drücken. Letztes Ziel dieser Politik war die Assimilation der einheimischen Bevölkerung. Die Südtiroler führten damals ein Leben zwischen Resignation, äußerer Anpassung und Hoffnung. Die ältere, mehr an den Männern des aufgelösten Deutschen Verbandes und am Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) orientierte Generation sah in den Diktaturen in Italien und in Deutschland vorübergehende Erscheinungen. Ihr war daran gelegen, die Stürme möglichst gedeckt und in Passivität durchzustehen, bis eine bessere Zeit anbrach. Vom Nationalsozialismus erwartete sie sich keine Erlösung aus der Notlage. Im Unterschied dazu setzte die Jugend, vornehmlich die im Völkischen Kampfring Südtirols (VKS) organisierte, ihre Hoffnungen auf das aufstrebende nationalsozialistische Deutschland.
Sepp Kerschbaumers Eltern
Nur das von Hitler geführte Deutschland, niemals das kleine Mussolini-hörige Österreich, schien in die Lage zu kommen, das Unrecht von Saint Germain und Versailles zu beseitigen und Südtirol zu befreien. Neue Nahrung erhielten diese Tendenzen im Herbst 1934 durch Gerüchte über eine bevorstehende Volksabstimmung im Saargebiet. Das Saarstatut (Art. 45 bis 50 des Versailler Vertrags) hatte das Saargebiet ab 1920 für 15 Jahre dem Völkerbund treuhändisch unterstellt. Artikel 49 dieses Abkommens sah vor, dass nach Ablauf dieser Frist die Bevölkerung dieses Gebietes befragt werde, „unter welche Souveränität sie zu treten wünscht“. 2Das Saarvolk konnte also entscheiden, ob das Saargebiet an Frankreich fallen oder heim ins Reich kommen solle. Das Datum für die Abstimmung war auf den 13. Jänner 1935 festgesetzt. Solche Vorgänge wurden in Südtirol aufmerksam verfolgt. In St. Pauls hatte der Dopolavoro der Gemeinde einen Radioapparat geschenkt, der angeblich so eingestellt war, dass er alle Sendungen aus dem Deutschen Reich übertrug. Man war daher gut informiert über all das, was sich in Deutschland ereignete, ab 1933 freilich immer im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda. In St. Pauls gab es keine Carabinieri-Station. Daher konnte sich dort auch unter der Führung von Franz Schweigkofler eine starke Ortsgruppe des VKS etablieren und entfalten. Diese Ortsgruppe veranstaltete am 9. September 1934 in St. Pauls ein Wiesenfest. An diesem Fest nahm auch Sepp Kerschbaumer im Verein mit mehreren Burschen aus Frangart teil. Und dies sollte ihm zum Verhängnis werden.
Читать дальше