SCHLUSS MIT DEM AUSVERKAUF!
Den traurigen Niedergang der Union, ihre bedingungslose Kapitulation vor dem Zeitgeist und den allgemeinen Verfall unserer Parteiendemokratie erörtern, obwohl sie niemand darum gebeten hat, Arnulf Baring, Josef Kraus, Mechthild Löhr und Jörg Schönbohm.
Redaktion
Alexander Kissler
Berlin 2011
Vorwort VORWORT
I. Par ordre de Mutti: I. PAR ORDRE DE MUTTI
Wie man Stammwähler vertreibt
II. Raumschiff und Claqueure:
Wie man Diskussionen verhindert
III. Pluralität oder Identität:
Wie man den Kopf verliert
IV. Krippenwahn und Zwangsbeglückung:
Wie man die Familie zerstört
V. Entmündigung leichtgemacht:
Wie man den Staat mästet und die Bürger schröpft
VI. Mit Euro und EU gegen Europa:
Wie man das Abendland entsorgt
VII. Schiff ohne Kompass:
Wie man die eigene Sicherheit verspielt
VIII. Windräder, wohin man blickt:
Vom Atomausstieg zum Ökosozialismus
IX. Geschichte ohne Bewusstsein:
Wie man Integration planvoll erschwert
X. Wellness statt Leistung:
Wie man die Bildung abschafft
XI. Ersatzreligion Politik:
Wie man das Konservative ächtet
XII. Die ewige Gegenwart:
Wie man die Nation überwindet und im Nirwana landet
Impressum
VORWORT
Europa steht am Scheideweg. Für die Europäische Union und den Euro gilt das erst recht. Auch Deutschland muss sich entscheiden. Wohin soll das Land sich wenden, damit es nicht am Finanzinfarkt oder an innerer Auszehrung zugrundegeht? Selbst Demokratie und Republik sind keine Größen, denen man heute frohgemut Ewigkeitsrang zusprechen könnte. Es wird zunehmend »durchregiert«.
Nicht zuletzt sind CDU und CSU an einer Weggabelung angelangt. Wird nach dem Ende der Volkspartei das Prinzipielle wiederentdeckt, das Nichtverhandelbare – oder verschärft sich der Trend zum Pragmatismus, zur spätmodernen Diskurspolitik? Dass es nicht weitergehen kann wie bisher mit Schuldenkrise, Parteienkrise und Vertrauenskrise, bestreitet niemand in diesen Tagen. Was aber muss geschehen, damit der Scheideweg nicht in die Sackgasse führt? Und wen trifft die Schuld, wenn es doch geschieht? Wer wurde seiner Verantwortung nicht gerecht?
In einer hellsichtig gegenwartskritischen Komödie sagt ein Narr zum anderen: »Ach, Menschen von heute. Sind doch alle nicht mehr ernst zu nehmen.« Das Widerwort ist scharf und grundsätzlich: »Das sagst du jetzt bei jeder Gelegenheit. Die Wettervorhersage. Ach, ist doch alles nicht mehr ernst zu nehmen. Der Börsenbericht. Ach, ist doch alles nicht mehr ernst zu nehmen. Das Klonen von Mensch und Tier. Ach, ist doch alles nicht mehr ernst zu nehmen. Was ist denn noch ernst zu nehmen? Der Tod?« Ernsthaft wird diese Frage dann nicht beantwortet in der Komödie Der Narr und seine Frau heute abend in Pancomedia . Ihr Autor aber, Botho Strauß, weiß genau, wie gefährlich diese scheinbar so leichte Rede geworden ist.
Einerseits wächst nämlich die Schar derer, die sich mit dieser Formel achselzuckend abwenden von Demokratie und Politik. Eben weil – so heißt es dann – keiner der politischen Akteure ernst zu nehmen sei, ihre Floskelrhetorik nicht und ihre Problemanalyse nicht, ihr routiniertes Abwiegeln ebensowenig wie ihre routinierte Empörung, verwende man Zeit und intellektuelle Energie lieber auf andere, fasslichere Dinge. Politik sei ein schmutziges Geschäft. Andererseits stabilisiert eben dieser Rückzug ins Private die Herrschaft der Floskeln und derer, die sie machtbewusst im Munde führen. Auch wer sich abmeldet aus dem öffentlichen Streit, wird das, was er nicht werden wollte: Partei. Wer schweigt, stimmt zu, stimmt ein in das Crescendo und Decrescendo der classe politique .
Aus diesem Grund hat Botho Strauß unlängst, im August 2011, zehn Jahre nach der Uraufführung von Pancomedia , eine andere Formel für den wachsenden Verdruss des Zivilbürgers gewählt. Unter der Überschrift »Klärt uns endlich auf!« forderte der Schriftsteller ein Ende der allgegenwärtigen Neigung, diese oder jene politische Entscheidung flugs für alternativlos auszugeben. Das »noch aus Maggie Thatchers Zeiten« stammende Akronym »Tina«, »there is no alternative«, hebele die Politik aus. Es diene den Regierenden schlicht dazu, »einer zu ihrem Vorteil gefällten Entscheidung den Anstrich der Unumgänglichkeit zu geben.« Ob europäische Staatschuldenkrise, Bankenrettung oder Atomausstieg – die ganze politische Szene habe »mit einem Schlag den Antagonisten verloren. Es gibt keine Parteien mehr, es gibt nur noch Atomaussteiger. Tina!«
Insofern hat für Botho Strauß die Tina-Politik, wie sie etwa die deutsche Bundeskanzlerin betreibt, Teil am enervierenden Geplapper: »Ein Wort, das vielleicht allgemein aufhorchen ließe, wurde von einem Politiker seit langem nicht vernommen. Die Autorität, die er vielleicht kraft seines Amtes noch besitzt, leidet in der Regel, sobald er den Mund aufmacht. Jedermann ist des Gewäschs überdrüssig. Man will nie wieder etwas von einem Schritt in die richtige Richtung hören. Selbst wenn er getan würde, was offenbar nur selten der Fall ist, bliebe er in solcher Sprache ungetan für den Zuhörer, die Floskel isoliert ihn hermetisch vom Tatbestand.« (FAZ , 23. 8. 2011) Auch deshalb ist es nötig, zu einem öffentlichen Gespräch über die Grundlagen des Politischen zurückfinden, wie es sich in diesem Buch ereignet, tastend und energisch zugleich.
Denn was steht auf dem Spiel? Der Medientheoretiker Norbert Bolz sieht hinter dem Gerede von der angeblich alternativlosen Politik die Sehnsucht nach der Diktatur aufleuchten. »Ein Politiker«, so Bolz, »der behauptet, zu einer bestimmten Politik gäbe es keine Alternative, ist (…) ein Tyrann.« Jürgen Kaube von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erkennt in den von der Kanzlerin angekündigten Souveränitätsverzichten hilfebedürftiger Euro-Länder die Wiederkehr der »kommissarischen Diktatur« und das Entstehen einer »absolutistischen Demokratie«.
Bewegen wir uns demnach auf neue Unfreiheiten, neue Verknechtungen, womöglich globalen Ausmaßes, zu? Der Schriftsteller, Filmemacher und Zeitdiagnostiker Alexander Kluge nennt die Gegenwart eine »vorrevolutionäre Zeit, in der nur das Subjekt der Revolution noch unklar sei.« Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts habe aus Menschheitstragödien bestanden, die zweite Hälfte aus einer »geradezu unwirklichen Friedfertigkeit«. Jetzt könne sich die erste Jahrhunderthälfte wiederholen, eine Entgleisung der Welt. Das Jahr 2012 erinnert Kluge an das Jahr 1912, kurz vor dem »großen Knall«. Wichtigstes Indiz für die Wiederkehr der Katastrophe sei das verschwundene Vertrauen, dass die Krise zu bewältigen ist.
Man muss den apokalyptischen Blick nicht teilen, um ein fundamentales Ungenügen zu verspüren, eine Unruhe, die kein Räsonnement stillstellt. Europa steckt sogar laut EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in einer tiefen »Wirtschafts-, Finanz- und Sozialkrise«. Die Europäische Union stehe vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Und gerade nun kollabiert das Vertrauen in die Europa tragenden Institutionen, weitet sich das legitimatorische Defizit zum Misstrauensvotum gegen Politik überhaupt: Man will es lieber nicht so genau wissen, weil den Politikern nicht über den Weg zu trauen sei. Man vernimmt die Nachrichten aus dem Jammertal und lebt unbehelligt weiter, als wäre nichts geschehen, in der Welt von gestern. Sehr lange wird sich dieser Schein von Normalität nicht aufrechterhalten lassen. Die Einschläge kommen näher, sagt Alexander Kluge, wie damals im Luftschutzkeller.
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