1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 Auch auf unser Recht im Sprachgebrauch wollen wir schweres Gewicht legen. Aus Feigheit oder Bequemlichkeit auf den Gebrauch seiner Muttersprache zu verzichten, schadet unserer Volksgruppe! Wir dürfen nicht auf fremde Hilfe hoffen, solange wir nicht alles getan, was in unseren eigenen Kräften liegt. Erst wenn sich diese unsere Kräfte im ungleichen Kampfe als zu schwach erweisen, dürfen wir Anspruch auf fremde Hilfe erheben.
Südtiroler erfülle Deine Pflicht dem Herrgott, dem Volke und Deiner Heimat gegenüber auch im Alltagsleben!
Südtiroler, kein Opfer darf Dir für Deine Heimat zu groß sein; denke an die Zukunft Deiner Kinder.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen und irrigen Auslegungen wollen wir diesmal unseren Landsleuten mitteilen, was die Bezeichnung
B.A.S. heißt:
Befreiungs-Ausschuß-Südtirol
Über die Urheberschaft der Flugzettel sind viele Mutmaßungen angestellt worden. Oberflächlich betrachtet, könnte man meinen, dass verschiedene Hände am Werk gewesen seien. Manche Flugzettel sind sprachlich etwas holprig und unbeholfen, andere im Stil glatter und gewandter. Dieser Unterschied in der Diktion erklärt sich daraus, dass Sepp Kerschbaumer manche Flugzettel von einem Journalisten seines Vertrauens ausfeilen ließ. Wenn hingegen die Zeit drängte, schickte er die Flugzettel so aus, wie er sie entworfen hatte. Dass jemand anderer die Texte verfasst hat, dürfte auszuschließen sein. Sie haben nämlich das Wesentliche gemeinsam: die Denkweise des Sepp Kerschbaumer.
Kerschbaumers Rundschreiben und Flugblätter wurden alle auf Matrize geschrieben und dann vervielfältigt. Wer hat ihm diese Arbeit besorgt? Eine Frage, die 1961 bei den Verhören auch die Carabinieri mit Nachdruck stellten. Kerschbaumer wollte nicht recht heraus mit der Sprache. Er habe das selbst gemacht, murmelte er. „Wenn das so ist“, meinten die Carabinieri, „dann setzen Sie sich an die Schreibmaschine und machen Sie es uns vor!“ Dazu war er aber nicht in der Lage. Wer war es dann? Das wusste ganz genau die Tiroler Tageszeitung . Unter Berufung auf eine „zuverlässige Quelle“ brachte das Blatt eines Tages folgende „Tatsachenmitteilung“: Ursprünglich habe Kerschbaumer die BAS-Briefe einer seiner Töchter diktiert. Ordnungsgemäß, wie es seine Art sei, habe er sie als Sekretärin angestellt. Aber die Tochter habe an dieser Arbeit keinen Gefallen gefunden. Daher habe sie ihm eines Tages eröffnet: „Du, Tatta, ich mag von deiner Politik nichts wissen. Ich möchte dir in Zukunft diese Briefe nicht mehr schreiben müssen.“ Kerschbaumer habe daraufhin seine Tochter als Sekretärin formal korrekt entlassen und die minderjährige Tochter des Frangarter Mesners, Annelies Ausserer 66, nach Bozen in die Schule geschickt, damit sie dort das Maschineschreiben lerne. Annelies Ausserer habe er dann als neue Sekretärin des BAS angestellt. 67Hier wird wieder einmal einiges durcheinandergebracht. Es stimmt nicht, dass er eine seiner Töchter oder sonst jemanden als Sekretärin angestellt hatte. Er verfasste im Jahr vielleicht sechs, sieben Rundschreiben und drei, vier Flugzettel. Das war eine Arbeit von jeweils einigen Stunden. Der Wahrheit entspricht aber, dass ihm seine Tochter Mali nicht mehr mitgemacht hat, als sie erkannte, dass das Ganze nicht „astrein“ war. 68Der Vater musste sich dann tatsächlich nach einer neuen „Schreibkraft“ umsehen. Er fand sie in Annelies Ausserer, die damals in Bozen die Marco-Polo-Schule besuchte. Das gab er dann widerstrebend bei einem der vielen Verhöre in der Carabinieri-Kaserne von Eppan zu. Er musste dann auch die Schreibmaschine und den Vervielfältigungsapparat herausrücken, die er in der Ringmauer des Schlosses Sigmundskron versteckt hatte.
Die beiden oben erwähnten Flugblätter lösten in der SVP Besorgnis aus. 69In der Sitzung vom 1. März 1958 teilte Silvius Magnago der Parteileitung mit, dass ihm erst ein Schreiben des BAS zugeschickt worden sei. Politisch maß er ihm nur insofern eine Bedeutung bei, als es die italienische Volksgruppe verärgere. Damit sei nichts erreicht. Das Endresultat sei vielmehr dies, dass diejenigen, die sie verfassten, und diejenigen, die sie verteilten, ins Gefängnis kämen. „Letzten Endes muß dann die SVP für die Familien sorgen, wie sie auch heute für Familien sorgen muß.“ Sehr schlimm wäre es, wenn Ortsobmänner an dieser Aktion beteiligt wären. Käme so etwas auf, würden es die Behörden zum Anlass nehmen, in die Villa Brigl zu kommen und eine Hausdurchsuchung vorzunehmen. 70Die Sitzung offenbarte freilich das große Dilemma, in dem sich die SVP befand. Magnago berichtete anschließend der Parteileitung, dass die Verhandlungen zwischen Rom und Wien begonnen hatten. Dabei äußerte er die Befürchtung, dass sie „wahrscheinlich schleppend weitergehen“ würden. Man trat also auf der Stelle. Und die Erfolglosigkeit gab dem BAS Auftrieb.
Zwei Monate später befasste sich die Parteileitung wieder mit dem BAS. Magnago teilte ihr mit, dass ihn der Quästor im Laufe einer Unterredung gefragt habe, ob er die Herren des BAS kenne. Er habe ihm zur Antwort gegeben, dass die SVP mit der Aktion absolut nichts zu tun habe und er auch keinen der Herren kenne. Der Quästor betrachtete das letzte Schreiben des BAS als eine sehr ernste Sache. Bisher habe der BAS nur auf die Italiener geschimpft „und so weiter“. Dies sei zwar strafbar, aber nicht relevant. Mit dem letzten Schreiben habe sich aber der BAS als „Befreiungsausschuß Südtirols“ zu erkennen gegeben, als eine Organisation, die sich die Befreiung Südtirols zur Aufgabe gemacht habe. „Mit diesem Moment fällt die Sache in ein anderes Strafgebiet, und die Sache verschlimmert sich kolossal.“ Er, Magnago, sei überzeugt, dass früher oder später alles aufkäme. Und dann haben wir „nichts als Spesen und Familien zu erhalten und viele Leute, die im Kerker sitzen“. Peter Brugger sprach die Vermutung aus, dass hier junge Leute am Werk seien. Diese jungen Leute müsse man in die Reihen der SVP hereinbekommen und sie so irgendwie politisch beschäftigen. Generalsekretär Hans Stanek machte den Vorschlag, den Ortsgruppen mit einem Rundschreiben nahezulegen, „dieser Aktion schärfstens entgegenzutreten“. 71Damit waren alle einverstanden. Wenig später wurde ein solches Rundschreiben an die Ortsgruppen verschickt.
Eine verlorene Stimme der Vernunft
Ein Beamter kann in die Lage kommen, dass er Handlungen setzen muss, die mit seiner Überzeugung im Widerspruch stehen. In diese Situation geriet 1957 der Bozner Quästor Renato Mazzoni. Er hatte bei dem Ringen um einen Platz für die Kundgebung von Sigmundskron eine Position einnehmen müssen, die mit seiner Einstellung nicht im Einklang stand. Wie er wirklich dachte und die Dinge in Südtirol beurteilte, legte er dem Innenminister Fernando Tambroni mit Schreiben vom 17. März 1957 ausführlich und unmissverständlich dar. Seiner Meinung nach sei der jetzige Zustand auf einen schweren Bildungsmangel und auf die politische Kurzsichtigkeit der regierenden Trentiner Kreise zurückzuführen. Sie hätten eine historische Gelegenheit versäumt und nicht begriffen, welch ein Instrument vor allem kultureller und dann auch verwaltungsmäßiger Art das Autonomiestatut darstelle, um Europa zu zeigen, dass das freie, zivile und demokratische Zusammenleben von zwei Volksgruppen in einem bestimmten Raum möglich sei.
Bedenklich findet er auch den kulturellen Hochmut, der jedes Südtiroler Brauchtum als dekadente Folklore abtue und nicht begreifen wolle, dass das Volkstum nicht allein in der Hochsprache, sondern auch in der Mundart, im Brauchtum, in den Überlieferungen, kurz in all dem begründet liegt, was von der Vergangenheit auf die Gegenwart gekommen ist.
Wer ein solches Volkstum als eine „ civiltà della Stube“ bezeichne, offenbare seine Arroganz und setze eine vermeintliche Überlegenheit der lateinischen Zivilisation über jede andere davon abweichende Lebensart. „Die systematische Ablehnung der Verständigungsbereitschaft, die Unkenntnis der deutschen Sprache seitens der Politiker, Justizbeamten und hohen Staatsfunktionäre hat eine unüberwindliche Barriere zum Verständnis der Bedürfnisse der Minderheit entstehen lassen.“ Er selbst habe es als seine erste Aufgabe angesehen, die deutsche Sprache zu erlernen, dies habe ihn in die Lage versetzt, die Südtiroler Wesensart zu verstehen. Und dadurch habe er sich nicht nur die Wertschätzung und das Vertrauen der Politiker erworben, sondern auch und vor allem der Bevölkerung.
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