Wir legten dann Abbildungen auf den Tisch und erklärten, dass eine der deutschen Universitäten, die zu den Partnern der Neuen Arbeit gehört, die TU Chemnitz, zurzeit führend ist auf dem Gebiet der Entwicklung kleiner mobiler Fabriken – genauer gesagt: von High-Tech-Werkstätten, die in Containern untergebracht werden können. Eine Möglichkeit wäre deshalb eine kleine mobile Fabrik, die von Dorf zu Dorf reist und mit der die Bewohner ihre eigenen Elektrogeneratoren aus recyceltem Plastik und Aluminium – Flaschen und Büchsen – herstellen. Eine andere Möglichkeit wäre eine ähnliche kleine mobile Fabrik, mit der man Ziegel für Hausdächer herstellen könnte. (Die meisten Dächer in den Slums von Indien und Afrika sind aus verrostetem Metall gemacht. Im Winter ist es darunter kalt, im Sommer verwandeln sie das Haus in einen Ofen.) Eine dritte Möglichkeit wäre eine kleine mobile Fabrik, in der man leistungsfähige Wasserfilter herstellen kann, die ungenießbares Wasser in Trinkwasser umwandeln können. Eine vierte Möglichkeit wäre eine kleine mobile Fabrik zur Herstellung von Zement. Eine fünfte Möglichkeit …
Die Reaktion war überall stürmisch: Warum sind Sie nicht schon vor Jahren gekommen? Besteht die Möglichkeit, dass Sie bleiben? Haben Sie Leute, die an Ihrer Stelle herkommen können und ein Projekt in dieser Richtung initiieren können? Sagen Sie uns, wo wir anfangen können, und bitte, wenn irgend möglich schon heute.
Diese Reaktion darf nicht missverstanden werden. Was diesen Enthusiasmus auslöst, sind nicht nur die raffinierten und oft buchstäblich noch nicht da gewesenen technischen Neuentwicklungen, die wir vorstellen. Wir stellen diese Dinge nie und unter keinen Umständen als „Lösungen“ oder „Antworten“ dar, mit denen wir schlaue weiße Männer mit unseren schicken Aktenkoffern angereist kommen. Bevor wir irgendwelche Bilder zeigen oder irgendwelche technischen Maschinen oder Technologien vorstellen, beharren wir stets darauf, dass sie, die Menschen, mit denen wir arbeiten , am Steuer sitzen. Alle Entscheidungen werden sie selbst treffen müssen, und auch die Arbeit wird von ihnen kommen müssen: „Überhaupt nichts wird geschehen, kein Nagel wird eingeschlagen und kein einziger Schlüssel wird in irgendeinem Schloß umgedreht, bevor SIE sich in Ihrem Geist vollkommen klar darüber sind, dass es das ist, was SIE wirklich und ernsthaft wollen! In dieser Hinsicht werden wir nicht wanken und keine Kompromisse machen: Vom ersten Tag an wird dies nicht unser Projekt, sondern IHR Projekt sein. Wir kommen nur mit ‚Möglichkeiten‘, die wir Ihnen anbieten. Wenn daraufhin etwas geschieht, dann nur, weil SIE es so wollen!“
Wir denken und sprechen gern in Polaritäten, in entgegengesetzten Extremen, und auch das, was wir jetzt in der Dritten Welt tun, ist nur ein polares Extrem eines Gegensatzpaares, zu dem es einen entsprechenden Gegenpol gibt. Die andere Hälfte dessen, was kürzlich auf dem Gebiet der Neuen Arbeit geschehen ist, hat nichts mit den im Elend Lebenden – den Benachteiligten – zu tun, sondern mit den Begabtesten und den Erfolgreichsten. Nach einigen Schätzungen gehört heute etwa ein Viertel unserer arbeitenden Bevölkerung zu einer Gruppe von Menschen, deren Insignien das Handy und der Laptop sind. Ein großer Teil dieser Menschen empfindet seine Arbeit ganz und gar nicht wie eine „milde Krankheit“ – wie wir uns leicht vorstellen können.
Als die Blase der New Economy plötzlich platzte, verloren viele dieser Menschen über Nacht ihren Arbeitsplatz, aber zur allgemeinen Überraschung waren sie deswegen nicht unbedingt niedergeschlagen oder deprimiert. Ganz im Gegenteil: Viele schienen erleichtert zu sein. Viele hatten in der schon sprichwörtlichen „Garage“ ihr eigenes Unternehmen gegründet. Der Erfolg brach dann über sie herein und machte sie zu Gefangenen von erfolgs- und gewinnorientierten Unternehmen (wie etwa Microsoft), in denen sie arbeiten mussten wie Galeerensklaven. Darum die Erleichterung.
Viele dieser Menschen erleben ihre Arbeit ganz ähnlich, wie es Künstler und Intellektuelle tun. Vor dem Boom führten sie beinahe so etwas wie eine Boheme-Leben: Waren sie gerade inspiriert, dann konnten sie vier Tage und Nächte ohne Pause durcharbeiten; wenn sich ihr Gehirn unproduktiv und dumpf anfühlte, dann blieben sie auch einmal eine Woche lang im Bett. Die Software, die sie schrieben (oder was immer sonst es war), war ihre Arbeit , und wie bei Künstlern war ihre Arbeit beinahe das Wichtigste in ihrem Leben.
Verständlichweise brennen viele dieser Menschen vor Neugier beim Thema Neue Arbeit. Unsere Grundvorstellung davon, was Arbeit eigentlich sein sollte, verbindet uns mit ihnen – ebenso wie, natürlich, das Konzept der High-Tech-Eigen-Produktion. Vielen von ihnen lag nicht viel an einem opulenten und schicken Leben. In ihren Augen ist es eher ein Rummelplatz, ein zu sehr in die Länge gezogener Karneval. Dazu kommt, dass viele von ihnen einen finanziellen Absturz erlebt haben. Auch das macht das Konzept eines weniger teuren und weniger verschwenderischen Lebens für sie attraktiv.
Besonders wichtig ist, dass diese Menschen oft zu den einfallsreichsten und begabtesten Menschen gehören, natürlich nicht nur in den Vereinigten Staaten. Nicht wenige haben das Gefühl, dass ihnen ihre Ideen gestohlen und dann zu Zwecken missbraucht wurden, die ihren ursprünglichen Absichten völlig entgegengesetzt waren. Das hat sie erbost, man könnte auch sagen: Sie sind wütend. Nichts scheint deshalb natürlicher als ihr Wunsch, ihre fabelhaften Fertigkeiten und Talente auf die Entwicklung neuer Technologien zu verwenden, die es den Menschen erlauben werden, ein angenehmes Leben zu führen – das aber zu drastisch reduzierten Kosten. Für die Neue Arbeit bedeutet dies, dass wir unter dieser weit verbreiteten und erstaunlichen Gruppe von Menschen plötzlich viel Gehör und Interesse gefunden haben.
Dieses Buch ist – eine Einladung. Es beschreibt Bemühungen, an denen wir seit über 20 Jahren arbeiten. Wir sind uns aber ganz und gar darüber im Klaren, dass das Bisherige nur der Auftakt zu einem Vorspiel für eine Ouvertüre ist. Unsere nicht stille, sondern im Gegenteil eindringliche Hoffnung ist, dass eine immer größere Anzahl sehr unterschiedlicher Menschen in vielen Ländern diesen Anfang weiterentwickeln werden.
Kapitel I
Der Zustand nach dem Kalten Krieg
Stellen Sie sich eine Szene in einem möglichen Hitchcock-Film vor: Ein Zug fährt immer tiefer in eine trockene Berglandschaft hinein. Die Fahrgäste werden zunehmend unruhig. Vor einer Weile war es noch ein Gefühl des Unbehagens, dann wurde es Nervosität, jetzt ist es die nackte Panik. Eine Reihe schnell aufeinander folgender Ereignisse legt die Vermutung nahe, dass der Zug ohne Lokomotivführer fährt und niemand die Fahrt kontrolliert; außerdem haben die Fahrgäste entdeckt, dass die Notbremse nicht funktioniert. Der Zug fährt bergab, und inzwischen ist er viel zu schnell, als dass jemand abspringen könnte. Doch selbst wenn jemand abspringen wollte : Es scheint, dass sämtliche Türen und Fenster des Zuges fest verriegelt sind und es keine Möglichkeit gibt, sie zu öffnen.
Das Bild des Zuges ist eine Metapher für einen Glauben und eine emotionale Situation, die viele Menschen in unserer Kultur erfahren. Wir fühlen uns ohnmächtig, im Lauf der Dinge gefangen, wir sehen eine Geschichte sich entfalten, der wir nicht entrinnen können. Die Situation ist unheilschwanger und wird immer erschreckender. Und was alles noch furchtbarer macht: Wir haben nicht die allerleiseste Ahnung, wie diese Fahrt anzuhalten oder umzukehren wäre. Natürlich laufen Leute gestikulierend und laut rufend durch die Waggons, aber jeder weiß mit schreckensstarrer Überzeugung, dass das nur ein Ablenkungsmanöver ist. Was früher oder später unausweichlich geschehen wird, geschehen muss, ist inzwischen allen klar geworden: Der Zug wird entgleisen, gegen eine Felswand prallen oder auf einer Brücke kippen und in die Tiefe stürzen.
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