Die Idee der High-Tech-Eigen-Produktion brachten wir in all die verschiedenen Projekte ein, die wir seither initiiert haben, auch in das in Flint, und die Idee stieß überall auf enthusiastische Zustimmung. Die Menschen verstanden sofort, dass dies enorme materielle Vorteile haben und darüber hinaus ein aufregendes und großartiges Experimentierfeld darstellen würde, auf dem sie herausfinden könnten, welche Arbeit sie wirklich, wirklich leisten wollten. Wäre man von seiner frühen Kindheit an daran beteiligt, eine große Vielfalt von Gütern herzustellen, und entwickelte man auf diese Weise die Gewohnheit, sich praktisch jeden Morgen neu zu entscheiden, welches spezifische Ding man an diesem Tag herstellen möchte, dann würde das die Fähigkeit in uns entwickeln, die uns ganz entschieden fehlt. Was ich meine, ist – etwas provokativ und merkwürdig formuliert – die Fähigkeit, uns zu fragen, welcher von 500 mir offen stehenden Aktivitäten ich mich heute widmen möchte. Bei dem Leben, das wir gegenwärtig führen, wissen wir bereits in dem Moment, in dem wir am Morgen die Augen aufschlagen, was wir an diesem Tag tun müssen . Viele von uns machen sich in der Tat morgens zuerst einmal eine Liste der zu erledigenden Dinge. Hier würde die High-Tech-Eigen-Produktion uns darin unterstützen, uns in kleinem Rahmen jeden Tag erneut die Frage zu stellen, die ganz im Zentrum eines Lebens der Neuen Arbeit steht, nämlich: Wie möchte ich an diesem heutigen Morgen meine Arbeit und mein Leben in Ernst und vollem Bewusstsein gestalten?
Jedem der an den verschiedenen Projekten Beteiligten war klar, dass die ökonomische Freiheit, welche die High-Tech-Eigen-Produktion uns ermöglicht, auf lange Sicht eine unerlässliche Voraussetzung dafür ist, tatsächlich das tun zu können, was man wirklich, wirklich will. Das ist ohne den durch die HTEP erreichbaren Grad an materieller Unabhängigkeit nämlich nicht möglich. Wo diese nicht gegeben ist, wird der Druck der „Realität“ – oder dessen, was Bertolt Brecht „die Verhältnisse“ nannte – uns zu beschämenden Kompromissen zwingen.
Ich sagte, dass praktisch jedermann, der mit der Neuen Arbeit zu tun hatte, mit der Idee der HTEP einverstanden war. Deren Durchführung, die Praxis, war indes zwei Paar Stiefel. Widerstand gegen die Idee gab es nie, das Problem war ihre praktische Realisierbarkeit. Die Vision, Technologien zu entwickeln, die es einer kleinen Gruppe von Menschen erlauben würde, das, was sie selbst brauchte, in ihrer eigenen unmittelbaren Umgebung auch selbst herzustellen, war – inspirierend. Das stand außer Frage. Nur: Wo sind die Werkzeuge, die Maschinen und Apparate, die Herstellungsmethoden, die uns in die Lage versetzen, das zu tun?
Rückblickend lässt sich sagen, dass der Fortschritt auf diesem Gebiet während der ersten 20 Jahre der Neuen Arbeit zugegebenermaßen langsam war. Zu dem großen Sprung vorwärts kam es erst in den letzten acht Jahren. Natürlich begannen wir, wie praktisch jedermann, der an Selbstversorgung denkt, zuerst einmal mit dem Gartenbau. Allerdings möchte ich betonen, dass wir das überhaupt nicht wie „praktisch jedermann“ angingen. Wir benutzten vielmehr die fortschrittlichsten und am weitesten entwickelten Methoden der Permakultur, des Gartenbaus in Containern, und wir bauten in unseren Gewächshäusern sogar die exotischsten Nahrungsmittel an, bis hin zu Tee und Kaffee. Mit einem ironischen Unterton können wir von uns behaupten, dass wir selbst beim Anbau von Kohl und Tomaten „High-Tech“ waren.
Wir hatten auch gute Erfolge beim Hausbau: Während unserer langen Reise stolperten wir über eine Reihe verschiedener Bausysteme, die es Menschen ohne spezielle Fertigkeiten und Erfahrungen möglich machen, sich selbst ein Haus zu bauen. Eines dieser Systeme war eine spezielle Methode zur Errichtung von Kuppelbauten. Auf unserer Website findet sich an exponierter Stelle ein Foto eines solchen Kuppelhauses, denn es wurde zu einem der Embleme der Neuen Arbeit, einem unserer „Markenzeichen“: Zum einen, weil der Anblick dieser Kuppel schlichtweg beeindruckend ist, zum anderen, weil auch die Methode der Herstellung zur Neuen Arbeit passt. Man nimmt eine sehr reißfeste, etwa einen halben Zentimeter dicke „Haut“, die so zugeschnitten ist, dass sie die Form einer Kuppel hat, und bläst diese zu einem großen Ballon auf. Dann sprüht man entweder dünnen Leichtzement oder eine Lehmmischung auf dessen Oberfläche. Dann braucht man nur noch zu warten. Es dauert zwei bis vier Tage, bis die Kuppel getrocknet ist. Wenn es so weit ist, zieht man einfach nach Kinderart den Korken aus dem Ballon. Die Luft strömt heraus, der Ballon fällt zusammen, die Kuppel bleibt stehen, und man zieht die Haut zur Vordertür hinaus. Was diese Methode zu einer typischen Neue-Arbeit-Methode macht, sind die Einfachheit, die Intelligenz, die Ausschaltung unnötiger abstumpfender Arbeit und der dazu gehörende humorvolle Unterton.
Wir initiierten eine ganze Palette weiterer Projekte. Bei einigen davon wurden Computer benutzt, um Aufgaben zu erledigen, die Menschen, die ins Elend geraten sind, oft Schwierigkeiten bereiten – etwa das Vereinbaren eines Termins mit einem Sozialarbeiter oder einem Arzt –, aber die Erfahrungen mit der High-Tech-Eigen-Produktion blieben insgesamt eher entmutigend und schwer greifbar. Wir wollten jedoch nicht dilettantisch herumspielen, sondern mit entschlossenem Wagemut ein ernsthaftes wirtschaftliches Interesse umsetzen. Entscheidend war für uns die Reduzierung der Abhängigkeit von der Lohnarbeit, das Ausbrechen aus dieser Knechtschaft. Wir wollten hier eine Ebene erreichen, die in dieser Hinsicht eine deutliche Veränderung zeigt, die es einem Menschen also erlaubt, seine Lohnarbeit um ein Drittel oder die Hälfte zu reduzieren, indem er sie auf angenehme Weise mit einer selbstversorgenden oder eigenproduzierenden Arbeit ausbalanciert. In den ersten 20 Jahren machten wir dazu hier und dort Fortschritte, aber im Großen und Ganzen erreichten wir dieses Ziel nicht.
Das war der Stand bis zur zweiten Hälfte der neunziger Jahre. An diesem Punkt erhielten wir immer mehr und immer dringlichere Einladungen aus fernen Ländern, oft Ländern der Dritten Welt. Zuerst aus Indien, Russland und der Ukraine, bald danach von Haiti und einigen anderen pazifischen Inseln, dann aus China und Japan und in den letzten Jahren aus Marokko und weiteren afrikanischen Staaten, insbesondere aus Ghana und Südafrika. Die Einladungen sagten stets, die eine oder andere Gruppe habe (im Internet oder sonstwo) von unseren Bestrebungen gelesen, und man wolle sich mit einem oder mehreren von uns unterhalten. Jede dieser Einladungen war eine Überraschung.
Während der Jahre, in denen wir uns langsam den Berg hinaufschleppten, hatten wir eine Menge Ideen und Informationen angesammelt, die verschiedene „Möglichkeiten“ darstellten. Überall, wo wir hingingen, stellten wir zuerst klar, dass es nicht in unserer Absicht stand, stattliche Mengen Geld auszugeben, damit die großen Unternehmen ins Land kommen und dort Arbeitsplätze schaffen würden. Die Zahl von Arbeitsplätzen, die auf diese Weise geschaffen werden können, ist lächerlich klein, und deshalb ist diese Strategie unverantwortlich teuer. Wir schlugen stattdessen eine Palette kleiner, mobiler und preiswerter Technologien vor, mit denen die Menschen das, was sie brauchen, für sich selbst herstellen können.
In jedem dieser Fälle war entscheidend , dass wir keine „primitiven“ Apparate anboten – was unweigerlich als Beleidigung aufgefasst worden wäre –, sondern ganz im Gegenteil Maschinen vorschlugen, die meistens nicht nur „ultramodern“ waren, sondern darüber hinaus zur noch in der Entwicklung befindlichen „High-Tech-Eigen-Produktion“ gehörten. In jedem einzelnen Fall, ob es nun ein Mittagessen mit dem Minister für soziale und wirtschaftliche Entwicklung war oder ein Treffen mit einer kleineren, sich auf einer lokalen Ebene um Verbesserungen bemühenden Organisation, der Funke sprang augenblicklich über.
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