So kann man die Dinge also auch sehen, sobald man DOLUS und VIS (also List und Willkür, die Gewalt und den Betrug) nicht akzeptiert. Apropos: Werner Vogt hat einmal etwas ins Leben gerufen, das er Aktion unschuldiger Blick nannte. Was auch immer dieser unschuldige Blick sein mag, Fritz Orter, der den Fernsehzuschauern stets von den Opfern berichtet hat, damit den Opfern geholfen wird, und vom Krieg, damit der Krieg aufhört, redet einer öffentlichen korrekten, sorgfältig sorgsamen Berichterstattung das Wort, die es binnen kürzester Zeit nicht mehr geben werde, es sei denn, es gelänge ihr immer wieder, den Lauf der obrigkeitlichen Dinge zu durchbrechen, zum Beispiel mit Fragen. Nur zu also, sehr verehrte Damen und Herren, am heutigen Auswege-Abend, der (unverzichtbar durch Sie) so sein wird, wie er heißt.
Vom Helfen und vom Wohlergehen oder Wie die Politik neu und besser erfunden werden kann, Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik, Kultur in Graz und Raisons d’agir Graz – Steiermark
Intervention 29. Mai 2015
Groß A) Machiavelli wurde sechsmal hingerichtet. Zum Schein zwar jedes Mal, aber das hat er nie gewusst. Man hat ihn sechsmal erhängt, stieß ihn mit dem Strick um den Hals hinunter, fing ihn dann im letzten Moment auf. Er schrieb sodann nur mehr über Sex and Crime. Über Crime in seinen politischen ratgebenden Schriften an die Eliten. Über Sex in seinen Stücken, für die er einem größeren Publikum, dem Volke eben, bekannt wurde. Manche meinen heutzutage, es sei Verantwortungsethik, was er betrieben habe, und Ideologiekritik; manche, es sei voller Ironie und Spott gegen die skrupellos Mächtigen, für die er arbeitete und die mit ihm machen konnten, was sie wollten. Über sie habe er erzählt, wie sie wirklich sind. Hat sie kennengelernt, die Fürsten, Führer, Kaiser, Könige, Päpste, Bischöfe, persönlich, die Residenzen, die Städte und das Volk. Ohne VIS und DOLUS, ohne Gewalt und Betrug, gehe gar nichts. Jederzeit muss man damit rechnen und dazu bereit sein. Laut Machiavelli. Sein eigener Stadtstaat war für ihn das Wichtigste. Und daher das eigene Militär das Um und Auf. Selbiges baute er auf. Das war sein Stolz. Machiavellis Söhne sollen schwer erziehbar gewesen sein. Des Weiteren pflegte er seine Frau zu betrügen, sie packte ihrem Herrn Gesandten weiterhin die Socken für die Reise ein oder schickte ihm seine Wäsche nach. Machiavelli ist wie gesagt offensichtlich zuvorderst durch mehrmals angedrohten Genickbruch Politologe geworden. Was man von Machiavelli lernen kann, z. B. in den Ausbildungen der Manager aller Art, ist mir ein Rätsel. Legte man Maßstäbe an wie die des Schweizer Psychoanalytikers Arno Gruen, dann wäre der Schlüssel zu Machiavelli und den Seinen der Mechanismus der Identifikation mit dem Aggressor. In Gruens Augen ist dieser Mechanismus heutzutage allgegenwärtig. Und das Problem sind laut Gruen nicht irgendwelche Bösen und irgendein Böses, sondern die Guten, die das, was geschieht, geschehen lassen.
Groß B) Durch das Reden ersparen wir uns das Sterben. Wir lassen da nämlich unsere falschen Sätze an unser statt untergehen. Sind wie Affen, die von Baum zu Baum springen; ist der Satz, den der Affe tut, falsch, dann ist der Affe auf der Stelle tot oder bald. Für Karl Popper ist das die Funktion der Sprache. Diese Ansicht teile ich. Reden erspart Leid. Könnte.
Groß C) Vor einigen Monaten nahm ich nebenbei Folgendes wahr: In einer Kinderecke in einem Lokal hat ein Kind, allein mit sich, gut eine Stunde lang Folgendes gesungen: Jede Zelle meines Körpers ist glücklich. Jede Zelle meines Körpers ist froh. Jede Zelle, jede Stelle. Jede Zelle, jede Stelle ist heute gut drauf . Und dann in einem fort: Ahoi! Das Kind, wohl fünf, sechs, sieben Jahre alt, hat, während es sang, in einem fort etwas repariert. Ein Spielzeug oder etwas ebenso Wichtiges. Ich konnte beim Fortgehen nicht erkennen, was es war. Es kann also gut sein, dass es der Sozialstaat war, Ihrer wie meiner. Ahoi!
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1., 2., 3., 4. und so weiter und so fort 20 Minuten ab jetzt:
1.) Die Wirtschaftswissenschaftlerin Ursula Schneider, Ursula Hendrich-Schneider, vertrat im Frühjahr 1999 – im Frühjahr 1999! – bei einer Grazer Tagung zum Thema Globalisierung und Nationalstaat die Ansicht, dass man zurzeit die meisten Menschen nicht einmal mehr für wert erachte, ausgebeutet zu werden, und das werde immer schlimmer, es werden immer mehr werden. Das sei die Zukunft. Aber gegenwärtig sei es für die meisten immer noch völlig unmöglich, zu verstehen, was um uns herum geschieht; es verlasse uns in den wichtigsten Situationen ständig die Phantasie. Und der Wissenschaft fehle es an empirischem Material; die Wissenschaft könne uns daher nicht sagen, was uns bevorsteht, und schon gar nicht, was dagegen zu tun ist. Und die Gewerkschafter seien zu den Genossen der Bosse geworden, machen für diese die Politik statt für die eigenen Schutzbefohlenen. Und wenn ein Wissenschaftler öffentlich andere wissenschaftliche Meinungen vertrete als die Neokapitalisten, werde er fachlich lächerlich gemacht. Auch medial seien Gegenmeinungen in jeder Hinsicht unerwünscht. Das Ganze sei ein Kulturproblem geworden. Der Neokapitalismus werde in den Grundannahmen von den Leidtragenden selber nicht in Frage gestellt. Sozialdemokratische Politik habe sich verabschiedet, der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck sei für alles und jeden das Alibi. Niemand überprüfe mehr öffentlich, was öffentlich geredet wird. Kein Journalist insistiere, nicht einmal nachgefragt werde. Sie sagte, Solidarität habe es, wenn überhaupt, dann vielleicht nach dem Krieg gegeben; jetzt wolle jeder nur seine eigenen guten Geschäfte machen, indem er anderen falsche Hoffnungen mache und sie dann rücksichtslos enttäusche. Und gerade die politischen Eliten werden diesen Zustand nicht ändern, da sie sich am reichlichsten und leichtesten vom Kuchen bedienen können. Es sei keinerlei Bereitschaft zu einem New Deal vorhanden, also werde es keine wirklichen staatlichen Wirtschaftsinterventionen geben, keine wirklichen Eingriffe ins Banken- und Kreditwesen, keine Investitionen in den Sozialstaat. Aber dass eben alles nicht so sein müsse, sagte die Wissenschaftlerin Schneider im Frühling 1999 auch. Aber so werde trotzdem der Gang der Dinge sein. Wir seien nun einmal so, weil die Verhältnisse so seien. Und die seien aber unseretwegen so. Und dann sagte sie aber auch, man dürfe sich von den Unternehmen nicht erpressen lassen, sondern solle es darauf ankommen lassen. In Wirklichkeit würden die wenigsten Unternehmer abwandern. Auch nicht die hiesige Autoindustrie. Die Politik dürfe einfach nicht so schnell klein beigeben. Und man müsse soziale Phantasie entwickeln, die habe jeder Mensch, könne jeder lernen. Die Wissenschaftlerin Schneider sagte, dass Wissenschaftlern Studien über die kleinen Leute nichts einbringen, sondern Zeit verschwenden und der Karriere abträglich seien; das Prestige fördern nur die Arbeiten über die Eliten und über die obere Mittelschicht. Aber Studien über die kleinen Leute würde man gerade jetzt dringend brauchen. Und dass die gigantischen Fusionen, die überall in der Wirtschaft und in der Außenpolitik gerade vor sich gehen, zum größten Teil wieder auseinanderfallen werden, weil sie substanzlos seien, sagte sie. Und es müsse einem, einer einfach egal sein, wenn man ausgelacht wird.
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Zilian stellte öffentlich gerne die Frage: Wie kommt es, dass so viele gute Menschen so viel schlechte Politik machen? So viele gute Menschen und so schlechte Politik, wie gibt es das!? Zilian tat dabei öffentlich folgende Aporien auf:
a) Lobbying helfe in Wirklichkeit nur denen, die es betreiben; also das Engagement nur den Funktionären. Oft auch verringerten just die Helfer den Handlungsspielraum der Klienten, statt ihn zu erweitern.
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