Tag, Monat, Jahr
In der Schulung die Lacheinheiten. Das Lachen da beim Begrüßen. Und zwischendurch auch. Die sogenannte Presslufthammertechnik. Angst und bang wird’s mir, was die Leut’ alles können. Die Frau, die mir heut das Training, in dem sie für ihre Firma war, erklärt hat, findet’s zwar nicht lustig, aber es funktioniere eben so. Das hierarchische Lachen eben funktioniert von oben nach unten und die, die unten sind, dürfen aber ja nicht tief lachen, sondern mit hoher Stimme müssen die lachen. Harmlos eben wie harmlose Frauen und harmlose Kinder sein muss man da beim Lachen. Das Lachen, vor dem man keine Angst haben muss, wenn man’s hört, ist eben hoch. Hoch! Wenn man ein solches hochfrequentes zu hören bekommt, ist man dem Menschen, der so lacht, unter Garantie sympathisch. Die Weiblichkeit z. B. lacht so, wenn sie einen mag. Es gibt also ein Lachen, das andere unterwirft, und eines, mit dem man sich gut fügt und das Beste aus allem macht; ein aufbegehrendes gibt’s auch. Aber darum geht’s im Prinzip nicht, sondern immer sicherheitshalber ums Ungefährlichmachen. Egal was, egal wen. Und man soll prinzipiell beim Lachen dem anderen Menschen, egal, ob männlich oder weiblichen Geschlechts, ja nicht sofort in die Augen schauen oder gar den oder die fixieren, während man lacht, sondern erst, wenn fertiggelacht ist, kann man irgend so was probieren. Im Guten. Immer eben muss alles ungefährlich sein oder werden. Zusammen weinen ist auch wichtig, muss man auch lernen. Ist auch gut für die Firmen. Wird auch trainiert. Das stärke den Zusammenhalt. Weinen ist eine empathische Übung gegen Egozentrik und Narzissmus , sagt die Kollegin. Ja eh , sag ich und frage die Kollegin, wie viel ich denn jetzt allein weinen soll jeden Tag. Eine halbe Stunde .
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Will mit dem Vietnamesen wieder mehr Deutsch lernen. Damit er so bleibt, wie er ist. Sage, er soll mir bitte aus der Zeitung vorlesen. Er erwidert: Nein, geht nicht! Ich ärgere mich, schimpfe: Was soll da nicht gehen? Er nickt, liest, laut vor, die Schlagzeilen eines jeden Artikels. Es geht wirklich nicht. Was da steht, kann man nicht lesen. Ist eine Zumutung. Das Gratisblatt von der Haltestelle heut. Nur böse Nachrichten, nichts sonst. So etwas habe ich noch nie erlebt. Was hat die Zeitung von diesem Blödsinn? Nur Bedrohungen stehen da heute drinnen. Der Vietnamese ist auf der Flucht von seiner Familie getrennt worden und fast im Meer ertrunken. Ist aus Südvietnam. Die Gegend dort gilt als die, auf die am meisten Napalm und Agent Orange abgeworfen wurden. Nirgendwo sollen mehr Menschen gestorben sein als dort. Amerikanischer Militärstützpunkt und zugleich das Zentrum der Vietcong. Grausamstes Kampfgebiet. Ich weiß das nur aus Zufall und erst seit ein paar Monaten, ich war früher oft ungeduldig, obwohl ja eh nie etwas wirklich schwer war mit ihm. Aber hilflos eben ist er so schnell. So schnell hilflos! Und so allein und stumm. Ein immer freundliches uraltes Kind. Überhaupt nichts Böses hat er an sich. Aufgegeben da hier ist er worden. Ja, das war so. Er war wirklich immer gut. Hat nichts davon. Nie gehabt. Nur Probleme. Jetzt ist’s besser. Kann er leben. Wird so bleiben. Bitte! Ja, wird so bleiben. Alt ist er jetzt halt. Wieder eine andere Zeit kommt. In ein Heim er. Nein! Er bleibt in der Wohnung. Kann’s. Hat’s immer gekonnt.
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Der amerikanische Außenminister hat im Frühjahr 1954 dem französischen Außenminister zwei Atombomben angeboten. Die Franzosen nahmen die nicht an und verloren dadurch Vietnam. Sie sollen damals den amerikanischen Vorschlag deshalb abgelehnt haben, aus humanitären Gründen eben, weil er zur Folge gehabt hätte, dass auch die in Vietnam befindlichen Franzosen zu Schaden und umkommen. Was in Frankreich nicht gut angekommen wäre. Als die Amerikaner später dann selber Krieg führten, kostete sie jeder getötete Vietnamese, egal ob Mann, Frau oder Kind, im Durchschnitt 200.000 Dollar. Was viel Geld war. Heutzutage kostet ein jeweils getöteter Feind gewiss ein Vielfaches. Das Leben eines Menschen ist eben viel wert.
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Die Psychotherapeutin, die oft so zu kämpfen hat, dass sie während der Therapiestunden ja nicht einschläft. Das ist nicht aus Langeweile so bei ihr, sondern weil die Geschehnisse ihr so nahe gehen. Bedrücken eben. Sie wird sehr gemocht. Ist deshalb eine so große Hilfe, weil sie die Leute in Arbeit bringen kann. Das ist die größte Hilfe. Ein normales Leben eben. Der fällt auch immer etwas ein, was man doch noch tun könnt’. Der Kindertherapeut dann, andere Praxis dann heut, der nicht will, dass der Bub seinem Vater abgenommen wird. Die Kollegen sagen aber alle, dass es notwendig sei. Die Kolleginnen auch. Aber der Therapeut will das nicht, weil das Kind will, dass dem Vater geholfen wird. Der Vater kann nichts. Nicht mehr und gar nichts kann der. Findet auch keine Arbeit. Einen Salat heute in der Früh hat er zusammengebracht. Den hat er sich gemacht. Zum Frühstück. Dem Buben auch. Aber zusammengebracht hat er’s, das ist wichtig , sagt der Therapeut zu mir, und dass jedes Kind ein Recht auf seine Eltern habe und die Eltern haben ein Recht auf ihre Kinder und die eigene Familie sei ein Menschenrecht. Hat mir heut eh erklärt, woher er weiß, was das Kind will. Aber ich hab’s wirklich wieder vergessen. War alles sehr viel auf einmal heut. Natürlich weiß er, glaub ich, es auch von sich selber her, weil er ja seinem Vater immer helfen wollte und dass sie eine Familie sind mit der Mutter. Vergeblich eben als Kind war das. Von Kind zu Kind weiß er es! Der Bub ist immer so laut, dreht auf, durch, hat der Therapeut zu mir gesagt, alle in der Praxis nerve das inzwischen. Aber den Therapeuten eben nicht. So, jetzt weiß ich es wieder. Dem Papa helfen! Das hat der Bub gesagt. Selber. So einfach ist das. Und ich vergesse das einfach. Wie gibt’s das? Dem Papa helfen! Und jedes Mal eben, wenn das dann eben wirklich geschieht, wird der Bub sich beruhigen. So sieht der Therapeut das. Beide muss er beruhigen. Stillen eben. Habe auch vergessen, ob die Mutter auf und davon ist oder gestorben. Irgendetwas Schlimmes war gewesen. Ein Scheißblutkrebs in der Gosse. Das war’s. Der Therapeut hat dann gesagt, die Kinder, mit denen er zu tun habe, seien immer irgendwie im Krieg. Immer haben die Krieg. Von uns da hier Kinder sind das. So wachsen die auf hier. Raus da, schnell! Zu mir her! Weiter jetzt! – so ist der Therapeut daher beschaffen. Der ist wirklich so. Eben weil Krieg ist. So schnell wie möglich so sicher wie möglich , so hat der’s in der Ausbildung gelernt und so tut er das, weil eben nur das richtig ist, weil eben Krieg ist.
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Kein einziger Witz gelingt mir. Alle so gut gelaunt und ich bring keinen einzigen Witz an. Einer sagt wenigstens, was ich sage, ist lächerlich. Immerhin was!
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Eine Frau sagt, ihr Name habe ihr in ihrer Heimat nie gefallen, aber hier jetzt werde er irrtümlich so oft anders, eben falsch, ausgesprochen, aber dadurch gefalle er ihr viel besser und komme ihr ihr Name viel schöner vor.
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Warum gibt es in der Schule kein Unterrichtsfach, das Helfen heißt, und warum im Fernsehen kein Friedensprogramm? In der Schule ein Lernfach, das Helfen heißt, und im Fernsehen ein paar Stunden pro Woche ein Friedensprogramm! Auf jedem Sender die Analysen, was man wo tun kann, und in jeder Schule Helfen als Pflichtfach für da hier.
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Es heißt, bald werde man das ganze Gesicht transplantieren können. Ganze Gesichter. Das wird seltsam werden.
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Die runden Sandkörner hat der Wind gebracht, die eckigen das Wasser.
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