Keine Stopp-Schilder mehr?! Foto: www.lupispuma.com
Doch die Idee, SUB 8, nahm immer mehr Gestalt an. Immerhin wollten wir die besondere Erfindung eines Rennrads, einer futuristisch anmutenden „Zeitfahrmaschine“, verwenden. Diese werden im Profi-Radrennsport normalerweise für Prologe über wenige Kilometern und lange Mannschaftszeitfahren von gerade mal 70 Kilometern verwendet, aber wir wollten einen Vorteil für vermutlich 1.500 Kilometer oder sogar mehr. Im Langstrecken-Triathlon, dem Ironman (3,8 km schwimmen, 180 km Rad fahren, 42 km laufen), benutzt man ja bereits seit Jahren die etwas aerodynamisch entschärften Zeitfahrräder für die ca. 180 Kilometer der Raddistanz. Aber würde dies auch auf mehrere 100 Kilometer funktionieren? Im herkömmlichen Profi-Radsport haben die flachen Einzel- und Mannschaftszeitfahren schon oft Etappenrennen wie die Tour de France, Giro d’Italia, Vuelta etc. entschieden. Die andere Rahmengeometrie im Vergleich zu einem normalen Straßenrennrad, die aerodynamischeren Rohrquerschnitte, Zeitfahrlenker, aber vor allem die wettkampfspezifisch günstigere Sitzposition, die den Radfahrer etwas weiter vor über das Tretlager bringt, in Kombination mit einem Zeitfahraufleger schaffen sekundenweise Zeitersparnis auf jedem Kilometer. Und genau diesen Vorteil wollten wir nutzen.
Steve Jobs, gespielt von Ashton Kutcher, wurde in seiner Film-Biografie folgende Aussage in den Mund gelegt:
„Man kann nicht die Konkurrenz beobachten, um es besser zu machen.
Man muss die Konkurrenz beobachten, um es anders zu machen.”
(Steve Jobs, Film-Biografie, 2013, Minute 72)
Zeitfahrräder tauchten doch in Team- bzw. Staffelbewerben immer wieder für kurze Strecken bei Langstrecken-Radrennen auf. Doch wieso nutzten es die Solofahrer noch nicht konsequent? Der Österreicher Gerhard Gulewicz fuhr als Solo-RAAM-Teilnehmer bereits 2009 mit Zeitfahrhelm aerodynamisch optimiert über die schnurgeraden Straßen von Kansas. Er blieb damals die Ausnahme. (Obwohl bereits die innovativste Kraft im Radsport, der Triathlon, und ein gleichnamiges Magazin im Jahr 2005 der Aerodynamik seitenweise Raum gaben. Dort bestätigte man zwei Prozent Leistungsersparnis nur durch Verwendung von Zeitfahrhelmen.)
Rennrad versus Aerorad Foto: www.lupispuma.com
Nach den Stunden, Tagen, Wochen der Vorbereitungen, der Optimierungen und des Trainings auf dem Zeitfahrrad half dennoch nur eines: TUN. Die drei Buchstaben, die schon Goethe als Erfolgsfaktor definierte. Als Generalprobe für das RAAM 2013 durfte also das Race Across Italy fungieren. Halb so kurz wie das Race Around Slovenia und vor allem mit dem Termin Mitte April gab es ausreichend Regenerationszeit bis zum Start des RAAM Mitte Juni. Die wunderschöne Strecke von 630 Kilometern mit 5.000 Höhenmetern führte von Nettuno im Süden von Rom auf die andere Seite der Küste nach Chieti (Pescara) und wieder retour. Laut Streckenprofil ein idealer Testparcours zur Kontrolle der Arbeit an der Sitzposition von Winter und Frühjahr. Und so war es dann auch. Die im vorangegangenen Coaching angepeilte Zielzeit von 19 Stunden konnte Christoph weit unterbieten und einen eindrucksvollen Sieg bei der Pendelfahrt quer durch Italien mit nach Hause bringen. Mit einem fast unglaublichen Schnitt von 35,5 km/h, einer Fahrzeit von 17 Stunden 44 Minuten, distanzierte er die nachfolgenden um mehrere Stunden. Christoph konnte damit eine perfekte Generalprobe für die Verwendung eines Zeitfahrrades bei einem Langstreckenradrennen liefern. Und damit war ein weiteres Mosaiksteinchen für das Ziel „Sub 8“ beim RAAM 2013 in erreichbare Nähe gerückt. Zumindest für uns wurde ab nun ein gemeinsamer Nenner, der alle schnellen Sportarten eint, mit ins Team geholt: die Aerodynamik!
Wechsel auf das Zeitfahrrad RAAM 2013 Foto: www.lupispuma.com
Schlussfolgerung
Wenn man nahe an menschlichen Grenzen arbeitet bzw. diese sogar überschreiten möchte, hat man zwangsläufig immer mit Innovation zu tun. Eine Innovation ist aber erst dann eine Innovation, wenn aus einer Idee eben ein neues Produkt, ein neues Denken, umgesetzt wurde und wahrhaftig erfolgreich Anwendung gefunden hat und im besten Fall dupliziert wurde und in der Welt einen Markt – eine Wiederholung – gefunden hat. Christoph Strasser setzte mit seinen 7 Tagen 22 Stunden und 11 Minuten, die er für das Race Across America 2013 benötigte, einen Meilenstein. Dieser Weltrekord, als erster Mensch in der Geschichte dieses Rennens den amerikanischen Kontinent unter acht Tagen mit einem Fahrrad zu durchqueren, fand sich sogar im Guinness-Buch der Rekorde wieder. Nicht umsonst war er darin auf seinem Zeitfahrrad abgebildet.
Möchte man letztendlich innovativ sein, kann es nicht anders funktionieren, als die gewohnten Wege zu verlassen und möglicherweise Risiken auf sich zu nehmen – oder menschlich ausgedrückt: seine persönliche, gewohnte Komfortzone zu erweitern. Die Zeichen der Zeit zu erkennen und im richtigen Moment am richtigen Ort die richtige Entscheidung zu treffen, ist das große Mirakel gelungener Innovation oder sogar seines Lebens. Die Geschichte der Fehleinschätzungen unserer Menschheitsgeschichte ist lang. Der Bogen spannt sich von einer Musik-Combo aus Liverpool, bei deren Probeaufnahme 1962 die Plattenbosse entschieden haben, dass sich so etwas nie verkaufen lasse. – Nicht einmal ein Jahr später führten die Beatles die Charts nicht nur an, sondern dominierten das Musikgeschehen für viele Jahre. Doch auch in der neueren Zeit gab es ausreichend unerkannte und ungenutzte neue Ideen, die innovativ letztlich eine ganze Generation prägen durften. Joanne K. Rowling blitzte bei sechs Verlagsmanagern mit ihrem Manuskript zu Harry Potter ab. Einer erkannte die Chance eines Bestsellers, griff zu und machte aus der Autorin nach insgesamt sieben Bänden Harry Potter und gleich vielen Filmen die erste Schriftstellerin der Welt, die mit Büchern über eine Milliarde Dollar verdiente. Viele Klassiker der nicht erkannten Innovation liefert die Geschichte der Technik. Selbst Nobelpreisträger Albert Einstein gab der friedlichen Nutzung der Atomenergie keine Chance, weil er sich zu sehr für deren kriegerische Verwendung schämte.
Legendärer sind natürlich die ökonomischen Einschätzungen und Reaktionen auf die technischen Innovationen unserer Kommunikation. Bei der Einführung des Telegramms lautete der allgemeine Tenor: Brauchen wir nicht, wir haben ja Briefe. Bei der Einführung des Telefons: Brauchen wir nicht, wir haben ja Telegramme. Bei der Einführung des Computers: Brauchen wir nicht, zu teuer und wir haben ja Schreibmaschinen. Eine ähnliche Fehleinschätzung beging auch Microsoft-Chef Steve Ballmer: Er sah im iPhone lediglich ein Randgruppenphänomen. Laut einer Studie aus dem Juli 2015 hat Apple mit dem iPhone in den USA einen Marktanteil von 50 Prozent aller verwendeten Smartphones. Ein Randgruppenphänomen, das sich seit der Markteinführung 2007 weltweit bis zum März 2015 700 Millionen Mal verkauft hat. Möglich nur, weil Steve Jobs sein Motto „Denke das andere“, nämlich das, was alles noch möglich wäre, konsequent verfolgte. Bereits vor dem Jahr 2000 begann die technische Entwicklung und die Ideenreifung eines Multi-Touch-Bildschirms, der später zu den berühmt-berüchtigten Wischhandys der Jetztzeit führte.
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