Übrigens, was es doch alles gibt zu dem Thema Abort. Vor einiger Zeit las ich in der Frankfurter Rundschau: Tempo sucht Deutschlands öffentliche Vorzeigetoilette. Bitte fotografieren. Einsendeschluss: 28.2.2013. Aus dem Internet toilettenpapier.tempo.net/Vorzeigetoilette erfahre ich, dass die Tempo-Jury aus den zehn meistgewählten Toiletten drei Sieger auswählen wird. Die erhalten dann eine Auszeichnung in Form einer Plakette, da steht drauf: Stilvollstes stilles Örtchen 2013. Dieser Titel wird – grammatikalisch gesehen fälschlicherweise – dreimal vergeben, und dazu erhalten die Titelträger noch je tausend Rollen des neuen 4-lagigen Tempo Klopapiers.
Dazu möchte ich anmerken: Erstens, unser Thorburg-Abort war öffentlich, nicht nur die Hausbewohner, sondern jeder, der von der Straße in großer oder kleiner Not herbeigeeilt wäre, hätte ihn und hat ihn benutzen dürfen. Zweitens, ich besaß damals schon einen Fotoapparat mit den Einstellungen Sonne und Wolke und nah und fern und hätte unseren Abort fotografieren können, zum Beispiel vom Garten her mit einem ins Bild hineinragenden Zweig. Aber leider: Wieder einmal habe ich von nichts gewusst und bin zur falschen Zeit (damals statt heute) am falschen Ort (Österreich statt Deutschland) gewesen. Dabei hätten wir uns über echtes Klopapier von der Rolle statt der harten Zeitungspapierblätter, die man immer erst lange und vorsichtig weich rubbeln musste, alle gefreut, und auch über eine glänzende Plakette. Die hätten wir außen an die Tür schrauben können, da hätte sie nächtens ein wenig geblinkt, da wäre ich nicht, wie einmal geschehen, tramhapert (verschlafen) gegen den Türstock gerannt und mit blutiger Nase zu mir gekommen. Ach ja, hättenhättenhättewäre !
Wir gehen weiter durch die Thorburg – sollen wir aufi oder obi? Gehen wir obi, die enge gewundene Holzstiege hinunter zu den Kellerräumen. Vom Keller-Vorhaus führt die hintere Haustür nach draußen in den Hof und die Kellertür nach hinten in die drei Gewölberäume ohne elektrisches Licht, mit Fußböden aus gestampfter Erde und eisernen Ringen an den Wänden, deren Zweck wir nicht mehr kennen. In diesen Räumen sind Kohlen und Erdäpfel und unser Regal mit den Vorräten in Gläsern. Rechts und links vom Vorhaus liegt noch einmal jeweils ein Raum mit einem Fenster zum Hof. Im kleineren der beiden Räume wird Holz gelagert; früher war darin Opa Rumplers Schusterwerkstätte. Dort ist er gesessen und hat die Weiße Frau vorbeihuschen sehen, und dann hat er durch das Fenster gesehen, wie sie sich draußen im Hof aufgelöst hat – ihr Fading-away hat er gesehen, ganz deutlich. An der Seitenwand des kleinen Raumes, nach Osten zum Gassl hin, gibt es ein jetzt zugemauertes Riesenfenster. Vielleicht wurden da früher einmal die kaputtenSchuhe hinein- und reparierten Schuhe hinaus- und des Schusters Lohn hinein- und das Wechselgeld hinaus- und die neuesten Neuigkeiten hinein- und hinausgereicht.
Im größeren der beiden Räume hausen Herr und Frau Steiner, ein Ehepaar. Die beiden gehen und kommen über die hintere Haustür und haben ihren eigenen romantischen Abort im Hof. Ich sehe sie selten. Wenn ich sie grüße, geben sie mir keine Antwort, schauen so komisch vor sich hin und durch mich durch. Die zwei sind mir nicht geheuer, ich drücke mich hurtig an ihnen vorbei. Der Mann, schwarzborstig und braunhäutig – a schiacha Louta, sagt meine Mutter – schaut dem Bierführer ähnlich, der Amas Gasthaus im Feenthal beliefert hat, aber er ist ein Rauchfangkehrer (Schornsteinfeger) und er lacht nie. Seine Frau trägt das glatte aschblonde Haar ganz kurz und hat auf einer Wange ein großes Feuermal. Sie übt den Beruf eines Maurers – ei-ner Maurerin aus. Wüsste man nicht, dass sie des Rauchfangkehrers Frau ist, könnte man sie für einen kleinen Mann ohne Bartwuchs halten – also auch nicht eindeutig Mann. Ein fremdartiges Wesen in Hosen, das ist sie für mich gewesen.
Diese beiden, die ich stets nur in Arbeitskleidung gesehen habe, zogen bald aus. Ihr Name blieb dem von ihnen bewohnten Raum erhalten, der hieß fortan
Steiner-Keller. Meine Großeltern und meine Eltern nutzten ihn zur Lagerung alter Möbel – als ein Mobiliendepot hinter dem Hof, unterscheide davon das Hofmobiliendepot (Wien).
Bevor wir jetzt treppauf zurückgehen, machen wir einen kurzen Abstecher in den Hof hinaus. Wir lümmeln uns aufs Geländer über der Stützmauer, an die sich ein Aprikosenbaum lehnt, und schauen in den sommerlichen Garten hinunter: Blumen, Gartenbeete mit Salat und Gemüse, Beerensträucher, Leinen für die Wäsche, ein Apfelbaum mit Tisch und Bank darunter, eine saftige Wiese – Augenweide. Wir genießen den Ausblick und die frische Luft, denn durchs Haus ziehen nicht immer frische Gerüche.
Wir gehen die Stiege wieder aufi und weiter die gleiche enge gewundene Holzstiege in den ersten Stock. Dort wohnen wir, ich und meine Eltern, und wie wir dort wohnen, habe ich schon erzählt. Uns gegenüber in zwei Räumen, der größere ist wie bei uns abgeteilt, aber bei denen nur mit einem Vorhang, wohnt die Familie Trappl: Vater, Mutter und zwei halbwüchsige Söhne, etwas älter als Hemu & Wene und ganz desinteressiert an mir. Wenn diese Buben miteinander raufen, hören wir’s poltern, und in das Holterdiepolter hinein
schreit die Mutter, droht ihnen Schläge mit dem Pracker (Teppichklopfer) an. Wenn sie tatsächlich hinhaut, erwischt sie keinen, denn vor dem mütterlichen
Schlag springen die beiden behände auseinander, und da Pracka schnalzt ins Leere. Woher ich das weiß? Vielleicht habe ich durch die halboffene Tür gespäht oder durchs Schlüsselloch oder gar durch die Wand – Kinder können so etwas. Der erzieherische Einfluss, den Frau Trappl mit ihrem Geschrei unter Zuhilfenahme des Prackers nimmt, geht also ins Leere, die Herren Söhne lassen sich durch die mütterliche Intervention immer nur kurz vom Raufen abbringen. Wenn die Buben heimkommen oder fortgehen, lassen sie die Tür beim Schließen los und geben ihr einen Schubs, da fällt sie zu und es tut ei-nen Schlag. Bei dem Schlag zucken wir, die wir gegenüber wohnen, jedes Mal zusammen. Einmal ging meinem Vater doch wirklich der Hut hoch, obwohl er gar keinen aufhatte, so krass war der Schlag gewesen. Da ist mein Vater hinübergegangen und hat den Buben gezeigt, wie sie die Tür bitte ordnungsgemäß schließen könnten. Doch auch diese Intervention, das Einschreiten meines Vaters, blieb ohne positives Ergebnis, die Buben gewöhnten sich keine leisere Türschließtechnik an. Wir waren es, die sich an die Schläge gewöhnen mussten, und an ihr Getrappel durchs Stiegenhaus, und ans Gepolter in ihrer Wohnung.
Frau Trappl ist umgänglich und eine hübsche Frau. Aber sie trägt im Haus immer so einen grauen Geschäftsmantel, wie ihn manche Verkäufer und Verkäuferinnen anhaben, und ihr langes dunkles Haar hat sie aufgeknotet und mit einem nach oben gebundenen Kopftuch bedeckt. Einmal die Woche geht sie mit ihren Fleckerlteppichen (Flickenteppichen) und dem Pracker in den Hof hinunter. Sie hängt einen Teppich über die Teppichstange und haut drauflos, dass es durch die Gärten und durch die Alte Straße knallt, und man es noch unten in der Bachgasse und oben in der Burggasse hören kann. Der Schweiß rinnt ihr übers Gesicht, immer wilder haut sie zu, ich glaube, sie denkt dabei an ihre Söhne, vielleicht nicht nur. Nachdem sie ihre drei Teppiche durchgehauen hat, ist sie ganz gelöst und dschrawodelt und lacht mit den Nachbarn.
Herr Trappl ist auf Frühschicht oder auf Nachtschicht; wenn er zu Hause ist, schläft er einen tiefen Schlaf. Wir können ihn ab und zu durch die Wand schnarchen hören. Was sein Äußeres betrifft, kann man ihn mit den Herren Egger und Pi aus dem Feenthal in eine Schachtel stecken: drei Pykniker mit Hut und mit Bart zwischen Oberlippe und Nase, und alle drei haben sie eine größere Ehefrau – einer sogar quasi zwei, beide größer als er.
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