lauscht und überlegt, unheimlich sei es ihnen zumute gewesen. Am Morgen sei dann ein Stuhl fast in der Mitte der Küche gestanden und mein Vater habe geschworen, er habe den nicht dahin geschoben, bestimmt nicht.
Als mir meine Mutter von diesem nächtlichen Spuk berichtete, gruselte ich mich nicht, ich hatte meine Grusel-Hochphase schon hinter mir und dachte nur, die spinnen, die beiden. Wahrscheinlich haben sie zur gleichen Zeit den gleichen Traum gehabt und sind beide davon wach geworden. Solche Zufälle gibt es, die sind zwar verblüffend, aber nicht gespenstisch. Und der Stuhl? Jo mei, das wird mein Vater gewesen sein, im Halbschlaf. Womöglich hat er ihn weggeschoben, weil er unter den Tisch schauen wollte, ob sich da einer ver-steckt hat, und jetzt kann er sich halt nicht mehr daran erinnern.
Weil wir mit dieser Spukgeschichte nun schon einmal in unsere Wohnung geraten sind, wollen wir, liebe Leser, uns da gleich näher umschauen. Kommen Sie bitte mit!
Unsere drei Räume liegen im ersten Stock über den beiden Räumen der Großeltern und entsprechen mit der Gesamtfläche von ungefähr vierzig Quadratmetern in etwa der Grundfläche unseres Holzhauses im Feenthal. Durch die Wohnungstür treten wir direkt in unsere Küche, eine Wohnküche. Sie liegt zwischen dem Kabinett, Schlafzimmer meiner Eltern (auch hinteres Zimmer genannt), und dem Wohnzimmer (auch vorderes Zimmer und später kleines Wohnzimmer genannt), von dem sie durch eine Bretterwand abgeteilt ist. Deshalb hat sie kein eigenes Fenster, Tageslicht bekommt sie durch die Glastüren zu den beiden Zimmern. Rechter Hand stehen der Herd und die Abwasch (Spüle), linker Hand der Tisch und drei Stühle und unser Badezimmer, das Waschkastl (Waschschränkchen). Das Waschkastl ist so hoch wie der Tisch, hat vorne eine breite und seitlich eine schmale Tür. Hinter der breiten Tür steht ein Kübel (Eimer) und hinter der schmalen Tür ist ein nach vorne herausschiebbarer Handtuchhalter. Oben hat das Kastl einen Deckel und darunter steht die Lavur, daneben ist Platz für die Seife und den Handtuchhalter. Wenn man sich gewaschen hat, kann man die Lavur herausheben und das Schmutzwasser in den darunter stehenden Kübel leeren. Den Handtuchhalter mit dem feuchten Handtuch kann man nach vorne herausziehen, damit das Handtuch trocknet; wenn es trocken ist oder jemand zu Besuch kommt, schiebt man ihn hinein. Das klingt alles umständlich, war aber für uns ein Fortschritt gegenüber der Lavur auf dem Stockerl. Geradeaus steht der hohe weiße Küchenschrank, die Kredenz (Anrichte), zu der gehen wir jetzt hin und ziehen eine Lade heraus, schauen, was drin liegt. Aha, da liegt das Besteck drin. Wir schieben die Lade wieder hinein und ziehen die Lade daneben heraus, da liegen Schöpfer Kochlöffel Erdäpfelstampfer Reibeisen Schneebesen. Alles hat seinen Platz hier, meine Mutter hält Ordnung. Wir schieben die Lade wieder hinein. Jetzt gehen wir an den Tisch mit dem karierten Wachs-tischtuch und der Blumenvase und dem Keramikaschenbecherchen, mehr Nippes als Gebrauchsgegenstand – wenn Opa K. seine Pfeife anzündet, holt meine Mutter den großen Aschenbecher von oben von der Kredenz herunter. Wir gehen also an den Tisch, ich rücke den einen Stuhl zurück und setze mich drauf. Gemütlich sitzt es sich hier und anheimelnd wäre es, bekäme ich Kaffee serviert (Sie, liebe Leser, bekämen auch einen, klar, Stehkaffee). Aber: Ei der Daus, wer kommt denn da? Mich dünkt, ich sehe meinen Vater, im Nachtgewande. In einem weißen Nachthemd kommt er daher, wie Hamlets Vater, peinlich! Was will der denn hier? Grad jetzt, wo ich eine Führung mache! Er schaltet das Licht ein und schaut sich um, er scheint etwas zu suchen. Er grüßt uns nicht einmal, geschweige denn, dass er einen Kaffee dabei hätte. Er schaut durch uns durch, er ignoriert uns. Er rüttelt an der Eingangstür, schaut ins Wohnzimmer hinein, schüttelt den Kopf, schaltet das Licht aus und geht zurück ins Schlafzimmer. Seltsam, ob er im Schlafe wandelte? Mein Vater, ein Schlafwandler? Weil’s mit dem Kaffeetrinken eh nichts wird, stehe ich wieder auf; dabei rücke ich den Stuhl noch einmal etwas zurück, in Richtung Küchenmitte, und wir gehen in das Wohnzimmer. Moment mal – ich hab vergessen, den Stuhl wieder an den Tisch zurückzuschieben. Ach, wurscht egal, wir müssen weiter im Text.
Bald nach unserem Einzug hatte meine Mutter im vorderen Teil der Küche einen Vorhang angebracht. Wenn echte Besucher kamen, womöglich noch überraschend, zog sie den mit grünen Blättern und roten Kirschen bedruckten Vorhang zu und entzog so herumstehendes Geschirr und andere Unaufgeräumtheiten ihren Blicken. Dann geleitete sie die Besucher durch den Quasi-Vorraum ins Wohnzimmer zur Sitzgruppe mit der Bettbank und den zwei Foadöis (Fauteuils) ums runde Tischchen, da mussten sie sich hinsetzen. Wir, liebe Leser, bleiben stehen und schauen uns um. In der Ecke hinter der Sitzgruppe steht eine Kommode, darin sind der Plattenspieler und Schallplatten untergebracht, und auf der Kommode steht ein Radio. Links davon in der nächsten Ecke, nach dem Ostfenster, steht die Nähmaschine meiner Mutter und daneben zwischen den beiden Fenstern nach Norden ein kleiner Schreibtisch für mich. An manchen Nachmittagen sitzen meine Mutter und ich einträchtig nebeneinander, sie näht und ich erledige meine Hausaufgaben. Mein Vater, wenn er schon zu Hause ist, liegt ab und zu auf der Bettbank und döst; nachts schlafe ich dort. Gleich neben dem Zimmereingang links steht der schwarze Ofen an der Wand und daneben, geschützt durch einen Wandschirm, der breite dunkelglänzende Kasten (Schrank), den wir Sekretär nennen. In den beiden Seitenteilen beherbergt er je eine Hängeabteilung, eine für den Vater und eine für Mutter und Kind. Im mittleren Teil unten liegen Bettwäsche und Leibwäsche, im aufklappbaren Fach darüber die Fotografier-Utensilien meines Vaters, Fotoapparat Stativ Belichtungsmesser und so weiter, und das Schachspiel. Mit den Schachfiguren hatte ich früher gespielt wie mit Puppen, und viele Male hatte ich meinen Vater angebettelt, mir das echte Spiel mit ihnen beizubringen. Aber er wollte nicht – sei zu schwer für mich, viel zu schwer. Irgendwann hat er mich überzeugt gehabt und ich hab mein Lebtag lang keinen Versuch mehr unternommen, das Schachspiel zu erlernen – zu schwer für mich. Über dem Klappfach hinter zwei gläsernen Schiebtüren ist unsere Bibliothek: Meisterwerke Deutscher Klassik, Das Buch von San Michele, Lebenslauf eines Optimisten, und noch ein paar andere. Was? Das sei keine Bibliothek? Dann lesen Sie doch bitte einmal A Series of Unfortunate Events, da gibt’s wesentlich kleinere Bibliotheken. Im Fach über den Büchern ist unsere Hausbar: Wein- und Schnapsgläser und Mutters selbst angesetzter Kräuterschnaps und Mutters selbst hergestellter Eierlikör und ein gekaufter Slibowitz.
Unser Wohnzimmer ist ein Multifunktionszimmer: Empfangszimmer Musikzimmer Arbeitszimmer Hobbyraum Kleiderkammer Bibliothek Bar Ruheraum Schlafzimmer, und einmal im Jahr ist es unser Weihnachtszimmer. Ins winzige Schlafzimmer meiner Eltern auf der anderen Seite der Küche gehen wir jetzt nicht mehr hin, dort gibt es außer den Betten nicht viel zu sehen und wo-möglich schlafen die gerade drin und wir würden sie wecken.
Die Wohnungsführung ist hiermit zu Ende. Nicht mehr besichtigt werden die beiden Außenstellen: der Kasten auf dem Dachboden und das Regal im Keller. Im Dachbodenkasten liegen der Christbaumschmuck und andere Dinge, die wir gerade nicht brauchen, aber vielleicht wieder einmal brauchen könnten; die Koffer, mit denen wir im Sommer verreisen, liegen unter den Betten meiner Eltern. Auf dem Regal im Keller stehen Gläser mit Marmeladen und Mixed Pickles.
Ja, Sie haben recht, unsere Wohnung war klein, aber das Leben auf so kleiner Fläche, wie es neuerdings in Großstädten wie Tokio und New York en vogue ist, hat Vorteile: Man sammelt weniger Unnötiges an, man spart Heizkosten, man spart Stromkosten, man verbringt mehr Zeit außerhalb der Wohnung (dabei spart man wieder Heiz- und Stromkosten) und im Freien, weshalb man kein Vitamin D einzunehmen braucht – nochmal gespart.
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