»Unser Konzern braucht dringend Ihre Unterstützung bei wichtigen Transaktionen.«
»Verstehe.« Die Erleichterung war ihm wohl anzuhören. Er wartete auf die Einzelheiten, doch Li sagte nur:
»Ich habe Ihnen alles Nötige in die Bank gefaxt.«
»Gut, gut. Ich werde mich gleich morgen früh darum kümmern.«
»Ah – das ist leider zu spät, Mr. Bauer. Die erste Transaktion muss bei Handelsbeginn abgeschlossen werden. Ist das möglich?«
»Selbstverständlich. Handelsbeginn …«
»Schanghai, ja.«
Wusste er es doch: eine kurze Nacht. Aber Sieger sollten sich nicht über Schlafmangel beklagen. »O. K., Mr. Li. Ich fahre gleich los. In drei Stunden bin ich in Zürich.«
»Ausgezeichnet, Mr. Bauer. Wir sprechen uns.« Damit war die Leitung tot.
»In drei Stunden nach Zürich an einem Sonntagabend?«, fragte sein Mechaniker, der ihn zum Pressetermin abholen wollte. Er grinste spöttisch. »Eher optimistisch, würde ich sagen. Was ist los?«
»Dringende Geschäfte. Ich muss los, sorry.«
Nicht das erste Mal überließ er seinem Team die Pressearbeit, aber die Siegerehrung musste er bisher noch nie ausfallen lassen. Schwamm drüber, sagte er sich. Gute Geschäfte winkten. Bisher war noch jede von Goldzahns Aktionen bares Gold wert. Eine Viertelstunde später brauste er auf der A6 Richtung Karlsruhe. Verschwitzt, aber bereit zu jeder Schandtat. Die paar Minuten bis zum Autobahnkreuz Walldorf hatte er Glück, aber auf der A5 verdichtete sich der Verkehr von Minute zu Minute, dass er am Schluss ebenso gut mit dem Fahrrad nach Basel hätte fahren können, statt in seinem schicken 6er Cabrio. Der notorische Stau gab ihm wenigstens genug Zeit zum Telefonieren. Einmal mehr versuchte er mit dem Knopf im Ohr, seine Händlerin zu erreichen.
»Nimm ab. Mach schon, verdammt«, fauchte er wütend, als er wieder nur den Summton hörte.
»Was soll ich machen?«
Charlottes Stimme hörte sich verschlafen an. »Endlich«, seufzte er. »Störe ich?«
»Robert, mein Lieber. Hast du eine Ahnung, was für ein Tag heute ist?«
»Hochzeitstag?«, blödelte er. Seine Lotte war ein ebenso eingefleischter Single wie er.
»Sonntag, lieber Chef. Heute ist Sonntag. Mein freier Tag, um genau zu sein. Also, was willst du? Mach es kurz, bitte. Ich bin müde.«
»Warum auch immer«, brummte er böse. »Hör zu. Goldzahn hat einen Auftrag gefaxt. Er braucht uns für eine Aktion gleich bei Handelsbeginn in Schanghai. Wäre nett, wenn du die Sache anschauen könntest. Ich bin unterwegs, werde aber noch drei, vier Stunden brauchen.«
»Schanghai. Ich bin begeistert. Was für eine Aktion soll das sein?«
»Keine Ahnung. Du weißt, er spricht nicht gern am Telefon über seine Geschäfte.«
»Sicher. Mal sehen, ob ich die Bank in meinem Zustand noch finde.« Sie unterstrich die Antwort mit lautem Gähnen.
»So besoffen kannst du gar nicht sein.«
»Ich dich auch«, stöhnte sie und legte auf.
»Ein Schätzchen, die Lotte«, murmelte er grinsend. Sie mochte manchmal eine ausgesprochene Kratzbürste sein, aber zuverlässig war sie, sieben Tage die Woche, rund um die Uhr. Die Stadt schlief schon, als er um Mitternacht vom Landesmuseum in den Bahnhofquai einschwenkte. Am Sonntagabend ging das anständige Zürich früh zu Bett, dachte Robert abschätzig. Fit musste man sein am Montagmorgen im Büro. Der sittenstrenge Reformator Zwingli beherrschte noch immer heimlich das Leben in seiner sonst ganz vernünftigen Stadt. Wenigstens brauchte er sich um diese Zeit nicht über Idioten auf der Straße aufzuregen. Die Tiefgarage der Bank am Paradeplatz war leer, trotzdem nahm er an, dass Charlotte schon eine ganze Weile über Goldzahns Fax brütete. Sie wohnte in der Nähe, mitten in der Stadt, kam stets zu Fuß zur Arbeit. Er wusste nicht einmal, ob sie überhaupt motorisiert war, obwohl sie schon seit vielen Jahren neben ihm am Handelspult saß.
»Wenn du mich fragst, riecht das ganz nach alter Masche«, begrüßte sie ihn, ohne den Blick von ihren Bildschirmen zu lösen.
Er legte ihr eine flache Schachtel neben die Tastatur. »Meinst du das?«
»Studentenküsse!«, rief sie begeistert und sprang auf. Ein Augenzwinkern später verschwand ein Kleingebäck in ihrem Mund.
Das letzte Mal hatte er die süße Versuchung aus Heidelberg vergessen, worauf ihr vorübergehend ein paar Haare mehr auf den Zähnen gewachsen waren. Er nahm das Fax von ihrem Pult und vertiefte sich in Goldzahns ausführliche Anweisungen. Der chinesische Unternehmer liebte es, seine Wünsche in langatmige Prosa zu fassen, deren Sinn sich ihm erst nach und nach offenbarte. Der Text steckte voller subtiler Hinweise. Nebensätze, die nur der Ausschmückung dienten, verdichteten sich zu einer zweiten Informationsebene hinter den eigentlichen Anweisungen. Der Subtext verriet ihm Goldzahns Motivation und seine Sicht auf das Marktgeschehen. Eine Sicht, die ihm und der Bank schon fette Profite beschert hatte. Er verstand nun Charlottes Kommentar. Der Auftrag lautete, mit Devisengeschäften und Börsentransaktionen Cash zu beschaffen für den über die nächsten Wochen gestaffelten massiven Ankauf von Lithium aus Chile und Argentinien. Gleichzeitig sollten die Aktienbestände der zwei Firmengruppen, die in den USA hauptsächlich Komponenten aus diesem Rohmaterial herstellten, verkauft werden. Ein Déjà-vu. Ein ähnliches Fax hatte er vor vier Jahren schon einmal gesehen. Damals ging es nicht um das weit verbreitete Lithium, das man für Akkus, Elektroautos und Spezialgläser benötigte, sondern um das Seltene Erden Metall Neodym.
»Die alte Masche, wie du gesagt hast«, murmelte er nachdenklich.
Sie nickte mit vollem Mund. Die halbe Schachtel war leer. Sie spülte die klebrige Schokolade mit Cola hinunter, dann meinte auch sie in Gedanken versunken: »Diesmal schießt er sich auf Lithium ein.«
»Li kauft Li – passt«, grinste er, doch er war sich keineswegs sicher, ob er sich auch diesmal freuen sollte. »Er wird wissen, was er tut, packen wir’s.« Ihre Transaktionen würden bereit sein, wenn die Märkte in China öffneten. Und sein Broker in Zug durfte sich auf ein paar einträgliche Geschäfte freuen. Der Geizkragen müsste ihm sowieso wieder einmal einen Abend in der ›Kunststuben‹ an der Goldküste finanzieren.
Fort Meade, Maryland
Die zartbittere Schokolade war also verlobt. Gedankenverloren schaute Alex zu, wie die Sicherheitsbeamtin ihre Tasche durchwühlte. Sie hätte es sich ausmalen können. Eine solche Stimme, dazu noch in einer knackig sportlichen Hülle, konnte nicht Single sein. Sie schüttelte ärgerlich den Kopf, um die bitteren Gedanken zu vertreiben.
»Ist was?«, fragte die Uniformierte befremdet.
»Alles O. K.«
Zum ersten Mal fiel ihr die Rückkehr nach Fort Meade nicht ganz so leicht wie sonst. Das beunruhigte sie, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte. Die drei Tage Shopping und Theater in London, die sie an die Geschäftsreise angehängt hatte, genügten offenbar bei weitem nicht, sich diesen Ryan aus dem Kopf zu schlagen. Während ihres Interviews rückte das Thema zeitweise etwas in den Hintergrund. Das Begehren drohte sich vom Modell des Briten auf den Briten selbst zu verlagern. Ganz entgegen den klaren Regeln des Sicherheits-Handbuchs für NSA Angestellte. Was soll’s, sagte sie sich nicht zum ersten Mal, seit sie die Universität von Bristol verlassen hatte. Eine solche Beziehung hätte sowieso keine Chance.
»Danke, Madam«, murmelte die Frau vom Sicherheitsdienst und schob den Inhalt ihrer Tasche über den Tisch. Einräumen durfte sie selbst. Die Prozedur beim Betreten des ›Building‹ gehörte auch zu den Rätseln, die Alex bis jetzt nicht verstand. Warum konnten die nicht einfach ein paar vernünftige Scanner installieren, die jedes elektronische Bauteil sofort orteten? Vor Elektronik in jeder Form fürchteten sie sich in Fort Meade wie der Papst vor den Frauen. Niemand führte ein Handy, eine Kamera, einen iPod oder Laptop mit sich, wenn er das Gebäude betrat oder verließ. Jeder wusste das. Die Angst vor miniaturisierten Megabytes war größer als die Abneigung gegen Schusswaffen und Klappmesser. Vielleicht müssten die Angestellten eines Tages ihr Hirn leeren vor dem ›COB‹, dem ›Close of Business‹, vulgo Feierabend. Soweit war es Gott sei Dank noch nicht. Weshalb aber beschäftigten sie Heerscharen Uniformierter, um nach Spiegeln, Taschentüchern und Nasensprays der Angestellten zu graben? Unangenehm für beide Seiten und irgendwie überflüssig, doch sie musste ja nicht alles verstehen. Sie stopfte ihre Habseligkeiten in die Tasche, nahm den Notizblock vom Tisch, den niemand beachtet hatte, und machte sich auf den hindernisreichen Weg in ihr privilegiertes Büro – ›f2b‹ zwanzig!
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