1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 „Mein Vater … ich meine, der Mann, der die letzten neunzehn Jahre lang mein Vater gewesen ist, also mein Vater hat mir erzählt, dass meine Mutter nie über die Gründe gesprochen hat, warum sie das Reservat verließ, bevor ich geboren wurde. Nur, dass es besser für mich gewesen wäre. Sie hat Andrew Maclean, meinen Vater, kennengelernt, als sie einen Job als Bedienung in einem italienischen Restaurant hatte.“
Lewis brach ab und versuchte sich seine Mutter vorzustellen, wie sie im vierten Monat schwanger, mit ihm unter ihrer weißen Schürze verborgen, zwischen den eleganten Tischen hin und her geeilt war.
„Mein Vater aß dort oft mit seinen Geschäftsfreunden. Er hat meine Mutter angesprochen, weil sie so ein schönes, trauriges Lächeln hatte. Sie hielten sie für eine Italienerin.“
Er sah Bernice an und lächelte ebenfalls. Schön und traurig, fand sie, und konnte verstehen, warum ein weißer Mann seine Mutter angesprochen hatte.
„Wann hat sie es ihm gesagt?“
„Was? Dass sie schwanger war oder dass sie keine Italienerin war?“
Nun lachten sie beide. Über einen traurigen kleinen Witz. Jetzt, da er ihr nicht mehr feindselig gesinnt war, fand Lewis Bernice sehr nett. Es ließ sich gut mit ihr reden und sie sah gut aus. Bernice bemerkte die Veränderung in seinem Blick und beeilte sich mit ihrer nächsten Frage. Das hier ging ihr zu schnell.
„Was hat dein Vater gemacht, als er es wusste?“
„Nun, sie hat ihm gleich bei ihrem ersten Treffen alles erzählt und Dad war bereits hoffnungslos in sie verliebt. Er fand die Vorstellung Vater zu werden genauso interessant wie die Tatsache, dass Mutter Indianerin war.“
„Ein indianisches Aschenbrödel.“
„Nein. Nein, so würde ich das nicht sagen.“ Lewis versuchte vergeblich seine Überraschung darüber zu verbergen, dass eine Indianerin hier im Reservat die Geschichte von Aschenbrödel kannte. Sie grinste ihn an und er wusste, dass sie wusste, was er dachte.
„Du denkst noch viel zu weiß, Lewis Left Hand. Aber wenn du lange genug bleibst und bereit bist zu lernen, dann könnte noch was aus dir werden.“ Sie sagte dies lächelnd und ließ ihm Zeit, die zwei Seiten eines Lächelns zu begreifen.
„Du weißt wohl genau über mich Bescheid, was?“
„Oh, das Stachelschwein wird wieder borstig!“
Wider Willen musste Lewis lachen und fühlte sich gut dabei. Er begriff die zweite Seite des Lächelns und wurde wieder ernst.
„Nein, meine Eltern haben sich wirklich geliebt. Auf ihre Art. Aber sie konnten nicht über die Dinge reden, die ihnen wichtiger waren als ihre Liebe zueinander. Dad hat mir das gesagt, bevor er ging. Ist ihm nicht leicht gefallen.“ Lewis dachte an das Gespräch zurück.
„Was war ihnen wichtiger?“
Er sah Bernice an und seufzte. „Sie vermissten beide ihre Heimat.“
„Beide?“
„Dad war als Fünfzehnjähriger aus Schottland in die Staaten gekommen.“
„Was sagte dir deine Mutter, wo sie herkam?“
„Indianerland.“
„Ah.“
„Nur solange ich klein war. Sie hat mir Schottland immer auf der Landkarte gezeigt. Aber niemals Indianerland. Ich hab’s erst jetzt gefunden.“
„Wollte dein Dad nicht, dass du es erfährst?“, fragte Bernice und dachte an die Wutanfälle ihres eigenen Vaters. Sinnloser Zorn aus der Flasche.
„Nein. Mein Dad wollte immer, dass ich mehr über meinen leiblichen Vater erfahren sollte. Mehr als das, was Mutter bereit war zu erzählen. Wir haben in den letzten Jahren oft deswegen gestritten.“ Lewis dachte an die Tränen seiner Mutter, die sie geweint hatte, als er sie angebrüllt hatte, ihm endlich zu sagen, was er glaubte, wissen zu müssen. Sie hatte beharrlich geschwiegen und aufgehört zu weinen. Zwei Monate später war sie tot. Warum?
„Kurz vor meinem neunzehnten Geburtstag fand ich durch Zufall zwei Zeitungsartikel über einen Mann namens Left Hand. Meinen Vater. Meinen richtigen Vater, den offensichtlich niemand leiden konnte.“ Er sah Bernice angespannt ins Gesicht. Sie hob die Schultern und wirkte ein wenig ratlos. Wie jemand, der nicht wusste, wie viel er von seinem Wissen preisgeben durfte.
„So kann man das nicht sagen“, meinte sie schließlich vage und suchte nach den richtigen Worten. „Du musst wissen, dass dein Vater nicht von hier war. Das heißt, Johns Großvater war ein Bru- lé Lakota aus Rosebud, aber er hat eine Oglala aus Pine Ridge geheiratet … “ Bernice unterbrach ihre Ausführungen und sah Lewis fragend an, der offensichtlich Mühe hatte ihr zu folgen. „Ich fürchte, für einen Außenstehenden ist das …“, sie stockte abermals und wich seinem Blick aus. „Tut mir leid, ich …“
„Schon gut“, beruhigte er sie. „Du hast ja recht, ich bin ein Fremder. Vollblut hin oder her.“ Lewis grinste verschmitzt. „Ich bin doch ein Vollblut, oder? Keine weiteren Überraschungen?“ Bernice atmete erleichtert auf.
„Nein, solche Überraschungen nicht“, sagte sie leise und wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen, aus Angst, er könnte vielleicht ihre Gedanken lesen.
Ja, Lewis, du bist ein Vollblut-Lakota, auch wenn du dich benimmst und sprichst wie ein weißer Mann, dachte sie. Und vielleicht fürchten sich die Leute vor dem, was du glaubst, wissen zu müssen. So, wie deine Mutter sich gefürchtet hat. Sie sagen, du würdest aussehen wie dein Vater. Sie denken, vielleicht ist er wiedergekommen. Bernice beobachtete Lewis unter gesenkten Lidern.
„Übrigens sind verworrene Familienstammbäume nichts Neues für mich. Ich sagte dir doch, mein Dad kommt aus Schottland.“ Lewis war seinen eigenen Gedankengängen gefolgt und sie sah ihn verständnislos an. Dabei spürte sie, wie sich Lewis nach Zugehörigkeit sehnte, wie sehr er danach suchte. Aber das war etwas, das er selbst finden musste. Niemand konnte ihm dabei helfen. Er hatte aufgehört von Schottland zu sprechen.
„Wer war mein wirklicher Vater? Was ist damals passiert? Warum ist er gestorben?“
„Dein Vater war ein aufmüpfiger Bastard!“ Sie beobachtete seine Reaktion und beeilte sich, die Wirkung ihrer Worte zu mildern.
„Das sagt jedenfalls mein Vater.“ Bernice dachte nach und legte sich das, was sie nun sagen wollte, sorgfältig zurecht.
„John Left Hand war zweiundzwanzig, als er nach dem Tod seiner Großtante aus Pine Ridge herkam und begann, in ihrem Haus zu leben. Er war allein und meine Mutter sagt, er hätte sämtlichen Mädchen den Kopf verdreht, ohne eines auch nur ein zweites Mal anzusehen, sobald er hatte, was er wollte.“
„Meine Mutter? War Molly eines dieser Mädchen?“
„Ich glaube eher, dass meine Mutter keines davon war.“
„Du meinst …?“
„Ich weiß es. Großmutter hat es mir erzählt. Sie findet, dass sich meine Mutter noch immer wie ein kleines Mädchen benimmt, dem man sein Lieblingsspielzeug weggenommen hat.“
Lewis konnte bei ihren Worten unschwer erkennen, dass die Dinge im Hause Miller nicht unbedingt zum Besten standen. Bernice hielt auch jetzt den Kopf gesenkt und spielte nervös mit ihrer leeren Tasse. Das sah ja beinahe so aus, als hätten sie beide schon lange darauf gewartet, sich aussprechen zu können.
„Und dein Vater?“, wagte Lewis zu fragen.
„Mein Vater ist auf niemanden gut zu sprechen, der weiß, was er will und dessen Familie eine Geschichte hat.“
„Eine Geschichte?“
„Nun ja, einen Name, den das Volk kennt. Einen Name, der etwas zählt.“
„Und die Left Hands haben eine solche Geschichte? Gut oder schlecht?“
„Beides.“
Bernice erhob sich plötzlich, nahm ihm seine Tasse ab und begann, das Geschirr in dem kleinen Waschbecken, das verloren an der großen weißen Wand hing, zu spülen. Dabei drehte Bernice Lewis den Rücken zu und schwieg. Ende des Gespräches.
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