1 ...8 9 10 12 13 14 ...38 Sie verbrachten die Nacht in dem Lager der Spanier, gut bewacht von den bewaffneten Reitern. Maisblüte wurde mit den anderen Mädchen zu einem Teil des Lagers geführt, in dem gefangene Frauen ihre Dienste verrichteten. Das Lager war gewaltig, denn die Fremden führten nicht nur Soldaten, sondern auch Gepäck, Frauen, Zelte, Vorräte und Vieh mit. Maisblüte sah zum ersten Mal zahme Schweine. Sie ähnelten jenen Stachelschweinen, die man in ihren Wäldern fand, waren aber deutlich größer. Maisblüte überblickte das Gewimmel und ihr Blick blieb an riesigen Hunden kleben, die bis zur Hüfte der Männer reichten und die Zähne fletschten. Die seltsamen Pferde schnaubten und überall klangen Geräusche, die sie noch nie gehört hatte. Über großen Feuern hingen Töpfe, die aus einem Material waren, das Maisblüte noch nie gesehen hatte. Es ähnelte wohl den Käferhüten der Männer. Einige Krieger setzten sich zu den Jungfrauen, um diese vor den anzüglichen Blicken der fremden Männer zu schützen. Der Gouverneur ließ sie gewähren und gab Befehl, die Mädchen mit Respekt zu behandeln.
Maisblüte war zu aufgeregt, um in dieser Nacht zu schlafen. Die Gefahr lag zum Greifen in der Luft und die fremdartigen Geräusche ließen sie immer wieder hochschrecken. Am schlimmsten war dieser Knall aus den Donnerrohren gewesen. Wie konnten Menschen sich den Donner zu eigen machen? Sie wusste, dass Heloha in den Wolken wohnte und dort ihre Eier legte, die dann donnernd über den Himmel rollten, immer begleitet von Helohas Gefährten Melatha, der so schnell war, dass er eine Spur aus Funken hinterließ. Aber diese Fremden hatten Heloha und Melatha in ihren Donnerrohren gezähmt. Sie wünschte, dass ihr Vater bei ihr wäre, aber sie wusste, dass er in Mabila den Kampf vorbereitete. Ebenso ahnte sie mit schrecklicher Gewissheit, dass es Kampf geben würde. Diese Fremden führten sich auf, als gehörte das Land ihnen. Aber Maisblüte fürchtete sich vor der Zerstörungskraft der Donnerrohre. Vogel-im-Bach klammerte sich an sie und Maisblüte umarmte das Mädchen tröstend. „Alles wird gut!“, flüsterte sie. „Der Minko schützt uns!“
„Er hätte uns nicht hierherbringen dürfen!”, schluchzte Vogel-im-Bach.
Maisblüte schluckte schwer. Sie war da anderer Meinung. Tuscalusa hatte sich selbst in Gefahr gebracht, um den anderen mehr Zeit zu geben. Nur ein wahrer Minko handelte so. Und er konnte von den Jungfrauen verlangen, dass auch sie das Volk schützten. Das war ihre Aufgabe. „Wir müssen tun, was uns befohlen wird. Hab keine Angst vor deiner Bestimmung!”, hauchte sie.
Machwao
(Menominee-Fluss im Norden)
Machwao nutzte den Sonnenaufgang, um auf eine kleine Anhöhe zu gehen, um zu beten. Sein Blick wanderte über den Flussarm und er erfreute sich an der Aussicht, die er von hier aus hatte. Seine Mutter und seine Schwester schliefen noch und so genoss er die Ruhe des frühen Morgens. Mit seiner Hand umklammerte er den kleinen Talisman, den er an einer Schnur um den Hals trug. Es handelte sich um einen kleinen Beutel, in dem eine Wolfspfote steckte. Der Wolf war ein Begleiter und gleichzeitig sein Beschützer. In seinen Träumen tauchte er immer wieder auf und warnte ihn vor bevorstehenden Ereignissen. In letzter Zeit waren die Botschaften jedoch seltsamer geworden. Der Wolf benutzte Worte, die es nicht gab. Und er erzählte von Dingen, die es gar nicht gab. Ob Bärenkralle auch solche Träume hatte?
Machwao stimmte einen leisen Gesang an und bat Mäc-awätok um Klarheit. Zugleich bedankte er sich für die gute Ernte und den Jagderfolg. Die Vorräte, die sie gesammelt hatten, würden sie gut über den Winter bringen. Er blieb eine Weile und genoss die warmen Strahlen der Sonne auf seiner Haut, dann kehrte er zurück zum Lager. Awässeh-neskas, Bärenkralle, stand bereits am Ufer und verrichtete sein Geschäft, während die Frauen eine einfache Mahlzeit zubereiteten. Von der Ente war nichts mehr übrig und so begnügten sie sich mit Trockenfleisch, das sie mit Wasser und Kochsteinen in einem Gefäß aus Birkenrinde weichkochten.
Die Mutter wendete den Wildreis auf den Matten und schüttete ihn probeweise durch, um nach Ungeziefer zu suchen. Später würde man ihn stampfen und vorsichtig in die Luft werfen, damit die grünen Hülsen einfach weggeweht wurden und nur noch die braunen Körner übrig blieben. Wenn sie einige Handvoll Körner gereinigt hatte, legte sie diese in die bereitgestellten Körbe. Machwao freute sich schon auf die nahrhaften Mahlzeiten. Mit Ahornsirup, Nüssen, Beeren und Fleisch angereichert, schmeckte das Essen besonders gut.
Sie verbrachten zwei weitere Tage am Ufer der breiten Flussaue und hatten schließlich eine beachtliche Menge Wildreis geerntet. Nebenbei hatte Machwao ein paar Enten erlegt, und Kämenaw Nuki, Regenfrau, hatte einen Hain mit Nüssen entdeckt, die sie eifrig gesammelt hatte. Sie verstauten die Körbe mit den Lebensmitteln im Kanu und Machwao paddelte sie den Manomäh-Fluss hinauf, bis sie wieder das Dorf erreichten. Die Hütten standen weit verteilt auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe des Flusses zwischen den Bäumen. An die hundert Menschen lebten hier und so war es ein ziemlich großes Dorf. Sie hatten keine Palisaden, weil das Dorf mitten im Wald lag und so gut getarnt war. Dies hinderte jedoch Feinde nicht daran, sie immer wieder auszuspähen und zu überfallen. Die Menominee nahmen es hin, so wie sie dem Tornado oder Blizzard widerstanden.
In der Mitte des Dorfes stand ein längliches Versammlungshaus und daneben die längliche Hütte der Metewin-Gesellschaft. Ansonsten waren die verstreuten Wigwams halbrunde Gestelle aus Ästen, die mit Lagen aus Birkenrinde gedeckt waren. Meist stand eine halbüberdachte Kochstelle daneben und auf einem Gerüst trocknete das Dörrfleisch. Verteilt standen auch Gestelle, an denen Häute gegerbt wurden. Abseits im Wald befand sich zudem die Hütte für menstruierende Frauen. Zwischen den Bäumen waren Beete zu erkennen, in denen die Frauen Mais, Bohnen und Kürbis zogen. Bis auf die Kinder, die zwischen den Hütten spielten, war es ruhig im Dorf.
Awässeh-neskas war ihnen mit seinem Kanu gefolgt und legte fast gleichzeitig am Ufer an. Die Kinder sprangen ihnen entgegen, barfuß und fast nackt, denn tagsüber war es noch warm. Viele Erwachsene waren ebenfalls noch unterwegs, um die Vorräte zu ergänzen. Geblieben waren die Ältesten und die Kinder, die zu klein waren, um zu helfen, oder Frauen in ihrer Mondzeit.
Machwao half seiner Mutter, die Körbe zu dem Wigwam zu bringen und in einer Ecke zu verstauen. Ihr Garten lag etwas abseits im Wald, die meisten Früchte waren bereits geerntet und in den Vorratsgruben verstaut worden. Neben dem Wigwam stand ein Gestell aus Ästen, auf denen Fleischstreifen trockneten. Einige Stellen waren leer und die Mutter schimpfte über die Hunde, die das Fleisch sicherlich gestohlen hatten.
Machwao sagte nichts, sondern trug die Weidenkörbe mit den getrockneten Fleischstreifen zu den vorbereiteten Gruben. Es war ein ausgeklügeltes System, mit dem die Vorräte haltbar gemacht wurden. Ganz unten standen die Tongefäße mit Saatgut für das nächste Jahr. Darüber stapelten sich Gefäße mit Bohnen, Kürbis und getrockneten Früchten. Zum Schluss kam das Dörrfleisch. Die Grube wurde mit Ästen abgedeckt und mit Erde verschlossen. Ein Stab kennzeichnete die Grube, damit sie auch bei Schnee zu finden war. Die Familie hatte mehrere dieser Gruben und blickte entsprechend zuversichtlich auf den kommenden Winter. Aber selbst wenn die eigenen Vorräte aufgebracht waren, würden alle Familien teilen, damit kein Stammesmitglied verhungern musste.
* * *
Am Abend versammelte sich die Familie am Feuer des Wigwams und Machwao lehnte sich entspannt zurück. Die halbrunde Form der Hütte, die mit Lagen aus Birkenrinde und mit Schilfmatten gegen den Regen geschützt war, strahlte Behaglichkeit aus. Die Hütte war gerade so hoch, dass ein Mann stehen konnte. Sie war aufgeteilt in einen Frauen- und einen Männerbereich. An den Wänden standen Körbe und Tongefäße mit Nahrungsmitteln und an den Wänden hingen Ausrüstungsgegenstände. Der Boden war mit Matten ausgelegt und die Schlafstätten mit Fellen abgedeckt. Im Sommer und frühen Herbst wurde meist nicht im Wigwam gekocht, sondern vor dem Wigwam stand ein halbüberdachtes Gerüst, das den Außenkochplatz vor Regen schützte. Im Moment brannte nur ein kleines Feuer, das im Laufe der Nacht herunterbrennen würde.
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