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Chirisophus kam nicht, Fahrzeuge hatte man nicht in hinlänglicher Anzahl, und Lebensmittel waren auch nicht mehr zu bekommen: es wurde daher der Abmarsch beschlossen. Die Kranken, die Uebervierziger, die Knaben und Weiber und alle Geräthschaften, die man entbehren konnte, wurden eingeschifft, und die zwei ältesten Anführer, Philesius und Sophänetus, gingen als hierzu verordnete Aufseher mit zu Schiffe; die Uebrigen aber traten den Marsch an. Die Wege waren gebahnt, und sie erreichten nach einem dreitägigen Marsche Cerasus, eine griechische am Meere gelegene Stadt und Colonie von Sinope im kolchischen Gebiete. Hier blieben sie zehn Tage. Die Armee wurde gemustert und gezählt, und sie betrug achttausendsechshundert Mann: dies war der Ueberrest; die Andern waren durch das Schwert der Feinde, durch den Schnee und Manche auch durch Krankheit hingerafft worden. Hier theilten sie auch das aus dem Verkauf der Gefangenen gelöste Geld, und von dem für den Apoll und die ephesische Artemis bestimmten Zehnten nahm jeder Heerführer einen Theil für diese Gottheiten in Verwahrung. Für den Chirisophus nahm Neon von Asine einen Antheil in Empfang.
Als Xenophon in der Folge das Weihgeschenk für den Apoll hatte verfertigen lassen, legte er es in den atheniensischen Schatz zu Delphi nieder, nachdem er es mit seinem und dem Namen jenes Proxenus, der mit dem Klearch gefallen war, bezeichnet hatte; denn Proxenus war sein Gastfreund gewesen. Aber den Antheil der ephesischen Artemis ließ er damals, als er mit Agesilaus aus Asien nach Böotien marschirte, bewogen durch die Vermuthung, auf dem Zuge mit Agesilaus einer Schlacht beiwohnen zu müssen, die auch nachher bei Koronäa vorfiel, bei Megabyzus, Tempelaufseher der Artemis zurück, mit dem Auftrage, ihm, wenn er am Leben bliebe, das Gold wieder zuzustellen, im entgegengesetzten Falle aber der Artemis ein Weihgeschenk verfertigen zu lassen, was ihr, seiner Meinung nach, am wohlgefälligsten wäre. Als Xenophon nachher, aus seinem Vaterlande verwiesen, schon in Skillus, einem von den Lacedämoniern bei Olympia erbauten Orte lebte, kam Megabyzus nach Olympia, um die Spiele zu sehen, und gab ihm das anvertraute Geld zurück. Xenophon kaufte dafür der Göttin, der Ortsbestimmung des Orakels gemäß, ein Stück Landes, das vom Selinus durchströmt wird. Der Fluß, der bei Ephesus am Tempel der Artemis vorbeifließt, führt auch diesen Namen. In beiden gibt es Fische und Muscheln: aber die Gegend am Skillus liefert auch noch alle Arten von Wild. Auch errichtete er der Göttin von dem geheiligten Gelde einen Tempel und Altar, und widmete ihr endlich den Zehnten von den Erzeugnissen der Landschaft zum beständigen Opfer. Alle Bürger und Nachbarn beiderlei Geschlechts nahmen an diesem Feste Theil, und die Gäste wurden auf Kosten der Göttin mit Mehl, Brod, Wein, Nachtisch und einem Antheile von dem Opferviehe, was die geweihte Trift, und dem Wilde, was der Forst lieferte, versorgt. Nämlich Xenophons und der andern Bürger Söhne und mit ihnen auch Männer, welche Lust dazu hatten, stellten für dieses Fest, theils auf dem heiligen Gebiete selbst, theils auf dem Pholögebirge, eine Jagd an, welche Schweine, Rehe und Hirsche einbrachte. Das Weihgebiet ist von dem Tempel des Zeus zu Olympia, gegen die Seite hin, wo man aus Lakonien nach Olympia reiset, an zwanzig Stadien entfernt und faßt Haine und wohlbedeckte Berge in sich, die Schweinen, Ziegen, Schafen und Pferden Nahrung gewähren und auch für das Zugvieh der Fremden, die zum Feste kommen, hinreichende Weide liefern. Den Tempel selbst umgibt ein Wald von Fruchtbäumen, die jedes Obst liefern, das bei gehöriger Reise frisch genossen werden kann. Der Tempel ist im Kleinen dem ephesischen ähnlich, und auch das aus Cypressenholz verfertigte Standbild gleicht dem goldenen zu Ephesus. Eine Säule, die am Tempel steht, enthält folgende Inschrift:
»Das der Artemis heilige Gebiet. Der jedesmalige Besitzer und Nutznießer weihe ihr jährlich den Zehnten und erhalte von dem Uebrigen den Tempel in gutem Stande. Thut Jemand dies nicht, so wird es die Göttin ahnden.«
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Von Cerasus setzten diejenigen, die schon vorher gefahren waren, ihre Reise zur See, die Andern aber zu Lande fort. An den Grenzen der Mosynöken schickten sie den Timesitheus aus Trapezunt zu diesem Volke, dessen Gastfreund er war, mit der Anfrage, ob sie durch das mosynökische Gebiet als Freunde oder Feinde ziehen sollten. »Das sei ihnen gleichgiltig,« erwiederten sie, »denn sie verließen sich auf ihre festen Plätze.« Timesitheus erzählte hierauf, daß die weiterhin wohnenden Mosynöken mit diesen in Feindschaft lebten: man beschloß also, jene zu einem Bündniß einzuladen. Timesitheus, welcher abgeschickt wurde, brachte die Anführer derselben mit. Die griechischen Feldherrn gingen zu ihnen, und Xenophon, dessen Rede Timesitheus übersetzte, sprach zu ihnen: »Mysynöken, wir wünschen nach Griechenland zu gelangen, und zwar, da wir keine Schiffe haben, zu Lande; dieses Volk nun, das, wie wir hören, euer Feind ist, hindert uns daran. Wenn ihr nun wollt, so könnt ihr an uns Bundesgenossen haben, Alles von jenen euch zugefügte Unrecht zu rächen und endlich sie selbst euch unterwürfig zu machen. Verschmäht ihr aber unsern Antrag, so mögt ihr zusehen, woher euch wieder eine solche Kriegsmacht zu Hilfe kommen wird.«
Der Oberste der Mosynöken äußerte hierauf: »Wir wünschen dasselbe und sind bereit, das Bündniß zu schließen.« »Wohlan nun,« fuhr Xenophon fort, »worin verlangt ihr unsre Hilfe, wenn wir eure Bundesgenossen sind, und was werdet ihr uns um unsern Marsch zu befördern, leisten können?« »Wir sind stark genug,« erwiederten sie, »von der andern Seite in das Gebiet eurer und unserer Feinde einzufallen, und auch Schiffe und Leute herzusenden, die an eurer Seite kämpfen und euch den Weg zeigen werden.«
Nachdem dieser Vertrag gegenseitig beschworen war, gingen sie ab und kamen am folgenden Tage mit dreihundert einstämmigen Kähnen wieder. In jedem Kahne saßen drei Mann, je zwei davon stiegen aus und stellten sich in Reih und Glied, und der dritte blieb zurück. Diese letzteren fuhren mit den Fahrzeugen ab: die ersten aber stellten sich auf folgende Art in Schlachtordnung: sie traten in Haufen von ungefähr hundert Mann zusammen, so, daß sie gleich den Chören einander gegenüber standen. Alle führten Flechtschilde, die mit weißhaarigen Ochsenhäuten überzogen waren und die Form eines Epheublattes hatten; in der Rechten hielten sie einen sechselligen Spieß, der vorn in einer Spitze auslief, hinten aber am Schafte kugelförmig gerundet war; über den Knieen trugen sie Unterkleider, so dick, wie die leinenen Mäntelsäcke; ihren Kopf deckte ein lederner Helm, gleich dem paphlagonischen, aus dessen Mitte ein der Tiara sehr ähnlicher Haarwulst hervorragte; auch führten sie eiserne Hellebarden. Hierauf begannen Alle unter dem Vorgange eines Anführers zu singen und nach dem Takte zu marschiren. Sie zogen sich durch die Reihen des schweren Fußvolks der Griechen durch und gingen gerade auf den Feind gegen die Festung, die am leichtesten einzunehmen schien, los. Das Werk lag vor der Stadt, die sie ihre Hauptstadt nannten, in derselben aber war die höchste Festung der Mosynöken, die eben die Ursache ihres innern Krieges war; denn die jedesmaligen Besitzer derselben hielten sich für die Gebieter aller Mosynöken. Die damaligen Gewalthaber nun besaßen sie, wie die Mosynöken versicherten, mit Unrecht und maßten sich eines Gemeingutes zur Unterdrückung der Andern an.
An sie schlossen sich, blos um Beute zu machen, nicht auf Befehl der Feldherrn, auch einige Griechen an. Bei dem Vorrücken derselben verhielten die Feinde sich Anfangs ruhig: als jene aber der Festung nahe waren, so machten sie einen Ausfall, schlugen sie in die Flucht und hieben Mosynöken und auch einige der mit ihnen verbundenen Griechen nieder. Ihre Verfolgung setzten sie weit fort, bis sie griechische Hilfstruppen anrücken sahen; dann kehrten sie um, schnitten den Gebliebenen die Köpfe ab und zeigten sie den Griechen und ihren Feinden, wobei sie zugleich nach einem gewissen Takte tanzten und sangen. Die Griechen waren sehr aufgebracht, daß man dem Feinde Veranlassung gegeben hatte, noch kühner zu werden und daß die mit den Mosynöken verbundenen Griechen, ohngeachtet ihrer starken Anzahl, zugleich mit ihnen geflohen waren. So etwas hatten sie in dem ganzen Kriegszuge noch nicht gethan. Xenophon ließ deshalb die Griechen zusammenkommen und sagte:
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