„Es wird nicht mehr lange hell sein“, erkannte Lizsan, der gerade ganz vorne neben Shjen ritt. „Plant Ihr irgendwo einzukehren?“
Die Lady schüttelte den Kopf und rupfte an ihrer Kapuze herum. „Wir werden abseits der Straße nächtigen und abwechselnd Wachen schieben“, bestimmte sie, „aber solange wir noch etwas sehen können, werden wir reiten.“
„Ihr wisst, dass wir nicht nur aus Soldaten bestehen?“, wies der Lehrer auf die müden Glieder einiger Gefährten hin.
„Ich zwinge niemanden mitzureisen“, erklärte Shjen trocken. „Die Umkehr steht den Schwachen offen.“
Jetzt schüttelte Lizsan enttäuscht sein Haupt. „Kein bisschen habt Ihr Euch verändert.“
„Weshalb auch?“, hielt die Lady dagegen. „Ich habe nie darum gebeten, in diesen Konflikt verwickelt zu werden. Mit Gewalt wurde ich dazu genötigt und nun stehe ich hier. Und lebe noch.“
„In den vielen Schlachten, in denen ich mit Euch gekämpft habe, hatte ich trotzdem nie die Hoffnung aufgegeben Euch... wie soll ich sagen...“
„Mich menschlicher zu machen?“, schlug Shjen mit einem Grinsen vor.
„Ja vielleicht“, gab Lizsan zu. „Mir war immer bewusst, dass die Menschen es Euch niemals Recht machen könnten, dass sie, egal wie sie handelten, immer gegen Euren Willen aufbegehrten. Hätten sie Euch mit Lob und Dank überschüttet, nach der Diktatur, hättet Ihr Euch vermutlich auch nicht wohl gefühlt, und hätten sie Euch als Abtrünnige und Egozentrikerin bezeichnet, hättet Ihr ihre Meinung auch lediglich verspottet.“
„Verblüffend, wie viel über jemanden gesprochen wird, wenn er gar nicht will, dass man über ihn spricht“, fasste die Lady zusammen. „Was wäre es denn, was mich menschlicher machen würde? Gespieltes Mitgefühl den Bettlern gegenüber, die zu keinem Zeitpunkt den Willen an den Tag legen, an ihrem erbärmlichen Leben etwas zu ändern? Aufgesetzte Barmherzigkeit für die, die in Gejammer und Flennerei versinken und sich darin suhlen wie Schweine? Oder geheuchelte Neugierde an dem Wohlergehen Anderer, die nur verbal am Gemütszustand ihres Gegenübers interessiert sind?“
Resignierend senkte der Lehrer sein Haupt. „Es ist nicht alles schlecht auf dieser Welt...“
„Nun ... Azazel hat sich kaum selbst in diese Welt katapultiert ... bestimmt waren es Menschen, die ihm erneut dabei geholfen haben“, lenkte Shjen das Gespräch wieder in Richtung ihrer Mission.
Leider musste Lizsan nicken. So ungern er es sich selbst eingestand, so gerne er nun noch Argumente für die Menschheit gefunden hätte, so sehr musste er auch erkennen, dass Shjen nicht unrecht hatte. Auch wenn es ihm sehr wohl bewusst war, dass man nicht alle in den selben Topf werfen sollte, vor allem, wenn er nun an seine geliebte Vael dachte, so hatte die Ansicht der finsteren Lady doch zumindest ihre Berechtigung.
„Wobei Azazel es auch immer sehr gut verstand, den Geist der Menschen zu manipulieren“, fügte nun auf einmal Vael hinzu, die plötzlich hinter ihnen ritt.
„Den schwachen Geist der unwissenden Menschen...“, korrigierte Shjen und beehrte die Königin nicht mal eines Blickes.
Unvermittelt musste Vael dabei an den gefallenen Diktator Nathanel denken, dessen Sinne damals auch von Azazel verdorben worden waren. „Ich denke nicht, dass Nathanel unwissend und schwach war...“, murmelte sie.
„Offenbar zu schwach und zu unwissend für Azazel...“, untermauerte Shjen ihre These. Mit der flachen Hand klopfte sie auf den breiten Hals ihres pechschwarzen Hengstes. Doch just stoppte sie ihre Bewegung. „Hört ihr das auch?“
Es lag ein Rauschen in der Luft. Links ihres Weges zierte ein verworrenes Wäldchen ihren Pfad. Die meist rötlichen Blätter wackelten im milden Wind. Das Rauschen jedoch schwoll an. „Es kommt näher“, erkannte die Lady, trieb ihr Ross zu einigen Rücktritten, vom Dickicht weg. „Bezieht Stellung“, flüsterte sie. Sofort zog sich Lizsan aus seinem Sattel, geleitete sein Pferd beiseite und zückte seinen Degen.
Kalef war auch abgestiegen. Mit erhobenem Schild stellte er sich vor die Großkönigin, während das Pony von Tanrel verängstigt schnaubte.
Angespannt suchten die Handarmbrüste von Shjen ein Ziel im Geäst. Voller Konzentration fuhren sie nach links, nach rechts und zurück. Bis auf das immer lauter werdende Rauschen herrschte nun Ruhe. Keiner wagte es einen Laut von sich zu geben. Äste brachen, Zweige knackten, ein Trommeln schlug ihnen entgegen, gleich einem tiefen, wachsenden Donner.
Und auch wenn man ihnen prophezeit hätte was nun geschah, hätten sie den Erzähler wohl verspottet, denn diese Realität könnte nicht einmal dem irren Gehirn eines findigen und kreativen Barden entspringen. Das Buschwerk schlug beiseite und offenbarte den Blick auf ein Schauspiel, das die acht Gefährten sich unter keinsten Umständen ausmalen hätten können.
Erst starrten sie auf mächtige Hufe, die nach den dünnen Unterschenkeln in muskelbepackte Vorderläufe übergingen, um schließlich in breite Schultern zu münden. Die geschwungenen, weißen Hörner der beiden, schwarzen Stiere lenkten von ihren ausdruckslosen, kugelrunden Augäpfeln ab, und von den breiten Nasenlöchern, die fauchend auffächerten. Die kurzen, aber umso kräftigeren Hälse der Bullen senkten sich. Fast hätte Shjen den Abzug gedrückt, fast hätte sie Bolzen in die Schädel der Tiere geschossen.
Doch da saßen, und das war das wahrlich Unfassbare, zwei riesige Elfen auf den strammen Rücken der mindestens fünf Zentner schweren Rinder, die offenbar keine Unze Fett zu haben schienen, nur Muskeln und Adern, dick wie kleine Äste.
„Da seid ihr ja“, erklang die liebliche Stimme vom Stier herab, die Indarî gehörte. Shjen verstaute ihre Armbrüste und wirkte als einzige unbeeindruckt.
„Was bei meinem Barte...“, erstaunte sich Tanrel, ohne seinen Blick von den beiden riesigen Bullen zu lassen. Seine Augäpfel schmerzten schon, denn auch das Zuschlagen seiner Lider verkniff er sich. „Das sind doch die beiden Statuen aus Trubal'Vir ... und sie reiten auf Stieren...“
„Sehr erfreut Euch wieder zu sehen“, grüßte Lizsan Rûrden, mit verhaltenem Ton, denn auch ihn ließ der Anblick nicht kalt.
„Wieder...?“, verwunderte sich Großkönigin Vael, und schaute ihren Geliebten kurz an.
„Ihr habt es also doch aus Sterlingholme geschafft“, änderte Shjen abrupt das Thema.
„So ist es“, erklärte Ryvân und strich zwischen den Hörnern seines Reittiers über dessen Kopf.
„Wir haben so lange gebraucht, weil wir noch ein Fortbewegungsmittel besorgt haben“, berichtete Indarî, hämisch grinsend.
„Unser Weg führt uns nach Yugotan“, gab Shjen preis. „Ihr könnt euch anschließen.“ Die Lady merkte, wie vierzehn Augen vollkommen entgeistert und erschrocken auf ihren Rücken gafften.
„Ihr kennt diese Wesen?“, brabbelte Kalef.
„Diese Wesen haben euch Menschen vor den Orks gerettet!“, erboste sich Ryvân. Sofort legte sich die sanfte Hand von Indarî auf seine Schulter.
„Ganz ruhig. Ryvân“, sprach sie klangvoll, „wir sind nicht feindlich gesinnt und wissen wie man mit Waffen umgeht. Ich denke es steht außer Frage, dass unsere Dienste euch hilfreich sein werden.“
Shjen nickte, drehte sich ihren sieben Mitreitern zu und kontrollierte deren Gemütszustände. „Ich traf sie in Sterlingholme“, erzählte sie nun, „ich fühle, dass sie für unsere Mission sehr wichtig sein können, nicht nur wegen ihrer Kampfkraft.“
Zweimal schepperten plötzlich die Hufe von Indarîs Bullen, als sie ihr Tier herumdrehte und sich zu Shjen herabbeugte. „Habt Ihr die Elfensteine geborgen?“
Die Lady nickte wieder.
„Sie machen mir trotzdem Angst...“, maulte Tanrel, „diese roten Augen...“, flüsterte er, gerade so, als würde er mit seinem Pony sprechen, und knuddelte verhalten seinen Bierkrug.
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