Nach den Redelehren von AristotelesAristoteles und CiceroCicero geht es dem Redner bei der inventio Inventio also zunächst um das Auffinden des Stoffes, der Argumente und Beweise; bei der Werbung heute ist das die Aufgabe der Marktforscher. In der dispositio erfolgt die wirkungsvolle Anordnung und Gliederung des Stoffes, wie er sodann vorgetragen wird, nämlich in den Schritten exordium Exordium (Redeanfang), narratio Narratio (Erzählung bzw. Darlegung des Sachverhalts), argumentatio Argumentatio (Beweisführung), peroratio Peroratio (Redeschluss) – siehe Tab. 1. Steht die Gliederung, so folgt die elocutio Elocutio, die sprachliche und stilistische Ausarbeitung (Meyer-Kalkus, 2008, S. 681; Schüler, 2012, S. 200).
Selbst das antike Konzept des attentum parare Attentum parare (Aufmerksamkeitsweckung) und der captatio benevolentiae Captatio benevolentiae (dem Erhaschen des Wohlwollens) kann auf die Werbung allgemein und die Hörfunkwerbung im Speziellen übertragen werden, wenn es bei letzterer nämlich um das Auffinden eines „ear catcherEar catcher“ geht, der die Aufmerksamkeit und das Interesse erwecken muss.
Die 4 klassischen RedeschritteRedeschritte nach dem Ordnungssystems ordo naturalis 2 überträgt Schüler (2012, S. 201–204) auf Werbeanzeigen; in der tabellarischen Darstellung wird dies auf Hörfunk-Werbespots ausgeweitet.
Struktur nach antiker Rhetorik ( ordo naturalis ): |
Anzeigenwerbung |
Hörfunkwerbung |
Redebeginn, Anfang ( exordium ) |
Headline |
Aufhänger/Situation/Jingle (Vorspann) |
Erzählung, Darlegung des Sachverhalts ( narratio ) |
Bild/Produktreferenz |
Geschichte/Szene/Ansprache der Zielgruppe |
Glaubhaftmachung ( argumentatio ) |
Text/Werbeaussage |
Erläuterung/Sprecher führt aus/Dialog Frage-Antwort (Produkteigenschaften) |
Redeschluss ( peroratio ) |
Slogan |
Slogan/Wiederholung, Bezug auf Einstieg/Jingle |
Tab. 1:
Antikes Dispositionsschema nach Cicero im Kontext von Anzeigen- und Hörfunkwerbung
Wenn die Struktur von HörfunkspotHörfunkspots auch sehr unterschiedlich sein kann, was das Verhältnis von Struktur und Inhalt betrifft, so sei in der dritten Spalte ein typischer Aufbau skizziert, der den genannten Schritten folgt. Dabei gibt es gewöhnlich einen Vorspann und eine szenische Handlung, um den räumlichen und zeitlichen Kontext abzustecken und um einen dramaturgischen Effekt zu erzielen. Das Ende des Werbespots, der sogenannte Abbinder (englisch claim ) ist üblicherweise der SloganSlogan und dient der Zusammenfassung und Aufforderung zum Kauf. Gliederungsschemata, wie die bekannte AIDA-FormelAIDA-Formel3 ( attention – interest – desire – action ) und viele andere, auf deren Ausführung hier nicht eingegangen werden kann, sind ebenfalls in dem zitierten antiken DispositionsschemaDispositionsschema wiederzuerkennen: Die Aufmerksamkeit wird geweckt, das Produkt beschrieben, der Wunsch zum Kauf geweckt und seine Erhältlichkeit oft in einem szenisch-dialogischen Passus erläutert, dem ein Off-Sprecher mit relevanten Botschaften den Auslöser zum Kauf gibt. Der Slogan beendet den Werbespot.4
Die PersuasionsstrategienPersuasionsstrategien in der Werbung und die Konzeption der ArgumentationArgumentation können vielfältig sein und beispielsweise einem Schema folgen, z.B. Problem – Lösung, Frage – Antwort, Wunsch – Erfüllung. Was die ArgumentationsstrukturArgumentationsstruktur, also die Reihenfolge der einzelnen Argumentationsschritte betrifft, so greifen Werbetreibende auf gängige Gliederungen zurück, wie Beweisführung und Zustimmung, Widerlegung und Widerspruch, Wertung und Kompromiss. Dabei sind je nach Argumentationsklasse eine, zwei oder mehrere Positionen (Argumente oder Denkschritte) involviert.5
Nachdem persuasive Strukturen und argumentative Gliederungen angeschnitten wurden, soll nun kurz auf inhaltlich-thematische Fragen der ArgumentationArgumentation und kommunikationspsychologische Erkenntnisse von Persuasion und Meinungswechsel eingegangen werden.
Um wieder auf die antike Rhetorik zurückzugreifen, seien die drei „Säulen“ der Persuasion nach Aristoteles genannt, die wir auch in jüngeren Abhandlungen über Argumentationsfiguren und -muster wiederfinden: ethos Ethos (die Überzeugung, die von der Person ausgeht, ihrer Glaubwürdigkeit und ihrem Charakter), logos Logos (die Überzeugung durch rationale Argumentation), pathos Pathos (der Appell durch EmotionEmotionen).
In den Jahren nach dem Zweiten WeltkriegWeltkrieg, Zweiter wurden vor allem in den USA zahlreiche Experimente und Forschungsprogramme durchgeführt, bei denen es um Glaubwürdigkeit, Meinungs- und Einstellungswechsel ging. Das Yale Program of Research on Communication and Attitude Change und die Versuche des Psychologen Carl HovlandHovland werden bis heute viel zitiert und haben die Werbebranche beispielsweise im Hinblick auf folgende Themen stark beeinflusst: Einstellungsänderung und Vertrauenswürdigkeit von Quellen ( high credibility source vs. low credibility source ), LangzeitwirkungLangzeitwirkung von Meinungsänderung, Assimilationseffekt und Distanz (Position), MeinungsbildungMeinungsbildung und Position bzw. Kenntnisstand des Publikums, Meinungsänderung und die Rangfolge von Argumenten ( primacy effect und recency effect ), Mittel der Glaubwürdigkeitsstärkung (Zitate, Augenzeugenberichte …), Beeinflussbarkeit und Persönlichkeitsmerkmale, Meinungswechsel und Gruppenzugehörigkeit, counternorm communication und Gruppennormen …
Die so gewonnenen Erkenntnisse schlagen sich in unterschiedlichen ArgumentationsfigurenArgumentationsfiguren nieder, bei welchen man generell, und damit auch in der Hörfunkwerbung, zwischen kognitiven und affektiven Überzeugungsmitteln unterscheiden muss; in der Werbung fällt die Relation i.d.R. zugunsten der affektiven Mittel aus.
Die Haupttypen der Argumentation in der Werbung, zurückgehend auf eine Studie über die deutsche Anzeigen-Werbung und ihre spezifischen Wirkungsgrade von Otto Walter HaseloffHaseloff (1966), können in fünf Gruppen unterteilt werden: faktische (oder rationaleArgumentationrationale) Argumentation, Plausibilitäts-ArgumentationArgumentationPlausibilitäts-, emotionale ArgumentationArgumentationemotionale, moralische ArgumentationArgumentationmoralische und taktische ArgumentationArgumentationtaktische.6 Die an das aristotelische logos Logos anknüpfende faktische Argumentation führt Zahlen, Fakten, Gesetze, statistische Beweistests, Zeugenaussagen etc. an, um die Qualität des angepriesenen Produkts zu bezeugen. Auch der Rückgriff und das Argumentieren mit plausiblen Behauptungen und Selbstverständlichem kann dieser Gruppe ( logos ) zugerechnet werden, wenn die Meinung der Mehrheit, allgemeine Erfahrungen usw. die Konsumenten bei der Kaufentscheidung unterstützen. Der emotionale Appell des pathos Pathos spiegelt sich in der emotionalen Argumentation wider und arbeitet mit Gefühlen wie Freude und Angst7, Schuld und dem Erzeugen von Stimmungen. Der dritten aristotelischen Säule, dem ethos Ethos, ist die moralische Argumentation zuzuweisen, wenn beispielsweise höhere Werte, bekannte Persönlichkeiten oder auch die Prämisse der moralisch-ethischen Angemessenheit von Entscheidungen oder Behauptungen hervorgehoben werden. Schließlich werden ArgumentationstechnikenArgumentationstechnik wie Vorwegnahme von Gegenargumenten, Scheinzustimmungen, Bedrohung und persönlicher Angriff etc. der Gruppe der taktischen Argumentationsfiguren zugerechnet (vgl. Dillard & Miraldi, 2008).
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