Ich mag das seitdem umso weniger, als ich mich nach einer Meniskusoperation nebst Pause mühsam wieder in leidliche Form gebracht hatte und ich zwei Tage vor meinem ersehnten Start beim Marathon in Löningen eine letzte kurze 10-km-Einheit absolvierte. Ich lief mal wieder meine Standard-Lieblingsstrecke – zur Erinnerung – am Kanal entlang, als ich – bekanntes Muster – von weitem Frau und Tochter, wie ich später erfuhr, nebst einem großen schwarzen Hund sah, dessen Rasse mir undefinierbar schien. Irgendwie hatte er was von einem Golden Retriever, nur schwarz war er, konnte also ein solcher nicht sein. Zugleich steckte noch was von einem Riesenschnauzer in ihm – oder auch nicht. Auf alle Fälle kräftig wirkte er. Das war ihm fraglos anzusehen. Während ich so auf das Trio zulief, nahm ich schon mal das Tempo ein wenig heraus und suchte einen möglichst großen Abstand zwischen mir und den vier Pfoten herbeizuführen. Die beiden anderen hatte ich als harmlos eingestuft. Auch die Dame sah mich, nahm ihren Hund beiseite und dann ... fiel der Golden Retriever, der keiner war, mich an, als ich das Triumvirat schon fast passiert hatte, und biss mir leidenschaftlich stark in den Rücken. Keine Frage: das schmerzte sehr!
Das war nicht mein erster Hundebiss, den ich erleiden musste, aber fraglos der kräftigste von allen. Ich schrie auf, während die Dame versuchte, ihren Hund an der Leine zurückzuzerren. Zugleich war ich außer mir und fluchte, sie solle dieses Scheißvieh festhalten. Wer sich an dem Ausdruck „Scheißvieh“ stört, möge sich doch bitte auch einmal – harmloser Vorschlag nur – einmal beißen lassen und dann nach Worten der liebevollen Verständigung suchen, sich einfühlen in die Seele des Beißenden und freundliche Worte des Verstehens formulieren: Der Hund kann nix dafür, dass er beißt. Schuld haben Herrchen und Frauchen. Nun gut, ich hatte weder Verständnis noch entschuldigende Worte. Der Hund, zu dem mir das ausgesprochen originelle Kompositum „Scheißvieh“ eingefallen war, war kaum zu halten, und ich fürchtete, er würde sich abermals losreißen. Mir sind seine fletschenden Zähne, sein Knurren gedanklich noch sehr präsent. Das Tier war außer sich. Nicht minder aber ich. Ans Weiterlaufen verschwendete ich keinen Gedanken, mein Urteil wäre gesprochen gewesen und weitere Bisse wären die logische Folge, natürliche Instinkte, die mich endgültig zum Opfer gestempelt und den Trieb zum Erlegen der Beute nur befördert hätten. Zwar hing Hund an Leine, aber ob Dame Hund dann noch hätte halten können, da hatte ich so meine Zweifel. Außerdem spürte ich, wie mir das Blut den Rücken runter floss. Und nach dem Abebben des ersten Schocks setzten auch die Schmerzen ein. Die Dame und ihre Tochter hielten den Hund, so gut sie eben konnten. Und sie hatten Schwierigkeiten dabei. Das war offenkundig.
Ich lamentierte noch herum, ich würde die Polizei holen, während mir von der anderen Seite die Entschuldigungen nur so entgegenschallten. Endlich beruhigten wir uns alle ein wenig, selbst der Hund, nur sein Zähnefletschen, dass er partout nicht bleiben lassen wollte, fand nicht ganz meine Sympathie. Da wir alle im gleichen Ort wohnten, uns zwar nicht kannten und ich meine Idee mit der Polizei noch nicht verworfen hatte, begleitete ich das Trio nach Hause. Ein Handy führte nämlich keiner von uns mit sich. Zum Telefonieren hatte die Dame ihr Festnetz angeboten.
Endlich bei den Dreien zu Hause angekommen, fand der Hund ein sicheres Domizil. Die Dame bat mich, ob sie eine Erstversorgung der Wunde leisten dürfte, sie wäre Krankenschwester von Beruf. Misstrauisch geworden durch diese schmerzhaft verletzende Begegnung und auch zweifelnd, was das wohl werden könnte, ließ ich diese dann doch zu. Mir wurde auf einmal ziemlich schwindelig, und meine Beine sackten weg, fühlten sich butterweich an. Da ich manchmal zur Ohnmacht neige nach Verletzungen oder Körpereingriffen generell, sah ich eine solche schon auf mich zukommen. Ganz seltsam schummerig wurde mir zumute.
Das mit der Ohnmacht ist eine ganz blöde Angewohnheit von mir, mehrfach schon ist mir das widerfahren. Einmal, als ich während des Studiums einem Job am Fließband nachging und mir eine Wäschetrommel (ich baute Waschmaschinen zusammen) das Daumenfleisch spaltete, das war das erste Mal. Ich schaute mir den blutenden, nicht schön anzuschauenden Daumen an, und dann weiß ich nur noch, dass mir jemand ständig ins Gesicht schlug und in mir sich alles sträubte, „zurückzukommen“. Ich wollte bleiben, wo ich war, wo immer das auch war. Diese schwache Ahnung, bleiben zu wollen, wo ich war, daran erinnere ich mich noch, sie ist mir wie eingeschrieben in mein Bewusstsein. „Sie haben sich Ihren Daumen angesehen, und dann sind Sie langsam, gegen den Stahlpfeiler gelehnt, zu Boden gesunken“, so sprach der Vorarbeiter zu mir, der das Ganze beobachtet hatte. Ihm hatte ich auch die Ohrfeigen zu verdanken.
Das zweite Mal bin ich in Ohnmacht gefallen bei meiner Hausärztin, die mir vor einer mehrmonatigen Weltreise prophylaktisch mehrere Impfungen gab und einige Spritzen in den nackten Po setzte. Ich kann Spritzen nicht ausstehen. Den ersten Stich in den Po habe ich ja noch ganz mannhaft männlich – wie ein Held sozusagen – hingenommen, bei der zweiten Spritze aber bekam ich wieder diese Fallsucht. Abermals setzte es reichlich Ohrfeigen, wieder das Gefühl, bleiben zu wollen, wo ich gerade war (wo immer das auch wieder war), und als ich aufwachte, sah ich über mir meine Ärztin und satte drei oder vier Arzthelferinnen, die neugierig, aufgeregt, besorgt oder sonstwie (belustigt gar?) schauten. Und ich lag da am Boden mit heruntergelassenen Hosen, entblößt auf alle Fälle mit all den schönen Dingen, die ich Frau so bieten kann. Nur jetzt passte es so grad gar nicht. Kaum zu mir gekommen, schwindelig noch und doch von dem peinlichen Gefühl eines „Oh nee, muss das jetzt sein?“ war ich beseelt. Überdies lag ich in einem Scherbenmeer, da ich kopfüber in einen Hängeschrank mit Glastüren gestürzt war. Nun gut. Ich überstand auch dies.
Auch Zahnärzte haben an mir ihre Kunst, zu ohrfeigen, schon hinlänglich geübt. Blut abnehmen – o là là – ist nur mit Tricks an mir möglich, ansonsten ... Lassen wir das. Ich denke, es ist soweit klar geworden: Mit Ohnmachten kenne ich mich aus.
Wieder beschlich mich also das Gefühl, hinüber sinken zu wollen, und mit Macht stemmte ich mich dagegen. Die Mutter registrierte, wie ich fahl im Gesicht wurde, und mahnte besorgt: „Kippen Sie mir bloß nicht weg.“ Die Tochter holte mir was Kaltes zu trinken, während die Mutter mir die Wunde desinfizierte und verband. Im Hintergrund bellte der Hund im Hause, getrennt von mir durch eine bloße Zimmertür. Der irrationale Gedankengang eines „Hoffentlich hält die“ schoss mir durch den Kopf. Währenddessen, wie schon unterwegs, erzählte sie mir – Ablenkung tat Not und gut –, dass sie den Hund erst seit drei Tagen besäßen. Sie hätten ihn aus dem Tierheim geholt, und sie hätte um diese Reaktion nicht gewusst. Es täte ihr so leid. Auch hätte sie ihn ja an der Leine gehabt, aber seine Kraft doch sehr unterschätzt; er hätte sich losgerissen, ihr die Leine glatt durch die Hände gezogen. Und wie zum Beleg zeigte sie mir ihre geöffneten Hände. In der Tat wiesen einige Finger Brandblasen auf, durch die die Leine beim Angriff geschnellt war. Es wäre ihr nun klar geworden, dass er zu groß und stark sei. Sie könne sich nicht mehr vorstellen, dass sie ihre Tochter den Hund alleine ausführen ließe. Schon ihr war es schwer gefallen, ihn zu halten. Ihrer Tochter wäre das völlig unmöglich. Auch schwang latent die Angst in ihren Worten mit, dass Hund sich womöglich gegen Leinenhalter würde wenden wollen. Sie zog den Schluss: Der Hund muss weg, zurück ins Tierheim. Ihr Mann sollte ihn am kommenden Tag zurückbringen.
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