Mit Beiträgen haben das Buchprojekt unterstützt:
Marlis Rhyn Beyeler, Luzern
Kulturförderung Kanton Nidwalden
Ernst Göhner Stiftung
Schindler Kulturstiftung
Bildhauer-Hans-von-Matt-Stiftung
Lektorat:
Regula Bühler, hier + jetzt
Gestaltung und Satz:
Christine Hirzel, hier + jetzt
Dieses Werk ist auf www.libreka.de
auch als E-Book erhältlich:
ISBN E-Book 978-3-03919-855-9
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
www.brocom.de
© 2011 hier + jetzt, Verlag für Kultur
und Geschichte GmbH, Baden
www.hierundjetzt.ch
ISBN Druckausgabe 978-3-03919-237-3
Dieses Buch ist nach den neuen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit [...] gekennzeichnet.
Inhalt
1
Zwei Blicke
Druckschrift
Bericht
2
Der Hof Spichermatt
Die Grossmutter Veronika Gut
Seltsamer Besuch
Lateinschule in Stans
Gymnasium in Luzern
Studium in Freiburg und München
Die Familie Joller
Erste Erscheinungen
3
Der Arzt Walter Zelger
Oskar
Fanny Mosers Recherchen
Die drei Töchter Emaline, Melanie und Henrika
Das Knäblein
Freisinnige Köpfe
Mut und verletzter Stolz
Stanser Dorfleben
Liberale Advokaten
Streben nach politischen Ämtern
Dienstmagd
Gründung des Nidwaldner Wochenblatts
Landsgemeinde
Reise nach Bern
Loyalitäten im Rat
4
Mariä Himmelfahrt
Marienverehrung und Wunderglaube
Zwischen liberaler und katholischer Loyalität
Pamphlet des Jesuitenpaters
Bei den Schützen
Das «Eidgenössische» in Stans
Aufseiten der Abenteurer
Im politischen Abseits
5
Türen und Fenster
Maximilian Pertys Einfluss
Gespenster und unsichtbare Energie
Flammen und Totenkopf
Ein Mordprozess als beruflicher Höhepunkt
Der Anwalt Karl Deschwanden
Stimmen
Zschokkes Andachtsbuch
Geistliche Versicherung
Pfarrer Remigius Niederberger und der Piusverein
Überspannte Frömmigkeit
6
Zeugen
Elektrisiermaschine und künstliche Blitze
Der Herumtreiber Robert
Untersuchungskommission
Erster Abschied
Unordnung
Erste Polemik
Berührungen
Zelgers merkwürdige Notizen
Zweiter Abschied
Widersprüchliche Wahrheiten
Newtons Bewegungsgesetze
7
Flucht nach Zürich
Das «Eidgenössische» in La Chaux-de-Fonds
Zweite Polemik
Vor Gericht
Fremde Dienste in Rom und Holländisch-Ostindien
Rom unter Papst Pius IX.
Dritter Abschied
Bilanz
Blick hinter die Kulissen
Die Quellen
Die Bilder
«Whether you believe in ghosts or not, there is no doubt they make ideal guides for exploring the thoughts and emotions of our ancestors.» Owen Davies
1
ZWEI BLICKEUnbeschwert spielen die Kinder in Haus und Garten. Schönes Sommerwetter lockt, es ist Feiertag dazu: Mariä Himmelfahrt, 15. August 1862. Melchior Joller, seine Frau Karoline und der älteste Sohn Robert sind unterwegs. Die 15-jährige Magd Christine Christen ist mit den übrigen Kindern allein zu Hause: « Vor Mess gieng dann das Heinrike auf den Abtritt u[nd] rief mir ich solle kommen. Es sagte es habe an der Thür klöpfelen gehört. Wir sagten, wenn es etwas sei so solle es wieder klöpfelen bevor wir 10 gezählt. Und wirklich! Bevor wir laut 10 gezählt, klöpfelte es an der Abtrittthüre.» Nach mehreren solchen Antworten wächst aus dem selbstvergessenen Kinderspiel heraus die Angst. Die Kinder fliehen vors Haus. Immer wieder kehren sie ins Haus zurück, nur um festzustellen, dass zuvor verschlossene Türen offen stehen. Auch die Türe zu Melchior Jollers Arbeitszimmer. Sie schliessen sie wieder ab und hängen den Schlüssel an den Nagel. «Als wir das 4te Mal hinauf kamen, war nicht nur diese Thüre, sondern noch 4 Thüren in 2ter Etage offen, die vorher zu, aber nicht geschlossen gewesen waren u[nd] auch die Thüre in der Stube unten u[nd] alle Fenster daselbst, die zu gewesen. Hierauf machten wir wieder alle Thüren u[nd] Fenster zu u[nd] giengen wieder vor’s Haus.»
Joller schreibt einige Tage später auf, was in seiner Abwesenheit im Haus vor sich gegangen sei: «Im Laufe des Vormittags, als sich die Melanie, circa 14 Jahre alt, mit dem Dienstmädchen augenblicklich allein befand, erwähnte sie, die Henrika (ihre jüngere Schwester) wolle schon oftmals beim Abtritte an die Hauswand so sonderbar klopfen gehört haben, worauf beide sich dahin begaben. Henrika, die in der Nähe weilte, kam ebenfalls herbei und bekräftigte diese Behauptung. Die Melanie aber, da sie nichts wahrnahmen, wollte nicht daran glauben und ermannte sich in auffallendem Tone zu rufen: ‹In Gottes Namen, wenn es etwas ist, soll es kommen und klopfen!› Und – sogleich fieng es an zu klopfen wie mit einem Fingerknöchel.»
Am Vormittag des 15. August 1862 beginnt zaghaft und leise, was sich innert Tagen zu einer unfassbaren und bedrohlichen Serie von Erscheinungen ausweitet. Angst und Schrecken greifen in Jollers Familie um sich. Mehr als zwei Monate lang weiss kein Familienmitglied, wann, wo und in welcher Gestalt das Grauen wieder auftauchen und wen es bedrohen wird. Am 23. Oktober zieht die Familie fluchtartig und für immer aus der Spichermatt in Stans aus. In diesem Moment verschwinden die Erscheinungen. Kein Besitzer und keine Bewohnerin des Hauses werden je wieder etwas Ähnliches erfahren oder erleben.
DRUCKSCHRIFTAm 23. Juni 1863 schreibt Melchior Joller an die Buchhandlung Hurter in Schaffhausen. Er schlägt dem Buchhändler und Verleger Friedrich Benedikt Hurter einen Text zur Veröffentlichung vor und stellt ihm ein profitables Geschäft in Aussicht. Die Schrift mit dem Titel Darstellung selbsterlebter mystischer Erscheinungen sei «ohne alles subjective Resonnement» verfasst. Trotz ihrer Objektivität spreche sie gegen den «alles seel’sche Leben verdrängenden Materialismus». Joller bezieht sich mit diesem Hinweis auf das Verlagsprogramm Hurters. Dessen Vater Friedrich Emmanuel Hurter, der Vorsteher der reformierten Kirche Schaffhausen, ist nach längerem Streit mit seinen reformierten Glaubensbrüdern über den Umgang mit den Schweizer Katholiken 1844 in Rom zum Katholizismus übergetreten. Sein Sohn ist zwar selber beim angestammten Glauben geblieben. Er verlegt und vertreibt nun aber die Schriften seines Vaters und etliche andere für den süddeutschen Katholizismus sehr wichtige Bücher. In seinem Programm finden sich katholische Liederbücher, Predigten sowie Geschichtsdarstellungen aus katholischer Sicht. In diesem Umfeld möchte Joller nun sich und seine Schrift platziert sehen.
Es kommt anders. Im Frühherbst 1863 erscheint Jollers schmale und unscheinbare Druckschrift mit rund 90 Seiten Umfang im Verlag von Franz Hanke in Zürich. Hanke stammt aus dem preussischen Gröbnig bei Leobschütz, dem heutigen polnischen G[ł]ubczyce. Er lässt sich in Zürich nieder, erhält 1855 das Zürcher Bürgerrecht und führt zwischen etwa 1840 und 1880 eine Verlagsbuchhandlung, die sich in erster Linie der christlichen Erbauungsliteratur widmet. So legt er die Schriften des frühen reformierten Pfarrers und Schriftstellers Johann Arndt wieder auf, des Vorläufers des Pietismus. Ebenso Benjamin Schmolck, Pastor aus Niederschlesien, der ebenfalls dem Pietismus nahesteht und dessen Lieder und Gebete unzählige Male kolportiert und nachgedruckt werden. Rund um dessen 100. Geburtstag 1841 verlegt Hanke weiter den Zürcher Philosophen und angesehenen Prediger Johann Caspar Lavater, der ausserhalb seiner Heimatstadt vor allem wegen seiner Physiognomik berühmt geworden ist.
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