Die Opfer – anfangs wissen sie noch nichts von ihrem bevorstehenden Leidensweg – bringen gern und im Übermaß Liebe, Vertrauen und all ihre herrlichen Eigenschaften, die sie ausmachen, in die Beziehung ein. Auf diese Weise können sich die Psychopathen ganz nebenbei ihre schweren Defizite schönreden und sich selbst als liebesfähig und bereichernd empfinden.
Doch dauert es meistens nicht sehr lange, bis sie ihre vermeintlich liebevolle und selbstlose Haltung wieder ablegen. Die Funktion ihrer Partner wird dann unverhohlen auf die eigenen Bedürfnisse reduziert. Und damit beginnt für die Opfer ihr Martyrium. Selbstverständlich verstehen sich die Psychopathen darauf, ihren Missbrauch so geschickt zu dosieren, dass die Partner sich schleichend daran gewöhnen, und dass die sorgfältig erzeugten Abhängigkeiten dabei nicht gefährdet werden. Sie kennen vielleicht die Redewendung, dass wer langsam in die Hölle absteigt, sich unmerklich an die zunehmende Hitze gewöhnt. So schleichen sich mehr und mehr Indoktrinationen, verbale Misshandlungen, permanente Abwertung, emotionale Erpressungen, der Anspruch nach Unterwerfung und vieles mehr ein. Die Negativspirale beginnt sich zu drehen und die Betroffenen leiden bald unter Dauerstress bis hin zu sehr schweren körperlichen Erkrankungen. Daran kann weder ein defensives Verhalten noch Überanpassung langfristig etwas ändern. Trotz dieser Not finden die allerwenigsten an diesem Punkt den Absprung, da sie noch nicht bereit sind, ihre anfänglichen Träume aufzugeben. Ihnen wird erst am Ende eines langen und schmerzhaften Leidenswegs bewusst, dass ihr Partner im Grunde von Anfang an ihre Erniedrigung und Ausbeutung angestrebt hat.
In guten Beziehungen lebt man innig miteinander, in weniger guten nebeneinander und in psychopathischen gegeneinander. Und dabei gibt es kein Entrinnen. Für die Gewalt, die Psychopathen in ihrer frühen Kindheit erlitten haben, müssen stellvertretend ihre jetzigen Opfer büßen. Diese unbewussten Bestrafungsrituale lösen in dem Täter ein Gefühl lang ersehnter Gerechtigkeit aus. In solch einer Beziehung kann es für den Partner nie ein Happy End geben.
Aber es gibt viele Ansätze, sich der Aussichtslosigkeit der Situation bewusst zu werden und entsprechende maßgeschneiderte Prozesse zu generieren, um sich daraus zu retten. Spätestens jetzt, beim Lesen dieses Buchs, sollte Ihnen klar werden, dass Sie die Situation schaffen sollten, bevor sie Sie schaffen wird. Lassen Sie sich auf die wesentlichsten Merkmale und Absichten dieser Spezies ein und haben Sie teil an den vielen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien meiner Klientinnen, die sich wie Sie Ihrer Wirklichkeit stellen mussten oder es immer noch tun. Sie sind mit Ihrem Schicksal nicht allein. Ich möchte Sie dazu einladen, Mut zu schöpfen, Ihren Sehnsüchten zu folgen und Ihr Leben vor dem Zugriff Ihres destruktiven Partners zu befreien oder zumindest angemessen zu schützen.
Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Aufarbeitung und soll es auch nicht sein. Ich verzichte bewusst auf die Präsentation von Statistiken und empirischen Untersuchungen. Es gibt bereits zahlreiche wissenschaftliche Literatur, die sich jedoch vorwiegend auf die Beschreibung dieses Phänomens beschränkt.
Was Sie aber benötigen, sind auf Ihren Alltag zugeschnittene Handlungsstrategien, wie Sie sich konkret Ihrem Partner stellen, wie Sie Ihre Ohnmacht bekämpfen können und wie Sie sich bei Auseinandersetzungen mit Gerichten, Gutachtern usw. verhalten müssen, um nicht ein weiteres Mal zum Opfer zu werden.
Und dafür benötigen Sie klare Vorstellungen und Vorbilder, die genauso wie Sie selbst einmal in der Opferfalle gefangen waren. Sie sind ein Teil dieses Systems, und als solcher müssen Sie Ihre eigene Funktion ebenso begreifen und nutzen wie Ihr Gegenüber es tut.
Fazit:
Der Mensch, auf den ich warte, dass er mich erlöst, bin ich selbst.
Wir werden auf den folgenden Seiten viele verschiedene Ebenen beleuchten, die eine Rolle in dieser verhängnisvollen Dynamik spielen. Beginnen wir mit dem Thema Abhängigkeiten.
Ich halte an dem Menschen fest, der mich zerstört
Es gibt nur wenige Menschen, die dem Charme eines Psychopathen widerstehen können oder die von ihm ausgehende Gefahr ahnen und unverzüglich das Weite suchen. Wer jedoch mit ihm eine Liaison eingegangen ist, wird bald nicht mehr Herr seiner Gefühle sein. Das Bild der Fliege am Fliegenfänger kommt der Sache sehr nahe. Die Betroffenen können nur noch benommen feststellen, wie ihr Verstand an dieser Herausforderung kläglich scheitert und geben sich nicht selten selbst die Schuld an ihrer Verzweiflung. Viele Klientinnen berichten mir weinend, dass sie wissen, dass sie nur benutzt und gedemütigt werden, aber dennoch glauben, ohne ihren Psychopathen nicht leben zu können. Es gibt für sie einfach kein Entrinnen. Und für diese vermeintliche Schwäche schämen sie sich vor sich selbst und vor anderen. Sollte es Ihnen ebenso ergehen, so möchte ich Sie zu einhundert Prozent entlasten und Ihnen sagen, dass Sie keine Schuld an dieser Dynamik tragen.
Wir müssen uns die Frage stellen, warum diese Menschen trotz aller sichtbaren Regelverletzungen, Unverschämtheiten und Selbstverliebtheit immer noch in der Lage sind, ihre Opfer an sich zu binden. Für mich liegt die Antwort darin:
Psychopathische Charaktere haben die Begabung, in anderen Menschen wie in einem aufgeschlagenen Buch zu lesen. Sie können die tiefsten Sehnsüchte und Bedürfnisse ihres Partners mühelos erfassen und zu ihrem Vorteil nutzen. Und jeder von uns trägt genügend dieser unbefriedigten Sehnsüchte und Bedürfnisse in sich, die ausgenutzt werden können. Wenn eine Beziehung beginnt, dann schleichen sich diese Individuen tief in die Seelen ihrer Opfer und festigen die Illusion, dass sie endlich aus tiefstem Herzen geliebt, erstmals ganzheitlich wahrgenommen werden und ihnen nun die Wertschätzung zukommt, die sie verdienen.
Da wir in einer Gesellschaft leben, in der die meisten darauf ausgerichtet sind, selbst gesehen zu werden anstatt andere zu sehen, selbst zu reden anstatt zuzuhören und lieber selbst im Mittelpunkt zu stehen anstatt andere bitten hervorzutreten, ist es nicht verwunderlich, dass Defizite auch im Erwachsenenalter in uns allen ungestillt bleiben.
Verstärkt wird die Problematik dadurch, dass sich nicht jeder seines emotionalen Mangels bewusst ist. Ich erlebe immer wieder, dass mir Frauen berichten, dass sie gar keine unerfüllten Sehnsüchte in sich trügen, die ausgenutzt werden könnten. Wenn wir uns dann aber mit ihrer Kindheit beschäftigen und ansehen, welchen Stellenwert sie in ihrer Familie eingenommen hatten, spätestens dann kommt die Erkenntnis, dass doch sehr viel Unerfülltes in ihnen schlummert. Schnell fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen, dass das, was ihnen als Kind versagt geblieben ist, heute immer noch fehlt und dass ihr Partner zu Beginn der Beziehung für kurze Zeit diesen Mangel aufgehoben hatte.
Dieser Menschenschlag weiß sehr genau um seine Begabung. Und da Psychopathen von keinen hinderlichen Gewissensbissen eingeschränkt werden, spielen sie ihre Fertigkeiten mit grausamer Berechnung aus. Sie können ihre Partnerinnen bis zur absoluten Verzweiflung erniedrigen und schaffen es dennoch in wenigen Minuten, mit Blicken, einfühlsamer Stimme und anderen Schmeicheleien ihre Sehnsüchte erneut aufzurufen und sie so wieder auf sich zu fixieren.
Ich möchte auch hierzu zwei Betroffenen die Gelegenheit geben, von ihren eigenen Erfahrungen zu berichten.
Im ersten Bericht wird deutlich, wie wir uns zuweilen selbst im Weg stehen – gerade dann, wenn es um das Spannungsfeld zwischen Vernunft und Gefühlen geht. Andrea war gerne bereit, ihre Erfahrung mit Ihnen zu teilen, um Ihnen in ähnlichen Situationen Mut zu machen, sodass Sie nicht an sich selbst verzweifeln, so wie sie es lange Zeit getan hat.
Читать дальше