„Ohne Zweifel war die Liturgiereform des Konzils von großem Gewinn für eine bewusstere, tätigere und fruchtbarere Teilnahme der Gläubigen am heiligen Opfer des Altares … In dem einen oder anderen Bereich der Kirche kommen Missbräuche hinzu, die zur Schmälerung des Glaubens und der katholischen Lehre über dieses wunderbare Sakrament beitragen. Bisweilen wird ein stark verkürzendes Verständnis des eucharistischen Mysteriums sichtbar. Es wird seines Opfercharakters beraubt und in einer Weise vollzogen, als ob es den Sinn und den Wert einer brüderlichen Mahlgemeinschaft nicht übersteigen würde.“ 10
Die Theologie ist demnach aufgerufen, den Opfercharakter der Eucharistie für die Gegenwart in den Fokus zu stellen. Sie hat die Aufgabe, das Opfer der Eucharistie zu erklären und zu begründen und so für unsere Zeit verständlich auszusagen. Dabei muss sie den zweifachen Opfercharakter der Eucharistie unterscheiden und darlegen. Darauf wollen wir im nächsten Abschnitt eingehen.
2. Die zweifache Frage zur Thematik des Messopfers
Die Eucharistie ist zum einen das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Auf die theologische Grundlegung dieser Aussage, die im Laufe der Theologiegeschichte Kritik und Fragen heraufbeschworen hat, nicht zuletzt auch in ökumenischer Hinsicht, werden wir jetzt im Prolog genauer eingehen.
Für unsere vorliegende Arbeit ist hingegen eine zweite Fragestellung die entscheidendere, die ohne die vorgenannte Aussage jedoch nicht beantwortet werden kann. Die bis heute drängende Frage ist, wie von einem „Opfer der Kirche“ in der Eucharistie gesprochen werden darf und kann, und worin dieses Opfer besteht? Was macht den Opfercharakter der Eucharistiefeier als Opfer der Kirche aus? Was ist in der Eucharistie der eigene Opferakt der Kirche? Kann es überhaupt ein Opfer der Kirche geben, wenn Jesus Christus ein für alle Mal am Kreuz dem Vater geopfert und alle anderen Opfer erfüllt hat (vgl. Hebr 7,27; 9,12)? Ist das Opfer der Kirche in der Eucharistie dann ein Mitopfer mit Jesus Christus, in dem es zu einer Doppelung der Darbringenden kommt? Ist die Kirche Subjekt oder Objekt des Opfers, d.h. ist sie aktiv oder passiv beteiligt? Opfert sie selbst etwas, und wenn ja, was? Oder lässt sie sich nur passiv von Christus ihren Ort in seinem Opfer zuweisen? In welchem Verhältnis steht die Kirche zu Christus in aktiver oder passiver Weise in dieser Opferhandlung? In allen diesen Fragen liegt ein nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt auch für den ökumenischen Dialog.
Die zweifache Frage zum Opfercharakter der Eucharistie darf nicht voneinander abgekoppelt werden. Wenn der theologische Diskurs, wie wir im geschichtlichen Durchgang sehen werden, weitestgehend das Verhältnis von einmaliger Erlösungstat Christi in Tod und Auferstehung und deren Repräsentation in der Feier der Eucharistie zu erläutern hat, so rufen wir uns dies im historischen Durchgang in Erinnerung, um schließlich unsere aktuelle und heute drängende Frage zu bearbeiten, wie es um das Verhältnis von Identität und Differenz des einen und einzigen Opfers Christi und einem Opfer der Kirche in der Eucharistie bestellt ist. 11Es soll in der vorliegenden Arbeit darum gehen, ob es ein wirkliches Opfer der Kirche gibt, ohne dabei Gefahr zu laufen, die Tat Jesu Christi als unvollkommen erscheinen zu lassen und die Einmaligkeit und den Vorrang seines Handels in Frage zu stellen.
3. Der Gang der Untersuchung
Um den Gang der folgenden Untersuchung kurz zu skizzieren, einige Anmerkungen zur Logik des Aufbaus: Zunächst soll ein Überblick über den historischen und theologischen Stellenwert des kirchlich-christlichen Opfergedankens und dessen Entwicklung vermittelt werden. In dieser Arbeit soll nicht noch einmal referiert werden, was schon hinreichend geschehen ist: die Aufarbeitung der biblischen Opfertermini und deren spezifisches Verständnis. In dieser Arbeit geht es um die Beantwortung der Frage, wie die Kirche seit den nachapostolischen Zeiten mit dem Thema „Opfer“ im jeweiligen theologiegeschichtlichen Verstehenshorizont umgegangen ist. Wir beginnen mit einem Überblick über Interpretationen des Zusammenhangs von „Opfer“ und „Messfeier“ im Verlauf der Kirchengeschichte, um so zu ermitteln, ab wann und in welcher Weise von einem „Opfer der Kirche“ gesprochen wird. Dieser geschichtliche Überblick wird sich auch über die einschneidende Epoche der Reformation und das Konzil von Trient erstrecken. Im Nachgang des Konzils entstanden verschiedene Messopfertheorien, die für unsere Fragestellung insofern von Bedeutung sind, als sie von der Absicht getragen waren, die zweifache Frage nach der Eucharistie als Opfer der Kirche grundlegend zu beantworten.
Von hier aus stellen wir einen Bezug her zum 20. Jahrhundert, das mit dem Benediktiner Odo Casel eine neue Antwort auf unsere Themafrage entwickelt. Aus diesem Grund liegt es nahe, das erste Kapitel diesem Vertreter der sogenannten Mysterientheologie zu widmen. Mit Odo Casel lassen wir eine der tragenden Persönlichkeiten der liturgischen Bewegung zu Wort kommen. Er beginnt seinen Denkweg, indem er von der konkreten Liturgieentfaltung ausgeht, auf die Vätertheologie zurückgreift und dann eine eigene These entwickelt. Casels Vorliebe für die Patristik ist gepaart mit einer streckenweise übertriebenen Zurückhaltung gegenüber neueren theologischen Entwicklungen der Theologiegeschichte.
Während Casel von den Vätern her denkt, entwickelt Karl Rahner seine Antwort auf die Frage, inwiefern die Eucharistiefeier auch Opfer der Kirche ist, in positiver und zugleich kritischer Auseinandersetzung mit der Scholastik. Er, einer der prominentesten Theologen des 20. Jahrhunderts, bildet ein gewisses Gegengewicht zu Casel. Karl Rahner ist durch die nachtridentinische Schultheologie geprägt und mit einem sehr großen Traditionswissen ausgestattet, das er in die Ausbildung seines transzendentaltheologischen Denkens einfließen lässt. Mit Rahner binden wir zugleich einen Peritus des II.Vatikanums in unser Thema ein.
Wenn irgendein Theologe des 20. Jahrhunderts so etwas wie eine Einfaltung aller großen Antworten auf unsere Themafrage bietet, dann Hans Urs von Balthasar. Deshalb beherrscht er das dritte Kapitel dieser Untersuchung. Er verbindet in seinem Denken verschiedene geisteswissenschaftliche Aspekte, denn er „schöpft wie kein Zweiter aus den Schätzen der Religions-, Theologie-, Philosophie-, Literatur-, Musik-, und Kunstgeschichte.“ 12
In den drei genannten Kapiteln werden wir jeweils zunächst einen Überblick über die geistige Biografie und die ausgewählte Literatur bieten. Für unser Thema befragen wir in erster Linie die Primärtexte von Casel, Rahner und von Balthasar. Die herangezogene Sekundärliteratur dient dazu, Aspekte im jeweiligen Denken der drei Theologen für unsere Fragestellung fruchtbar werden zu lassen, die nicht eigens im engen Rahmen unserer Untersuchung ausgearbeitet werden können. So werden dennoch bestimmte Denkschritte der Theologieentwürfe deutlich, und die Aussagen und Erkenntnisse zu unserem Thema in den Gesamtkontext der drei Theologieentwürfe integriert.
Wir werden im Fortgang der Untersuchung immer vom christologischen Ansatz der befragten Autoren ausgehen und also fragen, ob und in welcher Weise im Kreuzesgeschehen eine opfertheologische Konnotation gesehen wird. Erst dann folgt der Blick auf den ekklesiologischen Entwurf, in dem Casel, Rahner und von Balthasar je auf ihre Weise die Frage beantworten, wie sie der Kirche bzw. den Kirchengliedern ein opfertheologisches Mittun zuweisen. In einem dritten und letzten Schritt erfolgt die Charakterisierung und Profilierung des jeweiligen Beitrags zu Erklärung der Eucharistie als Opfer der Kirche.
Nachdem wir die Antworten der drei großen Theologen des 20. Jahrhunderts untersucht und dargestellt haben, folgt zum Schluss der Blick auf die Konvergenz der Entwürfe, um so zu einem abschießenden Resümee ansetzen zu können, wie die Eucharistie als Opfer der Kirche heute verstanden werden kann.
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