1. Profane Bedeutung des Begriffs „katholisch“
Auch wenn sich der Begriff „katholisch“ in adverbialer Form („καθόλον“) sowohl in der Septuaginta als auch im NT finden lässt 7, ist er kein originär theologischer Terminus, sondert entspringt dem profanen Bereich der griechischen Antike.
Etymologisch leitet sich der Begriff „katholisch“ vom griechischen Adjektiv καθολικός ab, das aus dem ursprünglicheren Adverb καθόλον gebildet wurde. Das aus der Präposition κατά (mit Genitiv: „von … herab“; „in … hinein“) und dem Adjektiv ὅλος („ganz“) zusammengesetzte Wort lässt sich wörtlich übersetzen mit: „auf ein Ganzes bezogen“, „vom Ganzen her“, „ein Ganzes betreffend“ und kann auf die Grundbedeutung: „umfassend“, „vollständig“, „vollkommen“ subsumiert werden. 8Griechische Antonyme sind etwa ἴδιος („eigen“, als Adverb ἴδιον: „für sich“) und μέϱικος („einzeln“, „zum Teil“). Als lateinische Synonyme lassen sich nennen: „communis“ („gemeinsam“, „im Allgemeinen“), „universalis“ („allgemein“), „totus“ („ganz“, „voll“, „in vollem Umfang“), „perpetualis“ („allgemeingültig“). 9
Da die Begriffe καθολικός und καθόλον in der philosophischen Terminologie in reicher Bedeutungsvielfalt anzutreffen sind, seien nachfolgend die wichtigsten Linien ihrer Verwendung in der antiken Profanliteratur nachgezeichnet.
1.2Verwendung in der philosophischen Terminologie
In der griechischen Philosophie sind sowohl das Adverb καθόλον als auch das Adjektiv καθολικός häufig anzutreffen, erstmals belegt bei Platon (5./4. Jh. v. Chr.). 10Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch und damit in die Logik und Metaphysik finden beide Begriffe durch Aristoteles (4. Jh. v. Chr.). Bei ihm bezeichnen καθόλον bzw. καθολικός den Allgemeinbegriff, einen allgemeinen Satz oder das Objekt einer Wissenschaft, welche Allgemeines behandelt. 11Im aristotelischen Sinne können beide Begriffe demnach übersetzt werden mit: „ sich auf ein Ganzes beziehend“, „im allgemeinen “. Zeno (4./3. Jh. v. Chr.) überschreibt eines seiner Werke mit dem Wort καθόλικα, das ins Deutsche mit „Über die Universalien“ bzw. „ Über die allgemeinen Prinzipien “ übersetzt werden kann. 12
Polybios (2. Jh. v. Chr.) verwendet das Adjektiv καθολικός unter anderem im Sinne von „vollkommen“, „allumfassend“, „vollständig“, „allgemein“, „in Fülle bestehend“, „in sich vollständig“ , womit in metaphysischem bzw. geschichtlichem Zusammenhang eine organische Ganzheit bzw. ein geistesgeschichtlicher Zusammenhang ausgesagt werden soll. 13Bei Rhetorikern und Naturwissenschaftlern wie etwa Philon (1. Jhd. n. Chr.) wird der Begriff im Sinne von „generell“, „allgemein“ im Gegensatz zu „partikulär“ gebraucht. 14
Bei aller hier nur exemplarisch dargelegten Bedeutungsvielfalt lassen sich für καθολικός im nichttheologischen Wortgebrauch zusammenfassend drei Grundbedeutungen herausstellen:
„1. Die raum-zeitliche im Sinne von „vollständig“, „allgemeingültig“; 2. „allgemein“, „generell“ in der Fachterminologie von Logik und Rhetorik; 3. „vollkommen“, „in Fülle“, „richtig, d.h. so, wie es sein soll“ 15.
Während die erste Bedeutung in der lateinischen und neueren Philosophie ihren Niederschlag findet (etwa bei Johannes Clauberg und Emilie Meyerson 16), gewinnt die dritte in der Theologie der Patristik an Relevanz. Bevor diese dritte Bedeutung näher betrachtet werden soll, sei ein kurzer Blick auf den biblischen Befund gelenkt.
2. Biblische Verwendung des Begriffs „katholisch“
Im Neuen Testament ist das Adverb καθόλον lediglich einmal belegt (vgl. Apg 4,18). Dort wird es im Sinne von „gänzlich“, „überhaupt“, „jemals“ verwendet. Mit gleicher Bedeutung findet sich der Begriff an neun Stellen in der Septuaginta. Beide Quellen verwenden καθόλον niemals im theologischen, ekklesiologischen Sinne, etwa als Attribut der Kirche zur Bezeichnung von deren Universalität. 17In diesem Wortsinne lässt sich der Begriff „katholisch“ im Neuen Testament nicht finden. Sehr wohl aber sind der Sache nach begriffliche Äquivalente im Neuen Testament enthalten, die das zum Ausdruck bringen, was mit dem erst später verwendeten Terminus „katholisch“ ausgesagt sein will: den universalen Heilsauftrag der Kirche und ihre umfassende Heilsfülle. 18
2.1Der universale Heilsauftrag der Kirche im biblischen Kontext
Vorbereitet wird der Gedanke des universalen Heilsauftrages der Kirche bereits im Alten Testament. Vor allem Deutero-Jesaja hat das Heil für die ganze Welt im Blick (vgl. Jes 40,5; 45,23f; vgl. auch Sach 2,15; Ps 22,28; Jes 25,6ff), welches durch Israel bezeugt wird. Dessen eschatologische Sendung ist es, „Licht für die Völker“ (Jes 42,6; 49,6) zu sein und die Völker zur endzeitlichen Wallfahrt nach Jerusalem zu rufen (Jes 2,2ff; Mich 4,1ff). Seit der Berufung Abrahams ist mit der Geschichte Israels eine „allgemein gültige, universale Verheißung verbunden. Über Israel wird das Heil zu allen Völkern gelangen“ 19. In diese Sendung weiß sich Christus gestellt, der sich anfangs ausschließlich zum Volk Israel gesandt fühlt (Mt 10,6; 15,24).
Mit seinem nachösterlichen Missionsauftrag: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,19) weitet er das ursprünglich eschatologisch verstandene Motiv der Völkerwallfahrt missionarisch auf alle Völker aus. So betont etwa der Evangelist Lukas das in Jesus aufgeschienene Licht, das nicht nur das Volk Israel, sondern „die Heiden erleuchtet“ (Lk 2,32). Und auch der Evangelist Johannes unterstreicht den Gedanken der Heilsuniversalität Jesu, wenn er Metaphern wie „Licht der Welt“ (Joh 8,12; 12,46) oder „Retter der Welt“ (Joh 4,26) auf Christus bezieht.
Sowohl in der Apostelgeschichte als auch bei Paulus lässt sich sodann der Gedanke der weltweiten, universellen Mission „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8; Röm 15,19.24) finden. Zur Kirche gehören sehr bald Juden wie Heiden, wobei der Gedanke von der Sammlung aller (Heiden-)Völker stets mit dem Gedanken der Wiederherstellung des Volkes Israels verbunden bleibt (vgl. Apg 15,13–18). Es setzt sich die Einsicht durch, dass es „keinerlei nationale, rassische, geographische, soziologische, biologische Schranken für die Aufnahme in die christliche Gemeinde geben kann, weil der in Christus sich manifestierende Versöhnungswille Gottes universal ist“ 20. Das universale Heilsgeschehen in Christus bringen vor allem die paulinische Lehre von der Rechtfertigung (vgl. Gal 2,15–21; Röm 3,21–31) sowie die johannäische Rede von der kosmischen Sendung Jesu zum Heil der Welt (vgl. Joh 3,16f; 12,46f; 1 Joh 4,9) zum Ausdruck.
Die sich sehr bald einstellende Universalität der frühchristlichen Gemeinden schmälert keineswegs Israels originäre heilsgeschichtliche Bedeutung und dessen eschatologische Erwählung. Im Gegenteil: Die Rückbindung der (heiden-)christlichen Kirche an die Sendung Israels wird zum Wesen ihrer universellen – im Epheser- (vgl. Eph 1,10; 1,20; 3,10) und Kolosserbrief (vgl. Kol 1,18) kosmisch ausgeweiteten – Sendung und erweist sich fortan als Merkmal ihrer Katholizität. Dass deren Sendung nicht nur ein geographisches, sondern auch ein zeitlich-universalgeschichtliches Ausmaß haben wird, lässt Paulus anklingen, wenn er davon berichtet, wie er „von Jerusalem aus in weitem Umkreis bis nach Illyrien überallhin das Evangelium Christi gebracht“ (Rom 15,19) hat und darum bemüht ist, „das Wort Gottes in seiner Fülle [zu] verkündige[n]“ (Kol 1,25).
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