Nicht zuletzt aus diesem Grunde muss auch die Kategorie der Inspiration einer Revision unterzogen werden. Seitdem sie theologisch eingeführt wurde, musste sie hinsichtlich ihrer supranaturalistischen Annahmen sukzessive abgeschwächt werden. Weder ließ sich die Behauptung der Inspiriertheit des konkreten Wortlautes (Verbalinspiration) aufrechterhalten, noch hatte die Version der Personalinspiration mit Bezug auf die Verfasser der Schrift für längere Zeit Bestand. 82Problematisch an diesen Konzepten ist der Versuch, die herausgehobene Bedeutung der Hl. Schrift durch einen besonderen, äußeren Umstand ihrer Entstehung zu legitimieren. Die „Inspiration“ von Text und Autor wird gedacht im Modus einer Überbietung des menschlichen Anteils am Zustandekommen von Texten durch eine göttliche Zutat oder ein spezielles göttliches Mitwirken. Auf diese Weise wird „Inspiration“ zur Kennzeichnung eines formalen Merkmals der Hl. Schrift oder ihrer Entstehung: Die Verfasser der biblischen Texte wurden von Gott in besonderer Weise dazu autorisiert, so dass diesen Texten eine besondere Autorität zukommt.
Was die biblischen Texte zum Bestandteil einer „Heiligen Schrift“ macht, muss aber hinsichtlich ihrer Autorschaft keineswegs so gedacht werden, dass Gott einem Menschen durch einen interventionistischen Akt die passenden Worte eingibt, mit guten Einfällen versorgt oder auf eine neue Idee bringt. Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass das „Im-Wort-Sein“ von Gott und Mensch, das Kennzeichen der Schöpfung ist, nochmals überboten wird. Wenn aber Gottes daseins-, identitäts- und freiheitsbegründendes Schöpferwort bereits unüberbietbar ist, ist dieses Konzept nicht haltbar. Stattdessen muss gesagt werden: In der „Inspiration“ der Schrift findet die Unüberbietbarkeit des Im-Wort-Seins von Schöpfer und Geschöpf ihren Ausdruck. Sie fügt dem Im-Wort-Sein von Gott und Mensch nichts hinzu oder relativiert es, sondern manifestiert es, d. h. bringt es selbst zur Sprache. „Inspiriert“ vom Geist Gottes ist die Welt bereits durch das Sprachereignis der Schöpfung (vgl. Gen 1,1,ff.; Ps 33,6; Ps 104,30). Gottes Geist „erfüllt die Erde und umschließt alles“ (Weish 1,7). Es ist der Lebensatem des Allmächtigen, der „im Menschen ist und ihn verständig macht“ (Hiob 32,8). Der Atem des sprechenden Gottes ist der Atem der Schöpfung (vgl. Jdt 16,14). Die theologische Verwendung der Kategorie „Inspiration“ ist demnach auf diese Elementarbestimmung von Mensch und Welt zu beziehen, die für die Schöpfung konstitutiv ist und in allen weiteren Bestimmungen des Gott / Welt-Verhältnisses zum Ausdruck kommt.
Die Rede von der Inspiration der Hl. Schrift ist aber so lange unvollständig und missverständlich, wie sie nicht auch in Beziehung gesetzt wird zum materialen Moment des „Im-Wort-Seins“ und zum materialen Aspekt der Autorität biblischer Texte. Hierbei geht es um nichts anderes als um die Heilswahrheit der Selbstzusage Gottes im Modus unüberbietbarer Zuwendung. Dies gilt auch für die behauptete „Irrtumslosigkeit“ (Inerranz) der Hl. Schrift. Diese Eigenschaft kommt der Hl. Schrift nur in dem Sinne zu, dass man sich auf das, wovon sie spricht, im Leben und angesichts des Todes existenziell verlassen kann.
Es handelt sich bei der Rede von der „Inspiration“ und „Irrtumslosigkeit“ der Hl. Schrift somit nicht um eine äußerlich hinzukommende Garantie oder Beglaubigung ihrer Wahrheit, sondern um die Qualität der von ihr bezeugten Wahrheit. 83Gemeinschaft mit Gott lässt sich gar nicht anders aussagen als vom Geist Gottes getragen und als existenziell unbedingt verlässlich. Und nur solche Texte verdienen „Heilige“ Schrift genannt zu werden.
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