Dass in solchen Fällen mitunter die von Kardinal Schönborn angesprochene Hilf- und Ratlosigkeit der Seelsorger und pastoralen Mitarbeiter 13über das richtige und der Situation angemessene pastorale Handeln auftreten und sich auch aufgrund medialer Verbreitung auf andere übertragen, soll an folgenden zwei Fallbeispielen veranschaulicht werden:
Fallbeispiel Krijn (2002)
Die 74-jährige niederländische Toos Krijn (1927-2002) entschied sich im Februar 2002 nach starken unerträglichen Schmerzen wegen einer langjährigen Multiple Sklerose-Erkrankung für die in den Niederlanden straffreie Lebensbeendigung durch bewusste Herbeiführung des Todes. Daraufhin wurden ihr in ihrer Pfarrei Herz Jesu (Eindhoven, Bistum ‘s-Herzogenbosch/Den Bosch), in der sie über mehrere Jahrzehnte sehr aktiv war und ehrenamtlich gewirkt hatte, sowohl durch den Pfarrer Bartholomé van Oudheusden als auch den Pfarrvikar Caspar Maria Rutz das kirchliche Begräbnis und die Feier eines Requiems verweigert, da ihre Handlung der Lehre der Kirche widersprochen habe. 14Diese Entscheidung ist beim Ehemann, den Angehörigen der Verstorbenen und den Gläubigen der Pfarrei sowie der gesamten Diözese auf Unverständnis gestoßen. Im Gegensatz zu den beiden bereits genannten Geistlichen erklärte sich der emeritierte Pastor C. Ruijs aus der Eindhovener Nachbarpfarrei St. Trudo bereit, das kirchliche Begräbnis zu feiern. 15Da der Fall von Toos Krijn fortwährend auch über die niederländischen Grenzen hinaus das Interesse der medialen Öffentlichkeit erregte, gab der damalige Diözesanbischof von ‘s-Hertogenbosch/Den Bosch Antoon Hurkmans eine Stellungnahme ab, in der er die Vorgehensweise der beiden Pfarreipriester billigte. Gleichzeitig betonte er, dass auch Pastor Ruijs nicht falsch gehandelt hätte. 16Bischof Hurkmans gab zwar an, dass die Kirche die Entscheidung jedes einzelnen für aktive Euthanasie respektiere, verlangte aber im Umkehrschluss ebenso, dass auch der Standpunkt der Kirche respektiert werde, demgemäß jede Zuwiderhandlung gegen die Unantastbarkeit des Leben zu verurteilen sei. 17
Die Unsicherheit im Umgang mit lebensbeendenden Handlungen zeigt sich im Fall Krijn sowohl auf der Pfarr- als auch Diözesanebene. Einerseits wurden nach Sichtung desselben Sachverhalts durch drei verschiedene Priester über Gewährung oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses gegensätzliche Entscheidungen getroffen, andererseits hätten nach Ansicht des Diözesanbischofs alle drei agierenden Priester nicht falsch gehandelt, sodass er ihnen wenigstens kein unrechtmäßiges und rechtswidriges Handeln attestierte.
Während im Fall Krijn zumindest die vollzogene Handlung der bewusst herbeigeführten Lebensbeendigung klar ersichtlich war, sodass eher die pastorale Vorgehensweise der Seelsorger zur Disposition stand, verdeutlicht das nachfolgende Fallbeispiel aus der Diözese Rom aus dem Jahr 2006, welche Konsequenzen unterschiedliche Interpretationen von medizinischen Handlungen oder Unterlassungen am Lebensende nach sich ziehen können. Nachdem das Vikariat der Diözese Rom den Abbruch von künstlicher Beatmung und Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr als „Realeuthanasie“ interpretierte und die Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses verkündete, erhoben sich weltweit kritische Stimmen. Diese richteten sich zunächst gegen die Verweigerung des Begräbnisses, in einem nachfolgenden Schritt aber gegen deren Begründung, die in der fehlerhaften Interpretation der vollzogenen medizinischen Handlung durch die kirchliche Autorität ausgemacht wurde. 18
Fallbeispiel Welby (2006)
Der Italiener Piergiorgio Welby (1945-2006) wendete sich im Dezember 2006 nach 40-jährigem Leiden an progressiver Muskeldystrophie (Muskelschwund) und nahezu vollständiger Lähmung an den damaligen italienischen Ministerpräsidenten Giorgio Napolitano und bat um die Abschaltung seiner lebenserhaltenden Beatmungsgeräte sowie die Einstellung der künstlichen Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr. Der daraufhin vollzogene Behandlungsabbruch führte dazu, dass Welby an den Symptomen seiner irreversiblen Krankheit starb. Diese Maßnahme aber, die in vielen westlichen Staaten als Ausdruck des persönlichen Selbstbestimmungsrechtes des Patienten akzeptiert und rechtlich legitimiert ist, wurde seitens des Vikariats von Rom als intendierte Herbeiführung des Todes interpretiert und ein kirchliches Begräbnis verweigert. Aufgrund der breitgefächerten Kritik an der kirchlichen Handlungsweise 19erklärte das Vikariat von Rom, dass Welby seinen Sterbewunsch bis zuletzt öffentlich und unmissverständlich wiederholt habe. Anders als bei Suizidanten, bei denen das Fehlen des vollen Bewusstseins und der bewussten Zustimmung präsumiert werden könne, habe sich Welby bewusst der kirchlichen Lehre widersetzt, worin die rechtliche Grundlage der Begräbnisverweigerung zu sehen sei. 20Der damalige Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz Kardinal Camillo Ruini verteidigte die kirchliche Interpretation der Handlung und die rechtmäßige Konsequenz der Begräbnisverweigerung, weil unter diesen Umständen „eine andere Entscheidung für die Kirche unmöglich und widersprüchlich gewesen [wäre], denn das hätte eine Haltung legitimiert, die gegen das Gesetz Gottes gerichtet ist“ 21.
Das Vikariat von Rom wurde für seine Interpretation des Behandlungsabbruchs als bewusste und intendierte Herbeiführung des Todes stark kritisiert. Dieser sei keine „keine Euthanasie [gewesen], sondern eine Sterbebegleitung wie sie der Patient ausdrücklich gewollt hat.“ 22
Die angeführten Fallbeispiele verdeutlichen die Komplexität und Brisanz, die der Forschungsfrage der vorliegenden Studie zu eigen sind. Noch bevor der Seelsorger sich die Frage nach der Möglichkeit der Feier oder Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses stellen kann, muss er den konkreten Sachverhalt und die vollzogene medizinische Handlung am Lebensende wahrnehmen und analysieren. Dies erfordert von ihm eine Bewertung der medizinischen Handlung in der Hermeneutik des lehramtlich-normativen Maßstabs, dessen Horizont von bewusster Herbeiführung des Todes durch eine Handlung oder Unterlassung bis hin zur zulässigen palliativmedizinischen Sterbebegleitung zur Vermeidung überstrapazierender Lebensverlängerung reicht. Erschwert wird dieses Unterfangen durch die kircheneigene Terminologie zur Unterscheidung und sittlichen Beurteilung der medizinischen Handlungen am Lebensende, die sich durch divergierende Differenzierungskriterien von der in Politik und Gesellschaft gebräuchlichen Terminologie absetzt.
Bevor der Seelsorger also über den moralischen Gehalt einer medizinischen Handlung urteilen kann, muss er
- die vollzogene medizinische Intervention am Lebensende eines schwerkranken Patienten nach staatlich-medizinischen Kategorien wahrnehmen,
- dem staatlichen bzw. gesellschaftlichen Begriffs- und Beurteilungsraster entheben und
- in die kirchliche Terminologie, d. h. in den Deutungs- und Interpretationskontext des kirchlichen Lehramtes transferieren.
Erst mit diesem hermeneutischen Zugang kann die Evaluation des moralischen Gehalts der vollzogenen Handlung unter Beurteilung ihrer Natur und der Intention des einwilligenden Verstorbenen erfolgen und gelingen. Dieser Prozess muss zeitlich gesehen noch vor der Betrachtung und Anwendung der kanonischen Normen zur Begräbnisverweigerung geschehen. Erst wenn zweifellos sicher ist, dass die vollzogene Handlung in die Kategorie ethisch unzulässig einzustufen ist, kann der nächste Schritt im Entscheidungsprozess gegangen werden.
Wünschen die Angehörigen des Verstorbenen trotz verurteilenswürdiger Handlung im konkreten Fall die Feier eines kirchlichen Begräbnisses, dann wird das eingangs nachgezeichnete Spannungsverhältnis zwischen der abstrakten kirchlichen Lehre bezüglich bestimmter Handlungen am Lebensende und der gelebten Wirklichkeit im konkreten Sachverhalt deutlich. In Reaktion auf diese Diskrepanz muss der Seelsorger in der Ausübung seines pastoralen Dienstes zwar die kirchliche Lehre verkündigen, aber ebenso auf die konkreten Wünsche und Ängste der Gläubigen eingehen und eine der entsprechenden Situation angemessene Seelsorge gestalten. 23Die liturgische Begräbnisfeier dabei als Instrument zur Annahme der kirchlichen Lehre seitens der Gläubigen zweckzuentfremden, ist nicht zulässig und rechtswidrig. Mit Blick auf den kirchlichen Sendungsauftrag, das Recht des Verstorbenen auf ein kirchliches Begräbnis sowie das kirchliche Begräbnisrecht als solchem ist der Seelsorger im konkreten Sachverhalt gefordert, die kirchliche Lehre und sein pastorales Handeln in eine kongruente Verbindung zu bringen. Um die von Kardinal Schönborn angesprochenen Handlungsextreme Rigorismus oder Laxismus im Sinne einer ethisch, theologisch und rechtlich verantworteten pastoralen Handlungsweise zu vermeiden, bedarf der Seelsorger daher grundsätzlich fundierte Kenntnisse über
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