1 ...6 7 8 10 11 12 ...23 Neben den Vorteilen, die das Christentum aus seinen jüdischen Wurzeln zieht, ist es vor allem die Pax Romana , die der Ausbreitung des Christentums einen günstigen äußeren Rahmen bietet. Denn die Römer sind – gestützt auf ihre mächtige politische und militärische Position – in der Lage, die verschiedensten Völker in ihrem Imperium in sicheren Grenzen zu befrieden und die Einheit ihres Reiches mit Hilfe eines großen und verhältnismäßig uniformen Verwaltungssystems aufrecht zu erhalten. Zusammen mit dem ausgezeichneten römischen Straßennetzbringen es diese geordneten Verhältnisse mit sich, dass sich innerhalb des römischen Imperiums – unbehindert von nationalen Grenzen und auf gesicherten Verkehrswegen – ein vielfältiges und über weite Räume bewegungsfähiges Leben entfalten kann. Davon profitiert sicher auch das Christentum und breitet sich nicht zuletzt deshalb zunächst vor allem entlang der großen Verkehrswege aus.
Diese politisch-militärisch geeinte Welt bildet auch kulturell eine Einheit. Die hellenistische Kultur durchformt nämlich in Religion und Philosophie – über nationale, ethnische und religiöse Unterschiede hinweg – das gesamte Imperium im Sinne einer einheitlichen Geistigkeit. Das bedeutet, dass sich die christliche Verkündigung in einer relativ einheitlichen Welt bewegt und ihre Lehre daher überall mit den gleichen Vermittlungsmethoden verbreiten kann. Für die Missionare genügt es, das Christentum sozusagen in die Sprache und Denkform dieser einheitlichen Kultur zu übersetzen und schon werden sie überall verstanden. Ferner gebraucht man zur Zeit des entstehenden Christentums vom Vorderen Orient bis in den Westen das Griechische als Suprasprache, sodass von Palästina bis Spanien in einer einzigen Sprache gepredigt werden kann. Freilich verbleibt das Christentum aufgrund dieser Gegebenheit zunächst im städtischen Milieu, weil die griechische „Weltsprache“ in den meisten Gebieten des römischen Imperiums nur in den Städten, nicht aber auf dem Lande verstanden wird. Denn dort spricht man zwischen Euphrat und Gallien, aber auch zwischen Ägypten und Britannien unzählige Dialekte. Doch obwohl das Griechische im Westen seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert allmählich durch das Lateinische abgelöst wird, in Ägypten durch das Koptische, in Armenien durch das Armenische usw., bleibt die Geistigkeit weitgehend einheitlich und beruht hauptsächlich auf den weiterhin verstandenen Kultursprachen Griechisch und Latein. Vor diesem geistigen Hintergrund findet das junge Christentum mühelos Anschluss an die zeitgenössische Kultur und Bildung, besitzt die Möglichkeit einer weiträumigen Korrespondenz und Kommunikation und ist nicht der Zersplitterung durch viele Sprachen ausgesetzt.
Exkurs: Das Beispiel des Origenes
Leben und Werk des berühmten alexandrinischen Theologen Origenes(† um 253) stellen ein klassisches Beispiel dar, wie jenes oben angedeutete Zusammenspiel zwischen Antike und Christentumgelingen konnte. Origenes wird um 185 in Alexandrienin einer christlichen Lehrerfamilie geboren. Sein Vater, der später als Märtyrer stirbt, macht ihn schon früh mit der Bibelvertraut, vermittelt ihm aber auch elementare Kenntnisse des klassischen antiken Wissens, sodass Origenes nach dem gewaltsamen Tod seines Vaters die Mutter und die jüngeren Geschwister als Grammatiklehrerernähren kann. Darüber hinaus studiert er die pagane Philosophie, um auch auf philosophische Fragen antworten zu können. Obwohl er sich von vielen Lehrmeinungen dieser Philosophie distanziert, entdeckt er im Platonismus viele Gedanken, die seines Erachtens mit der Heiligen Schrift übereinstimmen. Mit 18 Jahren vertraut man ihm auch die Unterrichtung der alexandrinischen Taufbewerberan. Sein Ansehen als christlicher Lehrer nimmt fortan derart zu, dass er seine Hörer aufteilen muss und den Einführungskurs seinem Schüler Heraklas überträgt. Aus dieser Lehrtätigkeit erwächst sein Werk De principiis , in dem er die gesamte christliche Glaubenslehre entfaltet. Dieses sehr eigenständige Werk und der Versuch, darin bisher offene Fragen zu beantworten, mag das Misstrauen von Bischof Demetrius von Alexandrienerregt haben. Als Origenes auch noch vom Bischof von Cäsarea in Palästina zum Predigen eingeladen und von ihm zum Priestergeweiht wird, hält Bischof Demetrius zwei Synoden gegen ihn ab und schließt ihn um 230 aus seiner Gemeinde aus. Origenes zieht nun endgültig nach Cäsareaum, wo ihn der Bischof sofort mit der regelmäßigen Predigt über alle Bücher der Heiligen Schrift beauftragt. Hier sammelt Origenes auch eine Schülergemeinschaftum sich, deren Leben Gregor der Wundertäter(† um 270/75) ausführlich schildert. Nach dem Muster zeitgenössischer Philosophenschulen entfaltet Origenes für diese Schüler nämlich ein Lehrprogramm, das von der Behandlung der philosophischen Teilbereiche Logik, Physik und Ethik bis zur philosophischen Güterlehre reicht und mit einer Einführung in die Heilige Schrift abgeschlossen wird. Allerdings beinhaltet dieses Curriculum nicht nur die Vermittlung von antikem und christlichem Wissen, sondern auch die Einübungder Schüler ins christliche Leben. So wird man diese hochschulartige Einrichtung des Origenes nicht nur als ein Bindeglied zwischen den traditionellen antiken Wissenschaften und der christlichen Lehre, sondern auch als einen Ort der christlichen Lebenspraxis und der Gewinnung von gebildeten Heiden für das Christentum bezeichnen können.
Die einheitliche, politisch-gesellschaftlich bedingte Kultur der Spätantike ruft bei den Zeitgenossen auch den Gedanken von der Einheit des Menschengeschlechtshervor, den das Christentum aufgreift und mit seinem Evangelium vom einen Gott verbindet, der für die gesamte Menschheit ein umfassendes Heil gestiftet hat. Diesem Evangelium kommt in der damaligen Gesellschaft außerdem eine allgemeine Aufgeschlossenheit für das Phänomen der Erlösungsreligionentgegen, wobei das Christentum die Mysterienreligionen vor allem darin überragt, dass es seinen Ursprung und sein Ziel auf einen Gott zurückführt, der zugleich leibhaftiger Mensch ist.
Zu den günstigen Bedingungen der christlichen Mission zählt auch die grundsätzliche religiöse Toleranz des römischen Staats. Denn das Aufkommen einer neuen Religion ist im Rahmen der liberalen römischen Religionsauffassung und Religionspolitik durchaus möglich, wenn auch die Grenzen des Staats- und Kaiserkults keinesfalls überschritten werden dürfen. Doch grundsätzlich gibt es keine prinzipiellen Einschränkungen nicht-römischer Religionen.
Indirekt förderlich wirkt sich im 3. Jahrhundert sicherlich auch die Weltkriseaus, die aufgrund militärischer, wirtschaftlicher und epidemischer Katastrophen über das Römische Reich hereinbricht. Angesichts der damit verbundenen Verunsicherung zieht das Christentum mit seinen eindeutigen Aussagen über die Welt und ihre Geschichte, mit seiner der heidnischen Götterwillkür eine Absage erteilenden Heilsgewissheit, mit seinen klaren ethischen Lebensdirektiven und seinen einleuchtenden Zukunftserwartungen sicher viele an, zumal solidarische Gemeinden und mutige Bekennerpersönlichkeiten für diese Glaubensaussagen mit bewundernswerter Überzeugungskraft eintreten.
Natürlich stellen sich der christlichen Mission auch ungünstige Bedingungen und Hemmnissein den Weg. An erster Stelle sind hier die Christenverfolgungenzu nennen. Diese beruhen zwar in erster Linie auf dem mangelnden Willen der Christen, den Absolutheitsanspruch des römischen Staats durch die kultische Verehrung des römischen Kaisers und der römischen Staatsgötter anzuerkennen, doch lösen sie in der paganen Öffentlichkeit auch eine auf Gerüchte zurückgehende Kriminalisierung der Christen sowie weitere diskriminierende Vorurteile aus. Dieser schlechte Ruf bringt einerseits eine starke Minderung der Attraktivität des Christentums mit sich und erhöht andererseits die Schwellenangst potentieller Sympathisanten. Auch die Martyriumsbereitschaft vieler Christen überzeugt nicht immer, da manche das christliche Glaubenszeugnis auf die Borniertheit und den Fanatismusder neuen Religion zurückführen. Innere Streitigkeitenin Fragen des Glaubens und der Disziplin, die auch Außenstehenden bisweilen auffallende Kluft zwischen christlichem Ideal und kirchlicher Wirklichkeit, all das sind weitere Punkte, die die Skepsis der heidnischen Umwelt steigern.
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