2 Methodisches Instrumentarium, Quellenbestände und Darstellungsgang
Pluralität kennzeichnet das Projekt sowohl hinsichtlich des verwendeten Methodeninstrumentariums als auch bezüglich der produzierten und recherchierten Datenbestände. Als strukturell-konzeptionelle Synopse stellt Darstellung 5 die Gebrauchsanalyse der Gegenstandsanalyse gegenüber, jeweils gegliedert nach Fragestellungsbereichen resp. Kapitel, Daten-/Quellenbestand und Methode.
Das Untersuchungsdesign ist methodenplural ausgerichtet. Dazu böte sowohl der Triangulations- als auch der Mixed-Methods-Ansatz eine methodologische Grundlage. Ersterer ist als Validierungskonzept entstanden im Rahmen quantitativer Forschung, deren Resultate durch eine zusätzliche qualitative Perspektive überprüft werden sollten.[179] Dieser Ansatz hat sich in der Folge flexibilisiert und weiterentwickelt und dadurch dem Mixed-Methods-Verfahren angenähert, dessen Kernidee darin besteht, qualitative und quantitative Methoden zu kombinieren und zu integrieren entsprechend der Komplexität der Fragestellungen.[180] Deshalb und aufgrund der vielgestaltigen Datenbasis des vorliegenden Projekts eignet sich dieser Ansatz besonders gut. Quantitativen Erhebungen (Kurzfragebogen, serielle Bildanalyse) steht eine grössere Zahl von qualitativen gegenüber (nicht teilnehmende Beobachtung, Kurzinterviews, qualitative Inhaltsanalyse, Bildinterpretationen), eine Gewichtung, wie sie für explorative Studien typisch ist.[181] Die einschlägigen Systematisierungen der Mixed-Methods-Designs unterscheiden mehrere Basis-Designs, von denen im vorliegenden Projekt das parallele Design zur Anwendung kommt.[182] Dabei führt der Forschende die verschiedenen methodischen Teilstudien durch, deren Ergebnisse im Anschluss daran im Sinne eines Mixings der Resultate aufeinander bezogen werden. Der wesentliche Vorteil dieser mehrperspektivischen Vorgehensweise besteht darin, dass mehrere Datenqualitäten mit spezifischen Perspektiven erhoben werden und sich in der Auswertung bestätigen oder ergänzen.
Der Mixed-Methods-Ansatz entspricht einem in der kulturanthroplogischen Forschung häufig angewandten Vorgehen, bei dem methodische Zugänge der jeweiligen forschungsrelevanten Situation den vorhandenen Daten und dem Gegenstand flexibel angepasst werden – was auch für die vorliegende Studie zutrifft. Die Darstellung und Begründung der Daten- und Methodenauswahl enthalten die folgenden Abschnitte 2.1, 2.2.und 2.3. Das abschliessende Teilkapitel 2.4erläutert den Darstellungsgang im Sinne einer Wegleitung, die über den Aufbau der Untersuchung informiert.
Synopse zu den pluralen Datenbeständen und Methoden |
Fragestellungsbereiche/Kapitel |
Daten-/Quellenbestand |
Methode |
Bereich 1/Kapitel 3: Gegenstandsanalyse |
Beschreibung des Ortes und seiner Bestandteile |
Div. schriftliche und bildliche Quellen |
Quellenkritische Analyse, Bildinterpretation |
Analyse der Intentionalität (potenzieller Deutungsgehalt) |
Div. schriftliche und bildliche Quellen |
Hermeneutische Interpretation |
Bereich 2/Kapitel 4: Gebrauchsanalyse kollektiv – Darstellung, Gedenkfeier und Gruppenbesuche |
Mythos und Denkmal als Text: Beschreibung und Interpretation textlicher Darstellungen |
Historiografische Texte, Schulische Lesebücher, Geschichtslehrmittel, Massenmedien, Reiseführer, andere touristische Texte, Bezeichnungen im öffentlichen Raum |
Quantifizierende und qualitative Inhaltsanalyse |
Mythos und Denkmal als Bild: Beschreibung und Interpretation bildlicher Darstellungen |
Ikonische Abbildungen, Postkarten, weitere touristische Abbildungen, Wertträger und Poststempel, Fernsehen, Rütliführer, Inserat |
Quantifizierende und qualitative Bildinterpretation |
Praxis I: Gedenkfeiern (Jubiläumsfeiern, Bundesfeiern, Rütlischiessen) |
Div. Quellen, Massenmedien, Kurzinterviews, Experteninterviews |
Quellenkritische Analyse, qualitative Inhaltsanalyse |
Praxis II: Gruppenbesuche (Akteure und Frequenz) |
Div. Quellen, Experteninterviews |
Quellenkritische Analyse |
Praxis III: Schulreisen (Anzahl und Herkunft) |
Schulberichte, div. Quellen, Experteninterviews |
Quantitativ-deskriptive Statistik, quellenkritische Analyse |
Bereich 3/Kapitel 5: Gebrauchsanalyse individuell – Vorstellung und Wahrnehmung |
Mythos: individuelle Vorstellungen |
Kurzinterviews, Kurzfragebogen |
Qualitative Inhaltsanalyse, quantitativ-deskriptive Statistik |
Denkmal: Wahrnehmung und Deutung (fotografisch, verbalisiert) |
Flickr-Fotoalben und andere Fotosequenzen; Kurzinterviews, Kurzfragebogen |
Quantifizierende und qualitative Bildinterpretation, qualitative Inhaltsanalyse |
Bereich 4/Kapitel 6: Gebrauchsanalyse – kollektive und individuelle Interaktion |
Praxis I: Anzahl und Soziodemografie der Individualbesuchenden |
Kurzfragebogen, Schifffahrtsfrequenzen, div. Quellen |
Quantitativ-deskriptive Statistik |
Praxis II und III: Interaktion Besucherinnen, Besucher – Ort (diachron und synchron) |
Kurzinterviews, Beobachtung, Experteninterviews, div. Quellen |
Qualitative Inhaltsanalyse, quantitativ-deskriptive Statistik |
Praxis IV: Motive und Emotionen von Individualbesuchenden |
Rütlibücher, Kurzinterviews |
Qualitative Inhaltsanalyse |
Darstellung 5
2.1 Quellenkritische Hermeneutik schriftlicher und audiovisueller Medien
2.1.1 Allgemeine Quellen zum Denkmal und dessen Gebrauch
Den grundlegenden Quellenbestand zum Rütli stellt das Archiv der Verwalterin des Denkmals, der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), dar.[183] Vor allem für die ersten Jahrzehnte nach dem Rütli-Kauf 1859 ergänzen nur wenige und zudem unsystematisch erhaltene Materialien die lückenlos erhaltenen Jahresberichte. Die Überlieferung der Protokolle der Rütlikommission setzt in den 1930er-Jahren ein. Sie ermöglichen einen detaillierten Einblick in die Tätigkeit des Gremiums, welche das Denkmal massgeblich prägte. Diese Überlieferungssituation hat zur Folge, dass textliche und bildliche Dokumente zu Einrichtung, Ausbau und Unterhalt der Anlage zwar vorliegen, wünschbar wären jedoch mehr Angaben zu Überlegungen, Absichten und Motivationen der Kommission. Als noch grössere Herausforderung erwies sich, die alltägliche, individuelle Rütlinutzung auf dieser archivalischen Grundlage zu rekonstruieren. Direkte schriftliche Spuren des Rütlibesuchs, Erfahrungsberichte, Briefe oder Ähnliches fanden sich nur sporadisch. Immerhin enthält das Archiv Dokumente, die im Hinblick auf den Besuch von Gruppen oder das Verhalten der Besuchenden beigezogen und ausgewertet werden konnten, insbesondere in Form der seit der Jahrtausendwende systematisch erfassten Bewilligungen für Gruppenbesuche, die gemäss Benutzungsreglement der SGG einzuholen sind. Weitere, für die Fragestellungen relevante und konsultierte Archivbestände befinden sich im Schweizerischen Bundesarchiv (Quellen zu Bundesfeiern) sowie in denjenigen Archiven, die in Kapitel 2.3.2angeführt werden.
Vor allem im Archiv der SGG, aber auch im Bundesarchiv liegen die schriftlichen Fassungen einiger Reden, die anlässlich der Bundesfeier auf dem Rütli gehalten worden waren. Deren systematische, inhaltliche Analyse wäre denkbar gewesen. Dennoch wurde darauf verzichtet. Denn erstens sind nur wenige Reden aus chronologisch ungleich verteilten Jahren greifbar, ein analytischer und serieller Längsschnitt wäre kaum möglich gewesen. Zweitens machte ein kursorischer Durchgang deutlich, dass die Inhalte und die Mythendeutung – erwartungsgemäss – stark zeitgebunden sind. In diesem Projekt soll jedoch eine jeweils gegenwartsbezogene Sicht und Deutung des Rütlis auf der Grundlage anderer Quellenbestände erfolgen, wie beispielsweise anhand der Einträge in den Rütlibüchern. Die Bundesfeier hingegen ist bildlich zwar nicht lückenlos, aber dennoch regelmässig dokumentiert dank reichhaltigem Fotomaterial, das in Kapitel 2.2.8erläutert wird.
Читать дальше