7 Orientierung an der Privatwirtschaft: Auch wenn öffentliche Unternehmen wesentlich unterschiedliche Kontextbedingungen vorfinden, gelten viele Grundprinzipien der Unternehmensführung auch für sie. Eine Orientierung an den Praktiken der Privatwirtschaft ist daher stets eine bereichernde Quelle in der Ausgestaltung der eigenen Strukturen und Prozesse im öffentlichen Unternehmen. Damit ist allerdings keine blinde Übernahme gemeint, sondern eine intelligente Auseinandersetzung mit Instrumenten, welche sich in der Privatwirtschaft bewährt haben.
1.8 Einfache Grundstruktur
Im Rahmen von Projekten, welche die Autoren seit Anfang der 2000er Jahre in der Praxis begleiten konnten, zeigte es sich, dass es ein überaus wichtiges Anliegen ist, einfache und übersichtliche Strukturen zu schaffen. Ziel von Public Corporate Governance ist es weiterhin, die Führung, Steuerung, Kontrolle und Aufsicht von staatlichen Unternehmen zu verbessern. Dennoch ist in verschiedenen Organisationen und Verwaltungen zu erkennen, dass oft in einem gut gemeinten Vorsatz Strukturen und Prozesse definiert werden, welche alles andere als einfach zu beurteilen sind.
Warum erscheinen die Themen Corporate Governance und Public Corporate Governance als kompliziert? Folgende Erkenntnisse dienen als Erläuterung: Es wird nicht konsequent genug versucht, eine Lösung für die jeweilige Situation zu finden. Oder es wird stur versucht, Muster zu übernehmen. Im Weiteren kann die Idee bestehen, dass alle öffentlichen Unternehmen gleich behandelt werden sollen. Tatsächlich muss jedoch die Umsetzung der Public Corporate Governance situativ erfolgen. Es muss dabei auch Rücksicht genommen werden auf die individuellen Umstände des Unternehmens. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass situativ bedeutet, dass Vorgaben und Regelungen zwar konsequent, aber abgestimmt auf das Unternehmen ausgerichtet und umgesetzt werden.
Es ist die Absicht der Autoren, in diesem Buch Strukturen und Prozesse zu entwerfen und einzuführen, welche einfach in Aufbau und Anwendung sind.
1 Synonym wird an anderer Stelle auch der Begriff «Eigentümerstrategie» verwendet (z.B. Schedler, Gulde et al. 2007). Dieser Begriff wird in diesem Handbuch nicht verwendet, weil es sich beim Begriff «Eigentum» um einen genau definierten Rechtsbegriff handelt.
2 Grundlagen
2.1 Einführung
Im folgenden Abschnitt werden einige grundlegende Aspekte dargelegt, die zur Public Corporate Governance in der Literatur gefunden werden können, was für die Steuerung von öffentlichen Unternehmen aktuell bereits beschrieben ist und welche Konzepte eine Rolle spielen. In der Literatur sind sie bereits ausführlich behandelt worden, weshalb an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung vorgenommen wird.
Die konzeptionellen Grundlagen basieren auf Erkenntnissen der Betriebswirtschaft, der Rechtswissenschaft und auch, jedoch eher am Rande, der Politikwissenschaft.
Bei Public Corporate Governance handelt es sich um ein internationales Thema, das wegen der verwaltungsrechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen national geprägt ist. Dieses Buch diskutiert das Thema vor dem Hintergrund der Praxis und der institutionellen Rahmenbedingungen in der Schweiz und in Liechtenstein. Die Autoren sind allerdings überzeugt, dass viele Grundsätze und Themen auch in anderen Kontexten wesentliche Anregungen geben. 2
2.2 Die Funktion des Staates
Es sind die politischen Instanzen, welche über die Aufgabenbreite des Staates entscheiden. Dies geschieht in den üblichen, demokratisch legitimierten Verfahren. Die Leistungstiefe des Staates ist gegenüber dem ursprünglich eingesetzten Wohlfahrtsstaat eingeschränkt: Der Staat erfüllt nur noch die Aufgaben im Kernbereich der staatlichen Verantwortung selbst. Zu beachten ist, dass die Verantwortung des Staates für ausgelagerte Aufgabenbereiche nicht aufgehoben wird. Seine Rolle im Entwicklungsprozess ist hingegen eine völlig andere: Der Staat soll die Gesellschaft vermehrt aktivieren, indem auch direktere Partizipation der Bürger/Kunden an der Leistungserstellung ermöglicht und gefördert wird. Auch die daraus entstehende Gewährleistungsverwaltung handelt zielgerichtet, jedoch autonomer und mit einem gewissen Verhandlungsspielraum. Über die konkrete Definition der Staatsaufgaben entscheidet nicht der Markt, sondern sie ist nach wie vor das Resultat eines demokratischen Verfahrens.
Die Grenzen zwischen Staat und Wirtschaft sind nicht klar gezogen, sondern durch Überschneidungen charakterisiert. Durch «Empowerment» der Einwohner sollen diese zur Eigenerstellung öffentlicher Güter angeregt werden. Dies geschieht in vielfältigen Formen der Leistungserbringung, in denen öffentliche und private Verantwortung miteinander verbunden werden. Der traditionelle Staat verändert sich zum Partner, zum Moderator und Katalysator.
Diese gegenseitige Durchdringung von Staat und Markt zeigt sich auf doppelte Weise:
■ Private, welche die Erfüllungsverantwortung übernehmen, werden in eine öffentliche Verantwortung und Kontrolle eingebunden (vgl. dazu Art. 35 Abs. 2 der schweizerischen Bundesverfassung: «Wer staatliche Aufgaben wahrnimmt, ist an die Grundrechte gebunden und verpflichtet, zu ihrer Verwirklichung beizutragen»).
■ In diese Vorgehensweise bringt der Staat bewusst Mechanismen ein, die eine effiziente Aufgabenerfüllung erwirken, ohne auf hoheitliche Durchsetzung zu greifen (Schedler und Proeller 2009).
Die Auslagerung von Aufgaben wird in der Schweiz seit vielen Jahren betrieben und ausführlich durch den Bundesrat im «Corporate Governance Bericht» vom 13. September 2006 behandelt (Schweiz. Bundesrat 2006). Der Fokus des Berichts liegt auf den Fragestellungen, welche Aufgaben auslagerbar sind bzw. nach welchen Kriterien eine Auslagerung zu beurteilen ist.
Lagert der Staat gewisse Tätigkeiten an Organisationen ausserhalb der Verwaltung aus, so übernimmt er gegenüber den Bürgern die Verantwortung dafür, dass die Leistungserbringung legal, legitim, wirtschaftlich und wirkungsvoll erfolgt. Er leistet damit Gewähr für eine ordnungsgemässe Leistungserbringung, die das öffentliche Interesse berücksichtigt. Gleichzeitig kann er aber je nach Situation die jeweils beste Form der Aufgabenerfüllung auswählen. Er lässt den politischen Kräften den Entscheid offen und liefert die Optionen, aus denen gewählt werden kann. Dies bedingt allerdings, dass sich der Staat für jede konkrete Situation entscheiden muss, welchen Weg er wählt.
Im Gewährleistungsstaat «wird der Entscheid über die Aufgabenbreite und die ideologische Ausgestaltung des Staates (neoliberaler vs. Sozial- und Wohlfahrtsstaat) entkoppelt von Fragen der Umsetzung des Service Public und der Aufgabenwahrnehmung. Die Aufgabenbreite wird durch politische Instanzen in demokratischen Verfahren festgelegt. Bei der Aufgabenerfüllung trägt der Staat in allen öffentlichen Aufgabenbereichen die Gewährleistungsverantwortung, erbringt aber lediglich sog. Kernaufgaben des Staates selbst» (Schedler und Proeller 2009, 35). Gleichzeitig entsteht eine Gewährleistungsverwaltung, welche zielgerichtet, aber autonomer und mit mehr Verhandlungsspielraum handelt. Die Konzeption des Gewährleistungsstaates erlaubt somit ein politisch-administratives System, welches sowohl sozialstaatliche als auch neo-liberale Züge zulässt. Die öffentliche Verwaltung übernimmt im Gewährleistungsstaat die Verantwortung für die Sicherstellung der Leistungserbringung der demokratisch festgelegten Aufgaben.
Eine Möglichkeit, ausgelagerte Aufgaben zu erfüllen, ist der Einsatz von staatseigenen (öffentlichen) Unternehmen. Sie entstehen durch Neugründung (meist wenn neue Aufgaben organisiert werden) oder durch Ausgliederung bestehender Organisationseinheiten. Öffentliche Unternehmen können unterschiedliche Rechtsformen annehmen (vgl. Kapitel 5, Rechtsformen für die Auslagerung und Unternehmensgründung, 77 ff.). Sie werden im Gewährleistungsstaat als Leistungserbringer angesehen, die sich im Prinzip nur wenig von anderen Leistungserbringern unterscheiden.
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