»Scheibe«, jammerte Korab, »jetzt bin ich mit der Aktion zum zweiten Mal eingefahren.«
Anstatt sich aufzurappeln, gab er sich nun ganz der Schwerkraft hin. Er sank auf den Foyerteppich, der trotz neulich erfolgter Reinigung die unauslöschlichen Spuren von Menschengrüppchen trug, die bei Regen und Matsch ins LiMu marschiert waren, nicht um sich eine Ausstellung anzusehen, sondern um hier vor dem Wetter Zuflucht zu finden.
»Vielleicht solltest du diese Nummer noch ein wenig überarbeiten«, schlug Anita vor.
»Heraklit hat gesagt, du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen«, sinnierte Korab und starrte dabei auf die Foyerdecke, die sich wie ein trost- und sternenloses Himmelsgewölbe über ihm aufspannte, »aber es gibt Menschen, die können zweimal in denselben Fettnapf steigen. Und wenn du erkennst, dass du zu diesen Menschen gehörst, dann ist das ein denkwürdiger Moment … wer waren übrigens die Spaßvögel an Ughdes Seite?«
»Rechnungsprüfer«, sagte Anita.
»Und welche Rechnungen prüfen die?«
»Meine«, antwortete Anita, »mein Ex-Mann Günther hat mich angezeigt und behauptet, ich unterschlage Eintrittsgelder.«
»Wie bitte? Er hat was getan?«, rief Korab. »Aber der Ughde kann dem Günther so etwas doch nicht geglaubt haben? Sogar der Ughde muss nach zwei Sätzen erkennen, dass der Günther ein besonders durchgeknallter, dummdreister und fieser Stalker ist.«
»Darum geht’s nicht, Pius. Der Ughde muss jedem Hinweis nachgehen … irgendwie funktioniert das Anpatzen anderer immer … Du hast doch bestimmt auch die Nacktfotos von mir bekommen, oder?«
Korab wandte seinen Blick von Anita ab und zögerte. Schließlich hatte er eine Antwort gefunden. »Ja, schon … aber ich hab sie sofort verbrannt.«
»Siehst du, es nützt nichts. Er wird mir wieder und wieder und wieder schaden, solange bis ich nicht mehr kann …«, sagte Anita und fing an zu weinen. Dieses große starke Muttertier, das eine ganze Herde sicher und behütet auf die steilste Alm führen konnte, sank plötzlich in sich zusammen.
Korab sprang sofort hinter das Kassenpult, umarmte seine Assistentin und sagte dabei: »Nein, das wird er nicht mehr. Ich kümmere mich darum, glaub mir.«
»Das ist aussichtslos, Pius«, schniefte Anita. Sie löste sich aus seiner Umarmung, rollte an eine Schublade heran, öffnete sie, zog ein Taschentuch heraus und schnäuzte sich.
»Hast du ein Foto von ihm?«, fragte Korab.
»Von wem?«
»Von Günther.«
»Sicher …«
»Kann ich es haben?«
»Ja … aber, warum?«
»Ich habe gerade einen Mediator kennengelernt«, sagte Korab. »Der ist wirklich gut und kann vielleicht vermitteln.«
»Und was würde das kosten?«, erkundigte sich Anita.
»Gar nichts«, sagte Korab, »weil ich noch was gut habe bei ihm.«
Mit diesem Satz waren Korab zwei Dinge klar geworden. Erstens: Er hatte keine Wahl mehr. Er musste den Schiele des Kraken unter diesen neuen Umständen auf jeden Fall im Museum deponieren, auch wenn, was wenig wahrscheinlich war, sein Freund und Archivar Hinrich Mayr alias Hinrichtung Nein sagen sollte. Und zweitens: Er musste – ebenfalls unter allen Umständen – vermeiden, dass Anita von der Anwesenheit des Bildes erfuhr. Sie steckte schon in mehr als genug Nervenklemmen, die ihr unermüdlich Lebensenergie absaugten. Jede zusätzliche Belastung war unbedingt zu vermeiden.
Zum Glück stellte Anita keine weiteren Fragen, tippte etwas herum und druckte schließlich ein Porträtfoto von Günther aus. Als er das Blatt in Empfang nahm und sich den Porträtierten ansah, musste sich Korab erneut zurückhalten. Der Typ sah aus wie eine Mischung aus Dschingis Khan, Frankensteins Monster und einem Bombenkrater. Dabei war das noch eine gute Aufnahme Günthers, in einem Stadium, wo er noch halbwegs bei Sinnen war. Korab fragte sich einmal mehr, was an diesem Typen so anziehend gewesen war, dass eine derart feinfühlige, witzige und herbfrische Frau wie Anita etwas an ihm finden konnte. Einfach unfassbar.
»Kannst du mir bitte noch seine Adresse hintendrauf schreiben?«, bat Korab und gab das Blatt zurück.
»Wieso willst du Günthers Adresse auf deinem Arsch?«
»Uff«, atmete Korab auf. »Anita Ligula Major zurück im Ring.«
Die Angesprochene lächelte wieder ein wenig, verschmitzt sowie verschmutzt durch einen langsam verblassenden Tränenschleier. Korab hätte seine große Wahlschwester am liebsten ein zweites Mal umarmt, enthielt sich aber, weil die meisten Leute bei zweiten Umarmungen dazu neigten, sie falsch auszulegen.
Hinrichtung, der eigentlich Hinrich Mayr hieß und seinen martialischen Spitznamen einem besonders pfiffigen Museums-Praktikanten verdankte, kaute an einem winzigen Kaugummiklümpchen und erschien Korab vom Coolheitsgrad auf einer Höhe mit Lucky Luke. Beide konnten schneller ziehen als ihr Schatten. Lucky Luke seinen Colt und Hinrichtung seine selbstgewuzelten Zigaretten, die mit dem Begriff Lungenkiller noch unterbestimmt waren.
»Wann bringst du es denn?«, fragte Hinrichtung lapidar, nachdem Korab seine Grundsituation bild- und gestenreich dargestellt hatte. Es ging um die Kritik der reinen Möglichkeit, sozusagen neokantianisch, hier das Depot, da das Bild einer noch lose befreundeten Künstlerin. Sehr persönliche Sache sozusagen, geschenkmäßig irgendwie. Im Wohnwagen klarerweise noch kein Platz zum Aufhängen. Daher LiMu, Depot und dessen Meister als letzte Rettung. Aber Kürzestdauer. Quasi lidschlagmäßig. Platzbeschaffung voll angelaufen. Hängungsprobleme theoretisch gelöst. Praktisch eine Sache einiger weniger Halbtage.
»Wann immer du da bist«, antwortete Korab unscharf und devot angesichts der ihn plagenden Furcht, sein Gegenüber könnte vielleicht zum gegebenen Zeitpunkt doch schwach werden und rein interessehalber den Deckel der Klimakiste öffnen und das ganze Ausmaß der Bescherung erkennen.
»Passt«, sagte Hinrichtung, »noch einmal von vorne. Das Bild und du, Pius. Wann kommt ihr zwei Hübschen zu mir?«
»Gleich morgen in der Früh, wenn’s dir passt?«
»Mir passt’s immer.«
»Gut. Dann kommen wir morgen.«
»… bin da.«
»Acht Uhr?«
»Okay.«
»Könnte auch eine Minute später sein. Oder sogar früher.«
»Macht nichts.«
»Super. Danke.«
Drei Minuten und siebenunddreißig Sekunden später saß Korab im abhörsichersten Vernehmungszimmer des LiMu, im Männer-WC des ersten Stocks. Auf dem geschlossenen Klodeckel wippend hatte er dem Kraken im Stenostil mitgeteilt, dass für das Bild Platz war im Museumsdepot, und ihn noch im selben Atemzug um seine Fähigkeiten als Mediator gebeten.
»Kein Problem«, sagte der Krake, »gib mir das Foto und die Adresse und ich schau mal, was sich machen lässt.«
»Danke«, sagte Korab, »vielen Dank.«
»Das verkürzt die Zeit in der Warteschleife«, überging der Krake Korabs Danksagung.
Korab fragte nicht nach, worauf der Krake wartete. Es lag auf der Hand, dass es um ein gewaltiges Lösegeld ging, das der Krake und seine Truppe vom Lentos-Museum für die Rückgabe des Schieles fordern würden. Ein fett glänzender Ledersack voller Golddukaten geisterte durch Korabs Innenwelt. Bis der eintrifft, kam noch ein Begleitton aus dem Off, wachen Hinrichtung, Anita und ich über das Wohlergehen des Bildes. Wir bringen das ganze Museum in Gefahr. Wir sind jetzt eine verdammte Hehlerhöhle, spezialisiert auf die Einverleibung von Kunstwerken, die aus benachbarten Museen gestohlen wurden. Was würde Ughde sagen, wenn er in der Zeitung die Schlagzeile las: Direktor des LinzMuseums versteckt gestohlenen Schiele im Depot? Korab sah sich mit Anita und Hinrichtung aus dem Museum gehen. Geduckt und schlurfend mit Fuß- und Handfesseln und Sträflingsgewändern, während vier bodygebildete Wärter Ughde trugen, der sich in einer Zwangsjacke wand, Korabs Namen wie einen Fluch plärrte und dabei Spucke spie und rasend mit den Augen rollte. Der Krake war ein Teufel, und er, Korab, hatte einen Pakt mit ihm geschlossen. Paktpunkt eins war der schlimmste: dass die Arbeitsplätze seiner Freunde wackelten wie die Zahnstümpfe im Maul einer Mumie, der ein durchgeknallter Archäologe mit dem Eisenhammer hemmungslos auf den Hinterkopf schlug.
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