Relativ einig sind wir uns auch darin, dass wer sich partout vor der Liebe drückt, zu bedauern ist. Goethe wusste genau, warum er Mephisto säuseln lassen kann: »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.« (Goethe, 1998) Wie man es dreht und wendet, die Liebe zeigt uns irgendwann ihre Schattenseite. Es ist nur eine Frage der Zeit. In diesem Buch schauen wir uns den Prozess der Leidenschaft daher gleich von der dunklen Seite aus an. Schließlich werden wir alle von der Kraft getrieben, die nur Gutes will und viel Böses einbringt. Zwischendurch und am Ende schauen wir immer auch auf leidvolle Episoden. Ich möchte die vor und hinter uns liegenden Dramen daher nicht als Fehlschläge verleugnen und möchte mit diesem Text erreichen, dass wir innehalten, hinsehen und uns auseinandersetzen. Wegrennen kann schließlich jeder; dazulernen aber auch. Deshalb fasse ich an geeigneten Stellen Vorschläge zusammen, wie mit den Untiefen des Liebeslebens passend umgegangen werden kann.
Es sind natürlich immer die gesellschaftlichen Begleitumstände, die zur Hintergrundmusik der Liebe aufspielen. Das Leidenschaftliche ist nicht frei von historischen Bedingungen und dem Zeitgeist geschuldeten moralischen Einschränkungen. Wenn mit einer gewissen Berechtigung die Rede davon ist, dass sich die Liebe über die Jahrhunderte zum obersten Sinnkriterium in der westlichen Welt gemausert hat, dann ist nicht die Nächstenliebe oder Elternliebe gemeint, auch nicht die Liebe für Gottes Schöpfung, die angesichts apokalyptischer Zukunftsängste immer mehr ins Zentrum der Wahrnehmung geraten ist, sondern die leidenschaftliche Liebe zwischen zwei Menschen. Leidenschaft ist heute der vorrangige Beweggrund für Paarbeziehungen. Diese Tatsache, und das sollten wir nie vergessen, verleiht dem Privatleben eine unglaubliche Brisanz und Dynamik.
Es ist Anlass genug, in Zeiten des technischen Kommunikationsgeplänkels einen kurzen Blick zurück zu werfen in das Zeitalter der Galanterie. Im 18. Jahrhundert verfasste der schottische Moralphilosoph Adam Smith einen Kodex der Liebe. In seiner Theory of Moral Sentiments widmet er sich der Sympathie. (Smith 2004) Smith hielt den sympathischen, also den mitfühlenden Menschen für den Ausgangspunkt der Moral neben der Selbstliebe und der Vernunft. Ein nur vernünftiger Mensch, so war seine Annahme, wird höchstens Hals über Kopf sein Herz verschenken. Den Rest seines Verstandes benötigt er für den fortwährenden Überlebenskampf in einer Welt vor Einführung der modernen Sozialversicherungssysteme. Ohne mitfühlende Moral wäre demnach kein ganzer Mensch zu erwarten und wäre auch keine gute Ordnung in der Welt. Smith nannte die Liebe folgerichtig Einklang der Herzen. In der Liebe, so sein weiterer Gedanke, vereinigen sich alle positiven Eigenschaften des Menschen.
So weit, so gut. Das glauben wir auch heute noch. Aber die Sache hat einen Haken. Das Großherzige und Tugendhafte an der Liebe trägt auch zu ihrem wankelmütigen Charakter bei. Die Moral des Mitgefühls ist zugleich Stärke und Schwäche jeder Liebesbeziehung. Denn, Hand aufs Herz, wer ist schon mit Dem- oder Derselben auf ewig großherzig und tugendhaft? Natürlich ist das niemand durchgängig. Aber an eben jener Totalen messen sich Liebespaare.
Liebenswertes und Gehässiges
Ein Zusammenleben bildet nicht nur liebenswerte Tugenden aus. Es spült auf Dauer Nachlässigkeiten nach oben, das ganz besonders, und auch manche Abscheulichkeit. Das bleibt nicht aus. Dafür ist das Leben zu vielschichtig, sind die Charaktere zu unvollkommen und bilden zwei Herzen nicht nur eine Einheit. Jeder ist sich selbst mehrfach verpflichtet und fühlt sich vielen Dingen des Lebens ausgeliefert, nicht nur der Liebe. Außerdem, das muss sich gerade der Verantwortungsbewusste immer wieder ins Gedächtnis rufen, haben wir generell weniger in der Hand, als wir in Beziehungen steuern möchten.
Jedes einzelne Menschenleben enthält so viel Konträres und Ungereimtes, dass konflikthafte Verwicklungen gar nicht ausbleiben können. Eine Vereinigung der Herzen schützt also nicht vor Schla massel. Die Liebe ist vielmehr ein Garant, dass es zu widerstreitenden Gefühlen kommt. Eine gelungene Vereinigung in Liebe vereinfacht das Leben zunächst aufs Sträflichste. Später kippt das Verhältnis von Liebe und Alltag, schlagen die Komplexität und das Unromantische des Lebens umso heftiger zurück. Das gehört zum unauflösbaren Paradoxon der Liebe.
Daher ist auch die gedankliche Koppelung von Freiheit und Liebe eine wirklichkeitsferne Vorstellung. Ebenso wenig wie kein Mensch nur frei von … oder frei zu … ist, hat die Liebe nur bedingt etwas mit Autonomie zu tun und sie kann selbstverständlich auch nicht alle kommenden Schwierigkeiten ausbügeln, obwohl es anfänglich danach aussieht. Solche und ähnliche Drehmomente und Missverständnisse deuten auf die verschlungene Matrix der Liebe hin, die in der Folge ausgiebig beleuchtet wird.
»Wir hatten vor einigen Monaten eine richtig schlechte Zeit miteinander. Meine Frau hat sich nur noch um die Kinder bemüht und ich nur noch um den Job. Als sie dann auch noch sagte, eigentlich könnten wir auch auseinanderziehen, dann würde man sich wenigstens nicht auf die Nerven gehen, dachte ich, sie liebt mich nicht mehr. Ja, und dann ist mir eine blöde Sache passiert. Ich habe mich mit der Frau eines Freundes getroffen, denen ging es auch nicht so gut damals, weil ich jemanden zum Reden brauchte. Am Ende des Abends sind wir dann im Bett gelandet. Ich glaube, wir haben uns beide vorgemacht, dass wir mehr füreinander empfinden, und vielleicht habe ich auch gedacht, das ist die Lösung. Ach, ich weiß auch nicht, was ich mir da eingebildet habe. Mein Freund war natürlich total sauer und hat es meiner Frau erzählt. Danach war die Hölle los.«
In derartigen Verwirrungen steckt der Keim für die Wendungen, die eine Liebesbeziehung auf Dauer nimmt. Daher steht hier das Zweideutige und Voraussehbare im Mittelpunkt, weil ich glaube, dass sich darin nicht nur die eigentliche Schwierigkeit des Liebesgeschehens zeigt, sondern es uns auch davon abhält, weder an zu viel Schicksal noch an die Reinheit des Herzens zu glauben, vielmehr damit zu rechnen, dass wir alle Schwächen haben und viel Ungereimtes und Zweifelhaftes in uns wohnt.
Betrachtet man es aus dieser Richtung, dann ist die leidenschaftliche Liebe gleichzeitig eine private Manie und gesellschaftliche Utopie, die uns Probleme beschert, die wir mit ihrer Hilfe überwinden wollten. Wäre da nicht ihr unbedingter Zauber, würde jeder die Finger davon lassen. Sie ist aber nun mal in der Welt und macht selbst vor Klostermauern nicht Halt. John Gray warnt in einem grundlegenden Text eindringlich vor solchen und anderen Utopien. Nach wie vor gibt man sich der Illusion hin, nichts könne den Menschen daran hindern, sich selbst und seine Welt nach Belieben umzugestalten. Diese Phantasie kommt in vielen Aspekten der zeitgenössischen Kultur zum Vorschein. (Gray 2007, 36) 3
Gray ist ein Kritiker der Vereinfachung, nicht nur der öffentlichen Angelegenheiten, auch des Privatlebens. Seine Zweifel übersetzt er nicht in vorschnelle Antworten, sondern nutzt sie, um grundlegende Fragen aufzuwerfen: Woran ist eine Utopie zu erkennen? (37) So an die ›schwierige Freiheit‹ heranzugehen, macht unsicher, wenn man dabei die Liebe mitdenkt. Wie man es dreht und wendet, es bleibt immer auch ein utopischer Ansatz, Liebe als Beziehung zu leben. Niemand kommt um die beunruhigende Erkenntnis herum, dass gelebte Liebe bindet und eine Bindung nicht nur die anarchische Energie der Liebe domestiziert, sondern auch die Bewegung einschränkt. Die Entdeckung, dass die Liebe Grenzen setzt, muss aber nicht notwendigerweise so empfunden werden. Erwiderte Liebe ruft ein Gefühl von Freiheit hervor. Es kann sehr entlasten, zu spüren, dass man durch die Erwiderung ein Zuhause gewonnen hat, die Seele nicht mehr einsam schwebt.
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