Das Mysterium der modernen Liebe zeigt sich also nicht so sehr in der Schwierigkeit, einen Menschen für ein gemeinsames Glück zu begeistern – und das kann schon schwierig genug sein –, sondern stets an der romantischen Utopie zu scheitern, den emotionalen Augenblick bändigen und für immer erhalten zu wollen. Das gelingt nicht. So, wie sich Menschen ändern, wandeln sich Beziehungen im Lauf der Jahre. Das ist keine Frage persönlicher Kompetenzen, fehlender oder vorhandener Fähigkeiten, sondern Ausdruck der gelebten Gemeinsamkeit. Wir können nicht anders, als uns mit und über unsere Erfahrungen zu verändern.
Illustriert man das charakteristische Fortschreiten einer Liebesbeziehung, hört sich das in etwa so an: Es beginnt, indem unsere Psyche aus eingelösten Sehnsüchten glückliche Erfahrungen macht, aus den anhaltenden Erfahrungen lieb gewordene Gewohnheiten und aus andauernden Gewohnheiten innige Vertrautheit, aber auch zunehmenden Verdruss, der erneut den Wunsch nach dem Seltenen und Unbekannten weckt. Jenes ferne Fremde gerät irgendwann wieder in emotionale Konkurrenz mit dem Steten, nun allzu Bekannten. Der langsam eintretende Wahrnehmungswandel bewirkt, dass wir uns mit den zunehmenden Jahren des gemeinsamen Lebens mehrfach anders empfinden und zueinander verhalten, als zu Beginn. Die meisten Menschen sind über diesen Werdegang enttäuscht und viele auch überzeugt, die Liebe zu einem Menschen sei erloschen, wenn sich Gefühle abschwächen oder neu ordnen.
Das unbedingte Festhaltenwollen emotionaler Ersteindrücke überfordert jedes Paar. Die Vorstellung einer gefühlten und praktizierten Konstanz geht am Wesen der Leidenschaft, am ambivalenten Kern der Psyche und an den verschlungenen Bedingungen des Lebens restlos vorbei. Die erotisch begründete Liebe ist und bleibt ein fragiles und oftmals flüchtiges Gut. Ihre Natur ist die andauernde Verwandlung der Liebenden. Welchen zum Teil komplizierten Wandlungen Paare auf Dauer unterliegen, in welcher Regelmäßigkeit sich Empfindungen und Handlungen ändern, welche Themen und Probleme sich auf dem Weg einstellen, zeigen die nachfolgenden Ausführungen.
Dieses Buch soll keine Angst, vielmehr Mut machen, sich trotz aller vorhersehbaren Verwicklungen und Widersprüche dem Abenteuer Liebe, den Höhen und Tiefen, Turbulenzen und Langeweilen einer Paarbeziehung zu stellen. Selbstverständlich besitzen Sie auch nach der Lektüre weiterhin die Freiheit, der Liebe aus dem Weg zu gehen oder sich fortwährend in neue Abenteuer zu stürzen, so wie es ein Gewinn sein kann, Askese zu üben oder in Abständen den Routinen des Alltags zu entfliehen. Es ist aber eine Expedition ganz anderen Umfangs, wenn man das widersprüchliche Spektrum der Leidenschaft und der eigenen Vielschichtigkeit gemeinsam durchlebt, eventuell gar bis zum Schluss eines Lebens.
Dafür ist viel Einsatz und Mut erforderlich, aber auch die Bereitschaft aufzugeben, was nicht mehr zu halten ist. Eine lange Wegstrecke zusammen zu gehen, verlangt nicht nur die Hingabe an einen Menschen, sondern auch die Ergebenheit hinzunehmen, was nicht miteinander gelingt. Das schließt insbesondere auch die Gabe ein, Unverträgliches und Überholtes loslassen zu können, wenn die Zeit dafür reif ist. ›Bis dass der Tod euch scheidet‹ ist lediglich ein Gelübde für den Rahmen, aber kein Garant für eine gelingende Zweisamkeit.
Was kann dieser schmale Band beisteuern, was Sie nicht schon aus eigener glücklicher und schmerzlicher Erfahrung wissen? Die Antwort ist einfach: Ich erzähle Ihnen ausführlich, was die Leidenschaft zu unterschiedlichen Zeitpunkten einer Paarbeziehung bewirkt, wohin Liebesbeziehungen als Ganzes führen, auch gegen ihre ursprünglichen Absichten, und wie sich Liebespaare langfristig betrachtet ändern, ob es ihnen passt oder nicht. Dabei werden Sie vieles wiedererkennen und manches wird Ihnen unvertraut sein. Ich versichere, nach der Lektüre werden Sie die eigenen Erfahrungen und bisher ungegangenen Schritte, Ihre vermeintlichen Fähigkeiten und Mängel besser verstehen und einordnen. Ihr bisheriges Tun und Lassen erscheint dann in einem logischen Licht als paradoxe Konsequenz gegensätzlicher Antriebe in unterschiedlichen Beziehungsphasen.
Wer das moderne Lebensgefühl mit all seinen Ansprüchen und Widersprüchen als kompliziert akzeptiert – Bourdieu spricht von der schwierigen Freiheit (Bourdieu 1987) – ist nicht nur weniger anfällig für naive Wahrheiten, er verfängt sich auch nicht ganz so hoffnungslos in den ausliegenden Fallstricken. Und wenn doch einmal wieder, findet man schneller und leichter wieder ins Freie. Paare sollten daher unbedingt etwas von existenziellen Konflikten und Krisen verstehen. Wenn eine Liebe auf Dauer erhalten bleiben soll, muss man wissen, wie Zwiespälte und verworrene Verhältnisse entstehen, wie man sich in diese verwickelt und wieder lösen kann.
Was Sie hier allerdings nicht finden werden, sind simple Lösungen. Für was auch immer Sie sich an Stelle von Frau und Herrn F. entscheiden würden, es hätte immer mehrfache Konsequenzen. Ich halte deshalb nichts davon, die Probleme, die sich den Paaren stellen, auf plumpe Weise zu vereinfachen. Und ich vertraue darauf, dass Sie nicht so einfältig sind anzunehmen, eine Liebesbeziehung sei ein einfaches Terrain. Man kann sich aber, gerade in dem Bewusstsein, dass alles schwieriger kommt als gedacht, anstrengen, möglichst eindeutig und liebevoll zu bleiben. Darauf hat der aus Liebe gewählte Mensch ein Anrecht, selbst in schlechten Zeiten.
Leseempfehlung
Bourdieu, P. (1987): Sozialer Sinn. Suhrkamp, Frankfurt/M.
Goethe, J. W. von (1998): Goethe Werke. Bd. 3, Verlag 2001, Frankfurt/M.
Richards, K. (2010): Life. Wilhelm Heyne, München
Die Liebe, ein himmlisches Geschenk?
But when the Lord of above you sends someone to love you the Blues is something you loose.
Billie Holiday, The Blues are Brewin’ 2
Nach einer kurzen Atempause sollte den Zeilen ursprünglich noch der Nachsatz folgen: for a little while. Billie Holiday hat das angeblich aus Gründen der Dramaturgie verworfen. So baut der Song einen leichtsinnigen Bogen, der erst später wieder einbricht, dann, wenn die Liebe ihren Höhepunkt überschritten hat. Ohne Glückseligkeit kein Absturz, ohne Vertrauen keine Enttäuschung. Mit Abgründen und Unglück kennt sich die Sängerin aus. Den hässlichen Zwilling der Verliebtheit übersieht sie hier aber generös und besingt das Dunkle dafür umso eindringlicher in anderen Stücken.
Solange wir uns nach Liebe sehnen, erstrahlt sie bar jeden Zweifels, erscheint die Liebe uns als Erlösung. Realisiert sie sich, offenbart sie in der Folge ihre zwiespältige Natur. Die Liebe ist ein durch und durch faustischer Pakt. Wer sich darauf einlässt, wird auch leiden. Aber wir laufen blind, wenigstens jedoch willig, in die Falle. Selbst die Ängstlichen und Zaudernden wollen im Grunde ihres Herzens von der Leidenschaft an der Hand genommen werden, gegen jede engstirnige Vernunft. Im Zauber der Liebe lebt das Erbe der Romantik in uns allen bis heute fort.
Eines muss gleich klargestellt werden: Wer die Liebe versucht, entscheidet sich für Poesie und gegen Ökonomie. Mir sind aber nur wenige bekannt, denen bewusst ist, dass die Liebe mehr Mühe macht, als Geld zu verdienen. Die meisten denken, sie kommt, weil man es verdient hat, und vergeht, wenn man Pech hat. Dann ist es vorbei: C’est la vie! Ganz so einfach ist es aber nicht. Die Liebe erscheint eher unangemeldet, nicht, weil man lange genug gehofft hat, erst recht nicht, weil man sich Verdienste erworben hat, aber sie flüchtet umgehend, wenn sie nicht eifrig gepflegt wird. Zur Liebe gehört lebenslange Arbeit. Wer dazu nicht bereit ist, glaubt wahrscheinlich auch daran, dass es mehr lohnt, Lotto zu spielen und die Gala zu lesen.
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