Zunächst hört sich diese Aussage seltsam fatalistisch an. Sind es denn nicht in erster Linie vermeidbare Situationen, Umgangsweisen und unvorhersehbare Schicksalsschläge, die eine Beziehung belasten und in die schwierige Richtung navigieren? Das auch, aber neben den problematischen Ereignissen, die auf unserem persönlichen Mist gedeihen, für die wir Verantwortung tragen, findet unterschwellig eine kontinuierliche Umwälzung statt, die langsam, aber stetig unsere Wahrnehmung und unser Handeln transformiert. Diese Entwicklung ist das psychologische Resultat ständig anwachsender Erfahrungen miteinander. Sie verläuft jenseits des Einflusses unseres guten oder schlechten Willens.
Der Romantiker in uns schreit wahrscheinlich längst laut auf: Muss es denn wirklich immer kompliziert werden und kann es nicht nur schön und leicht bleiben? Nein, einfach und ›wie von selbst‹ geschieht das nie auf Dauer, weil nichts bleibt, wie es beginnt. Was einem Paar absehbar widerfährt und wie ein Paar die vorgezeich neten Veränderungen meistern kann und sogar davon profitiert, ist das Thema dieses Buches: Es geht um Herausforderungen, die man verweigern kann, an denen man scheitern kann oder an denen man gemeinsam wächst.
Trotz eigener Erfahrungen und zugetragener Geschichten, die sich mit der Eingangsszene vergleichen lassen, und im Bewusstsein um vielerlei Anfechtungen anderer Art sind unsere Sehnsüchte unbeirrbar auf die ewig störungsfrei verbundene Liebe gerichtet. Das untermauern zahlreiche Untersuchungen zum Thema. Im tiefsten Inneren scheint der moderne Mensch der Vision verfallen zu sein, dass eine Zweisamkeit in Liebe unantastbar und unveränderlich zu sein hat. Was der beflügelnde Traum geflissentlich übersieht, sind die Fährnisse des alltäglichen Lebens. Eine erotische Dreiecksbeziehung – also ein Beziehungsgeflecht, in dem normalerweise eine Person leidenschaftliche Beziehungen zu zwei anderen unterhält, wovon die eine meist unterschlagen wird – ist dabei nur eine Variante an sich verwickelter Gefühlslagen und Tatsachen, mit denen ein Paar zurecht kommen muss.
Wirkung und Nebenwirkungen
In Wirklichkeit balancieren wir ständig zwischen widerstreitenden Motiven und von uns oder anderen geschaffenen Gegensätzen und – das ist das eigentlich Überraschende daran – geraten darüber recht selten in existenzielle Schieflagen. Dennoch verzehren wir uns nach dem Bild der einfachen und erhabenen Liebe. Wir alle stehen (mal mehr mal weniger) unter dem Einfluss des romantischen Liebesideals: Du bist mein Ein und Alles! So erwarte ich es auch umgekehrt und so soll es von uns beiden auf immer empfunden und praktiziert werden. Gegen diesen strahlenden Traum scheint noch immer kein Einwand gewachsen.
Es ist überflüssig, gegen solche Hoffnungen anzugehen. Warum auch? Lieber scheitern wir mehrfach an der schönen Idee, als diese letzte und höchste aller Utopien aufzugeben. Es kann also nicht meine Absicht sein, den Liebeswahn zu diskreditieren. Ich möchte aber auf Probleme verweisen, die uns begegnen, wenn wir der Liebe folgen und uns quasi bedingungslos ›auf ewig und durch schlechte Zeiten hindurch‹ verbinden oder, nur scheinbar schlauer, schon am Anfang versprechen, uns lieber wieder im Guten zu trennen, als uns jemals etwas Böses anzutun. Mit diesem oder einem ähnlichen Glaubenssatz fängt alles an.
Die in unseren Köpfen spukende Vision der totalen Zweisamkeit kann mit einsetzenden Ambivalenzen und Paradoxien schlecht umgehen. Sie lässt keine Unzuverlässigkeit zu und auch sonst nur wenig Störendes. Die leidenschaftliche Liebe ist ein radikaler Glaube an das völlige Glück und eine Festschreibung der Zukunft. Bis zu einem gewissen Grad kommt das eine Weile ja auch hin. Empirisch betrachtet, belasten unübersichtliche und unsichere Beziehungen die Psyche. Daher und aus vielen anderen Gründen setzen wir uns ungern damit auseinander, dass auch eine Liebesbeziehung dazu zwingt, sich mit dem Scheitern zu beschäftigen, sich am Realisierbaren zu versuchen und einzusehen, dass eine gelebte Beziehung immer mehr und anders ist als reines Wunschdenken.
Es ist fast wie mit einem Psychopharmakon. Einmal geschluckt entfaltet es neben der beabsichtigten Wirkung unerwünschte Nebenwirkungen, und immer wieder verabreicht, verändert es die Aufnahmefähigkeit der Rezeptoren und damit die gewünschte Wirkung. Anhaltende Perioden der Einnahme einer kräftigen Substanz bewirken über kurz oder lang ein schwer entwirrbares, diffuses Irgendwas von allem, wodurch der Organismus belastet wird, an das er sich dennoch gewöhnen will, worüber er sich umorganisiert und das er nun braucht, obwohl es nicht gut tut.
Eigentlich bewirkt mehr oder minder jedes den Organismus außergewöhnlich beeinflussende Stimulans, über lange Zeit verabreicht, zunächst ein Hoch, dann eine abfallende und in Folge eine sich langsam vom Neutralen ins Negative wandelnde Resonanz. Dieser Adaptionsprozess unterliegt dem allgemeinen Prinzip der homöosthatischen Selbstregulation. Die Homöosthase pegelt Einwirkungen vom Außergewöhnlichen ins Gewöhnliche, auch unter negativen Vorzeichen, sofern besondere Umstände oder Energien den Organismus nicht daran hindern, sich dergestalt auszubalancieren. Jener Transformations- und Balanceprozess ist grundlegend für jede Erfahrung, die sich lange genug wiederholt, und besitzt daher Geltung für alle systemischen Vorgänge, auch für die Entwicklung sozialer Beziehungen.
Menschen reagieren auf Abhängigkeit aber meist mit der Hoffnung, dass es wieder werden soll wie zu Beginn, und machen deshalb weiter wie bisher, worauf es immer weniger wird vom ursprünglich Gewollten und immer mehr vom Unbeabsichtigten. Ein Organismus, der sich durch bestimmte Einflüsse verändert hat, kann nicht durch die gleiche Gabe wieder in seinen vorherigen Zustand zurückversetzt werden. Was also tun? Wider besseres Wissen vergebens weiter machen? Keith Richards, der Jahre als Heroinjunkie hinter sich gebracht hat, rückt das Dilemma des Süchtigen in ein poetisches Bild:
Sing me back home with a song I used to hear…
Sing me back home before I die.
(Keith Richards: Life, 2010, 521)
Menschen sind in Wahrheit zwiespältig veranlagt und vielfachen Umständen verpflichtet. Dadurch wird der Horizont eines Paares von vornherein durch wechselnde und unübersichtliche Verhältnisse beeinflusst. Nur während der Verliebtheit des Anfangs schmälert sich die tatsächliche Komplexität des Lebens. Im vorübergehenden seelischen Tunnel wird das Miteinander als vollständig und selbstverständlich empfunden. Man darf die leidenschaftliche Verzückung des Beginns getrost als eine Zeit gemeinsamer Verzauberung ansehen. Diese Atmosphäre trägt aber deshalb auch verrückte Züge. Die Manie der entfesselten Liebe besitzt etwas Unbändiges und Verstandesloses. Unser ansonsten durchaus vorhandenes Vermögen zur Selbststeuerung erhält am Beginn einen ausgedehnten Freigang, anderweitige Interessen und Beziehungen verlieren in dieser Zeit an Wert. Mit der leidenschaftlichen Liebe kann es nichts aufnehmen. Frisch verliebt ist uns egal, wie vielschichtig wir als Person eigentlich sind.
Die verzweigten Lebensumstände Erwachsener beinhalten aber natürlich viel mehr, als eine soeben entfachte Liebe beansprucht. Es wird daher später zur lebenslangen Aufgabe von Paaren, Gegensätzliches, schwierig Vermittelbares und Unvereinbares einigermaßen wohltuend zu jonglieren. Nur zwanghafte Menschen glauben an die Abwesenheit beziehungsweise Kontrollierbarkeit widerstreitender Lebensinhalte. Und wohin das führt, ahnt man sofort. Verliebten fällt aber eine Zeit lang nicht ein, solche Gewissheiten zu berücksichtigen. In der empfundenen, nicht der faktischen Abwesenheit des Alltäglichen, offenbart die Liebe ihren leidenschaftlichen Kern.
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