Ueli Keller, Željko Marin
In diesen Beitrag sind Teile von diversen Publikationen und Präsentationen eingeflossen, die den vielfältigen Erfahrungen und Reflexionen der beiden Autoren zum Thema «Bildung und Raum» entsprechen (vgl. Keller, 2014, 2018; Keller & Marin, 2018; Marin & Keller, 2018). Sie sind von ihnen für diesen Beitrag aktualisiert sowie einmalig neu und speziell zusammengestellt worden, dies im Sinne einerseits eines Originals, das anderseits dynamisch veränderungsfähig bleibt.
Spielen und bewegen, rutschen und sausen, flexibel und beweglich sein!
Wählen, wann ich wo und was mit wem lernen will!
Textauszug aus dem Beitrag einer Primarschulklasse zum Thema «Traumschule» (Basel, 2014)
Abbildung 1: Stadtteil-Tageskindergarten in Tokio für über 500 Kinder Tezuka Architects, Tokio (Foto: Katsuhisa Kida)
Abbildung 2: Der Weg, den ein Kind in den ersten 15 Minuten, sich frei bewegend und lernend, zurückgelegt hat. Tezuka Architects, Tokio
Abbildung 3: Blick in den Innenraum. Tezuka Architects, Tokio (Foto: Katsuhisa Kida)
4.1 Grundsätzliche Herausforderungen an den Tagesschulbau
Schulen werden oft sehr teuer neu, aus- oder umgebaut. Aber oft nicht für eine Bildung für die Zukunft. Das ist grundsätzlich so. Und nicht nur im Hinblick auf die Entwicklung von Tagesschulen. Bei bereits gebauten Schulen wird das Potenzial, das in den Aussen- und Innenräumen steckt, häufig nicht beachtet. Um bestehende Schulbauten an die sich wandelnden Bedürfnisse anzupassen und die Bauten nachhaltig zu gestalten, fehlt oftmals nicht viel. Zeitgemässer und sinnvoller Schulbau, ob alt oder neu, verlangt heute nach einem pädagogischen Konzept, das Bildung und Betreuung umfasst.
Wie die Umsetzung eines pädagogischen Konzepts durch die Raumgestaltung unterstützt werden kann, ist in diesem Zusammenhang eine entscheidende Frage. Die Fragestellung greift jedoch zu kurz, wenn es dabei nur um ein einziges und für alle Zeiten gültiges Konzept gehen soll. Dies ist ein Paradox, wie die Vorstellung, mit einer einzig richtigen Bildungsorganisation den Bedürfnissen aller Schülerinnen und Schüler und denjenigen aller Betreuungs- und Lehrpersonen in demselben Ausmass dauernd gerecht zu werden.
Bei der Tagesschulentwicklung können im Sinne von Prototypen mit fliessenden Übergängen vier Modelle als Orientierung dienen (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4: Die vier Modelle der Tagesschulentwicklung (Keller, 2012)
4.2 Berücksichtigung von Bedürfnissen und Ideen
Die perfekte Tagesschule gibt es nicht. Die Vorstellung einer besten und allgemeingültigen Form ist weder lern- noch lebensfreundlich. Statt nach der besten Schule zu verlangen, sollte die Fragestellung lauten: «Welche Bildungsorganisation passt zu uns und ist mit den Ressourcen realisierbar, die uns dafür zur Verfügung stehen?» Das Vorgehen, wie sich diese Schule Schritt für Schritt entwickelt, ist entscheidend für die spätere Nutzung der Räume.
Auf Partizipation zu setzen, ist hierbei lohnenswert. Die angestrebte permanente Partizipation kann nur realisiert werden, wenn Räume mit möglichst wenig Aufwand umzustrukturieren sind. Nur so können die unterschiedlichen Interessen, Talente und Entwicklungsthemen aller Beteiligten gemäss bestehenden und zukünftigen Bedürfnissen dynamisch berücksichtigt werden. Schlüsselkompetenzen dafür sind Kooperation und Kokreation, Letzteres verstanden als transdisziplinär gestaltetes Prozessmanagement, das bei der Ideenfindung, Meinungsbildung und Entscheidung auf einen Konsens abzielt, und dies so, dass Erfahrungen, Positionen und Wissen der Beteiligten im Sinne einer kollektiven Intelligenz bestmöglich nachhaltig zukunftsfähig genutzt werden können.
Im Planungsprozess von Aus-, Um- oder Neubauten sollten die beteiligten Parteien eine Betriebsbeschreibung vornehmen, bevor das Projekt in Form eines Architekturwettbewerbs ausgeschrieben wird. Welche Form von Bildungsorganisation soll mit dem Bauprojekt unterstützt werden? Wozu sollen sich die einzelnen Räumlichkeiten eignen? Diese und weitere Fragestellungen sollten alle Verantwortlichen gemeinsam klären. Zu diesem Verantwortungsgremium zählen die Behörden und die Politik, die Lehr- und Betreuungspersonen, die Schulleitung, Eltern, aber auch die Kinder, welche die Räumlichkeiten später hauptsächlich nutzen werden. Willenskraft ist die erste Gelingensbedingung. Wenn die Verantwortlichen eine Tagesschule machen sollen und nicht machen wollen, lässt sich kein optimaler Lern- und Lebensraum für alle Beteiligten und Betroffenen gestalten.
Die Schule als Tagesschule eröffnet anforderungs- und chancenreiche, neue Handlungsfelder, dies unter anderem im Hinblick auf eine massgeschneidert bedarfsorientierte, kreative Nutzung von Innen- und Aussenräumen sowie von Infrastruktur. Wichtig für die Nutzerfreundlichkeit ist bei der Raumgestaltung eine permanente und nachhaltige Partizipation aller Beteiligten und Betroffenen. Wenn Räume mit möglichst wenig Aufwand einfach und zweckmässig veränderungsfähig sind, können unterschiedliche Interessen und Talente immer wieder neu berücksichtigt werden. Es entsteht eine Dynamik, die bestehenden und künftigen Bedürfnissen entspricht.
Pragmatische und ästhetische Kreativität durch eine vielfältige Raumnutzung
Vorschulheilpädagogischer Dienst, Birsfelden
Slavica Marin, Andreas Marin, Željko Marin:
Abbildung 5: Handlungsspielraum zwischen Bausubstanz und Möblierung
Abbildung 6: Balance zwischen stabil strukturierten und frei gestaltbaren Räumen
Abbildung 7: Aktivität und Aufenthalt im Einklang
4.3 Know-how transdisziplinär vernetzt zum Tragen bringen
Einer von zahlreichen Gründen, warum der Bildungsbau neue Impulse braucht, sind überholte Richtlinien und Standards. Rigide gesetzte Standards sind sowohl für die Bildung als auch für die Architektur kontraproduktiv. Beim Lernen können sie die Energie bremsen, die für kreative und individuell optimale Lösungen benötigt wird. Wie für die Bildung gilt dies auch für die Architektur. Schulbau orientiert sich oft an Standards, die quantitativ eng festgelegt sind, wie zum Beispiel Quadratmeterzahlen, Anzahl und Art der Räume. Solcherart basierte Planungen vermitteln trügerische Sicherheiten. Sie verführen zur Beibehaltung von Gewohntem und zu Nachahmerei, anstatt zum optimalen Bauprojekt jeder Schule individuell für sich beizutragen. Für nutzerfreundliche, zukunftsorientierte Lösungen braucht es für jedes Schulbauprojekt spezifische Anforderungen und individuell darauf abgestimmte Organisations- und Raumkonzepte, die gemeinsam von allen Beteiligten zu erarbeiten sind. Um die Kosten unter Kontrolle zu halten, braucht es selbstverständlich nicht nur bei der Bildung, sondern auch beim Schulbau einen qualitativen und quantitativen Orientierungsrahmen, der für jedes Bauprojekt speziell interpretierbar sein muss. Es sind aber auch generell gültige Mindestanforderungen zu definieren, die auf keinen Fall unterschritten werden dürfen.
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