Möglicherweise werden solche Zahlen auch in den anderen Kantonen und Gemeinden erhoben, doch werden sie offenbar nicht als wichtige Information angesehen, wenn es um Berichte zur schulergänzenden Tagesbetreuung geht. Dabei sind sie für die Planung, für politische Entscheidungen, aber auch für die Eltern und die öffentliche Diskussion wichtig und sollten daher überall leicht zu finden sein. Kantone und Gemeinden sollten in regelmässigen Abständen Datenerhebungen durchführen und die Bevölkerung darüber informieren, wie viele Personen in der schulergänzenden Betreuung arbeiten, welche Ausbildung sie haben, wie und in welchem Umfang sie angestellt sind und was sie verdienen (Lohnniveau in Relation zu den Funktionen der Gemeinde oder des Kantons).
Auch wenn die Informationsbasis spärlich ausfällt, können zwei grundsätzliche Erkenntnisse zu den Anstellungs- und Arbeitsbedingungen festgehalten werden:
1 «Die Betreuungsperson» gibt es nicht. Vielmehr arbeiten in den Betreuungseinrichtungen eine Vielzahl unterschiedlicher Personen, mit pädagogischer Ausbildung, ohne pädagogische Ausbildung, mit und ohne tertiärem Abschluss, Praktikantinnen und Praktikanten, Auszubildende, Zivildienstleistende, Personen mit festem Vertrag, auf Stundenbasis oder als Vertretung, Haushaltspersonal mit zusätzlichen Aufgaben und andere. Das Personal der Betreuungseinrichtungen ist also (im Gegensatz beispielsweise zur Schule) sehr heterogen zusammengesetzt.
2 Auch die Arbeits- und Anstellungsbedingungen sind äusserst heterogen und reichen von solide geregelten Anstellungsverhältnissen der öffentlichen Hand bis hin zu vertragslosen Handschlag-Vereinbarungen und Regelungen, die in einigen Fällen sogar (wissentlich oder unbeabsichtigt) das Minimum des Obligationenrechts unterlaufen. Die vergleichsweise junge Branche hat bisher keine etablierte sozialpartnerschaftliche Tradition (mit Ausnahme der Orte, wo das Personal als Teil des öffentlichen Dienstes eingebunden ist). Die Mehrheit der privatrechtlichen Verträge bewegt sich daher auf dem arbeitsrechtlichen Minimum.
Die oben erwähnte Längsschnittstudie (Windlinger & Züger, 2020) hat interessante Details zu den Anstellungsbedingungen zutage gebracht. Unter anderem zeigt sich, dass die Teilzeitrate und die Quote der Anstellungen im Stundenlohn bei den Befragten im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt auffallend hoch sind. Während im gesamtschweizerischen Durchschnitt über 60 Prozent der Erwerbstätigen eine Vollzeitstelle haben, sind es in den Einrichtungen der schulergänzenden Betreuung nur 9 Prozent bei den Leitungspersonen und 11 Prozent bei den Mitarbeitenden. Dagegen ist die Rate der Mitarbeitenden mit kleinen Pensen (unter 50 Stellenprozenten) ausserordentlich hoch: 70 Prozent der Mitarbeitenden haben Teilzeitpensen unter 50 Prozent, im Vergleich zu 15 Prozent im Schweizer Durchschnitt. Fünf Prozent der Befragten arbeiten ohne festen Arbeitsvertrag. Unregelmässige Arbeitszeiten sind für rund 17 Prozent der Befragten gang und gäbe (Windlinger & Züger, 2020). Alle vier Faktoren (kleine Teilzeitpensen, Arbeit im Stundenlohn, fehlende Formalisierung des Arbeitsvertrags, unregelmässige Arbeitszeiten) sind typische Kennzeichen prekarisierter Arbeit, die gehäuft in Berufen auftreten, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden.
Auch in den deutschsprachigen Nachbarländern gibt es kaum Untersuchungen zum Personal in der schulergänzenden Betreuung. Ausnahmen bilden die Studien, die der Arbeitswissenschaftler Bernd Rudow im Auftrag und mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und der Max-Traeger-Stiftung erstellt hat (Rudow, 2015, 2017). Sie geben ausführlich Auskunft zu den Belastungserfahrungen und Ressourcen, welche die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher prägen, und zeigen, wo Handlungsbedarf besteht. Eine weitere Quelle für Informationen zu den Arbeitsbedingungen ist die umfangreiche «Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen» (StEG), die in Deutschland seit 2005 viele verschiedene Forschungsvorhaben zur Entwicklung von Ganztagsschulen und -angeboten gefördert hat.3
Die folgenden Überlegungen zu den Anstellungs- und Arbeitsbedingungen des Personals stützen sich auf die Erkenntnisse aus den genannten Untersuchungen sowie auf die Erfahrungen und Rückmeldungen aus der gewerkschaftlichen Beratungspraxis. Generelle Kriterien für die Beurteilung der Arbeitsbedingungen ergeben sich aus den Anforderungen an «gute Arbeit» der ILO:4 Sie darf unter anderem die Gesundheit nicht beeinträchtigen, muss die Arbeitsfähigkeit bis zum Rentenalter erhalten, den Lebensunterhalt und soziale Sicherheit gewährleisten, Weiterentwicklung ermöglichen, Mitsprachemöglichkeiten geben, Anerkennung und Befriedigung verschaffen und auch die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit ermöglichen.5
Die Herausforderungen in Bezug auf die Arbeits- und Anstellungsbedingungen des Betreuungspersonals stellen sich auf sehr unterschiedlichen Ebenen – entsprechend vielschichtig sind die Lösungen, die dafür gefunden werden müssen. Die wichtigsten Herausforderungen zeigen sich in vier Bereichen, die im Vorausgegangenen schon mehrfach angetippt wurden: 1. Rahmenbedingungen und Infrastruktur, 2. Arbeitsorganisation, 3. Kooperation zwischen Schule und Betreuung, 4. Professionalität, Berufsauftrag und Anerkennung.
2.1 Rahmenbedingungen und Infrastruktur
Zu den typischen Belastungen des Erziehungsberufs zählen Zeitdruck, fehlende Vor- und Nachbereitungszeiten, die Gruppengrössen (Personalschlüssel), die zunehmende Anzahl von Kindern mit erhöhtem Betreuungsbedarf, die körperlichen Anforderungen der Arbeit und die fehlenden Erholungsmöglichkeiten im Alltag.
Bei den körperlichen Belastungen gehören der hohe Lärmpegel in den Einrichtungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen (Rücken- und Knieschäden) durch schädliche Körperhaltungen zu den wichtigsten Faktoren, für die vergleichsweise einfach präventive Massnahmen ergriffen werden können (Lärmdämpfungsmassnahmen, angepasste Möbel, spezifische Bewegungsförderung).
Ein essenzielles Thema für das Personal sind zudem die fehlenden Erholungsmöglichkeiten im Alltag, die mit dazu beitragen, dass das Erziehungspersonal zu den Berufsgruppen mit einer hohen Burn-out-Gefährdung zählt.6 Hier geht es zunächst darum, mit Schulungen und Kontrollen die Umsetzung und Einhaltung des Arbeitsgesetzes zu verbessern, das klare Regelungen zu den Pausen und Erholungszeiten festhält. Allerdings zeigt die Untersuchung von Windlinger, dass es an vielen Orten an angemessenen Pausenräumen fürs Personal fehlt. Echte Erholung im Arbeitsalltag ist nur gewährleistet, wenn es Rückzugsmöglichkeiten gibt; Räume, in denen sich das Personal ungestört ausruhen kann und wo nicht gleichzeitig gearbeitet wird. So ist etwa das Büro der Leitung entgegen einer weitverbreiteten Praxis kein angemessener Raum für die Pause der Mitarbeitenden.
Hier zeigt sich die fehlende Tradition der Mitsprache des Personals bei Fragen, die den Arbeitsalltag und die Gestaltung der Arbeitsumgebung betreffen. Das führt dazu, dass wertvolles Know-how zu Fragen der Arbeitsgestaltung ungenutzt bleibt.
Pädagogisch sinnvolle Personalschlüssel und Gruppengrössen lassen sich im Gegensatz zu gesundheitlichen Verbesserungsmassnahmen nicht einfach vor Ort einführen, sie müssen in den Zulassungsvoraussetzungen festgelegt werden und setzen die Finanzierung entsprechender Stellenpläne durch die öffentliche Hand voraus. Bisher sind die Stellenschlüssel in der Schweiz nirgends sachlich-pädagogisch begründet, sondern sie beruhen auf einer Mischung aus bisheriger Praxis und finanziellen Grenzsetzungen durch die Politik. Die gesetzlich festgelegten Rahmenbedingungen sind in der Regel allgemein gehalten und unterscheiden nur zwischen «ausgebildetem Personal» und «weiteren Personen», ohne Überlegungen zu Art und Niveau der Ausbildung. Eine Ausbildung als Erzieherin auf Tertiärstufe bietet die notwendige Voraussetzung, auch grössere Kindergruppen angemessen anzuleiten und altersgerecht zu fördern. Eine Ausbildung auf Niveau Sekundarstufe II (Fachangestellte Betreuung) ohne entsprechende Weiterbildung reicht dafür nach Ansicht von Fachleuten nicht aus. Hier braucht es Differenzierungen bei den Vorgaben, die ebenfalls im Gespräch mit dem Personal bzw. dessen Vertretungen erarbeitet werden müssen. Eine schwere Hypothek ist in diesem Zusammenhang auch der hohe Anteil an unausgebildetem Personal in der Betreuung, der seit vielen Jahren bei über 40 Prozent verharrt.7
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