Aus diesen sehr weit formulierten Anforderungen lässt sich als säkulare Mindestvoraussetzung festhalten, dass eine Einrichtung nur dann der Kirche zugeordnet werden kann, wenn sie im weitesten Sinne eine karitative Tätigkeit wahrnimmt. Dies geschieht primär durch Erfüllung einer „kirchlichen Grundfunktion“. Unabdingbar ist somit, dass die religiöse Zielsetzung das bestimmende Element der Tätigkeit der Organisation oder Einrichtung ist. Welcher Maßstab bei Erfüllung einer kirchlichen Grundfunktion anzusetzen ist, wird allein von der Kirche bestimmt. 84Daher können zur Kirche auch Einrichtungen gehören, die kirchliche Mission mittels Öffentlichkeitsarbeit, und zwar „mit publizistischen Mitteln“ betreiben und nicht unmittelbar eine karitative Tätigkeit wahrnehmen, wie etwa die Katholische Nachrichten-Agentur oder der Evangelische Presseverband. 85
Besteht der Zweck einer Einrichtung, die von einer Kirche betrieben wird, jedoch überwiegend in der Gewinnerzielung (z.B. Brauereibetrieb eines Klosters), sodass nicht mehr die Aufgabe einer christlichen Tätigkeit im Fokus steht, scheidet eine Zuordnung aus. Einrichtungen, bei denen ausschließlich ein wirtschaftliches Element im Vordergrund steht, können daher bereits aufgrund der Zuordnungskriterien weltlicher Gerichte nicht als Teil der Kirche angesehen werden. Solche Einrichtungen können weder am kirchlichen Selbstbestimmungsrecht noch am kirchlichen Arbeitsrecht teilhaben.
2.Kircheninterne Zuordnungsvoraussetzungen
Neben den allgemeinen säkularen Zuordnungsvoraussetzungen, müssen die Einrichtungen auch strenge kirchliche Vorgaben erfüllen, um der Kirche zugeordnet werden zu können. Es sind nämlich vor allem die Kirchen selbst, die darauf bedacht sind, dass die ihr zugeordneten Einrichtungen auch ein Mindestmaß an kirchlichen Werten vertreten und ihrem Handeln zugrunde legen. Daher hat sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche in der jüngeren Vergangenheit die internen Anforderungen, die eine Einrichtung erfüllen muss, um als kirchliche Einrichtung zählen zu können, reformiert. Die Gründe, welche die Kirchen dazu veranlasst haben, sind vielschichtig. Ein wesentlicher Faktor war aber, dass – aus Sicht der Kirchen – die kirchlichen Einrichtungen ihr religiöses Proprium im Alltag oft nicht sichtbar werden ließen. Stattdessen ist sie häufig wie weltliche Einrichtungen aufgetreten. 86Dies hat sich insbesondere an einem zunehmend wirtschaftlichen Agieren der Einrichtungen gezeigt. Steigender Wettbewerbsdruck hat zu dem Phänomen einer kirchlichen „Tarifflucht“ geführt. 87Kirchliche Einrichtungen, die teilweise ausschließlich zu eben diesem Zweck gegründet wurden, wendeten sich von dem kircheneigenen Vergütungssystem ab und legten einen eigenen Maßstab für die Vergütung ihrer Mitarbeiter zugrunde. Das kirchliche Arbeitsrecht sollte gezielt unterlaufen werden, um so geringere als die in den kirchenrechtlichen Regelungen vorgeschriebenen Löhne zahlen zu können. 88
Die kirchlichen Gesetzgeber sahen sich gezwungen dieser Entwicklung entschieden entgegenzutreten, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Es sollte wieder verdeutlicht werden, dass ausschließlich Einrichtungen, welche die kirchlichen Grundwerte verkörpern, als kirchliche Einrichtungen anzusehen sind. Um dieses Vorhaben umzusetzen, haben die Kirchen die Anforderungen, die eine Einrichtung erfüllen muss, um der Kirche zugeordnet zu werden, intensiviert. Diese Anforderungen variieren bei der katholischen und evangelischen Kirche.
Die GrOkathK hat im Arbeitsrecht der katholischen Kirche eine bedeutende Rolle inne. Zunächst legt sie die wichtigsten arbeitsrechtlichen Grundlagen fest. So sind in § 3 GrOkathK die Voraussetzungen für die Begründung eines Dienstverhältnisses und in § 4 GrOkathK die Loyalitätsverpflichtungen der Dienstnehmer der katholischen Kirche geregelt.
Die GrOkathK gilt gem. Art. 2 Abs. 1 nur für die dort im Einzelnen aufgeführten Rechtsträger, die unmittelbar der Gesetzgebungsgewalt der Bischöfe unterliegen. 89Alle selbstständigen kirchlichen Einrichtungen, auf die sich die bischöfliche Gesetzgebungskompetenz nicht erstreckt, müssen die GrOkathK nach Art. 2 Abs. 2 verbindlich in ihr Statut übernehmen. Andernfalls ist eine Zuordnung zur Kirche nicht möglich. In diesen Fällen wird den Einrichtungen verwehrt, gerade im Hinblick auf die arbeitsrechtlichen Beziehungen am Selbstbestimmungsrecht der verfassten Kirchen teilzuhaben. 90
Ursprünglich sah Art. 2 Abs. 2 S. 1 GrOkathK vor, dass alle kirchlichen Einrichtungen die Grundordnung bis zum 31.12.2013 verbindlich in ihre Satzung übernehmen müssen. Andernfalls drohte der Verlust der Zuordnung. Diese Regelung wurde auch in der aktuellen Fassung von 2015 beibehalten; lediglich die Frist zur Übernahme bis zum 31.12.2013 wurde wegen Zeitablaufs gestrichen. Es ist also nach wie vor für jeden Rechtsträger, der am Arbeitsrecht der katholischen Kirche teilhaben möchte, erforderlich, die GrOkathK verbindlich anzuwenden. Durch die explizite Verpflichtung der Einrichtungen, die GrOkathK in ihr jeweiliges Statut zu übernehmen, wird in der gesamten katholischen Kirche – einschließlich der ihr zugeordneten Einrichtungen – eine einheitliche Anwendung der grundlegenden kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen garantiert.
Aufseiten der evangelischen Kirche wurde im Rahmen der elften Synode 91das Vorgehen einzelner kirchlicher Rechtsträger und Einrichtungen scharf kritisiert. Einrichtungen, die dem zunehmenden Wettbewerb mit Outsourcing zum Zweck der Lohnsenkung und Niedriglöhnen entgegentreten, müssen danach mit dem Ausschluss aus dem Diakonischen Werk und damit aus der evangelischen Kirche rechnen. 92
Basierend auf dieser Überlegung hat die evangelische Kirche – im Gegensatz zur katholischen Kirche – ein umfangreiches Gesetz erlassen, in dem die genauen Anforderungen festgelegt sind, die eine selbstständige Einrichtung als Zuordnungsvoraussetzungen erfüllen muss. Das Kirchengesetz zur Zuordnung rechtlich selbstständiger Einrichtungen zur EKD (ZuOG-EKD) vom 12.11.2014 legt in §§ 4, 5 und 6 ZuOG-EKD fest, welche Anforderungen eine Einrichtung zu beachten hat, um am Arbeitsrecht der evangelischen Kirche zu partizipieren. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZuOG-EKD muss die Einrichtung in ständiger Verbindung zur Kirche stehen. Darüber hinaus ist erforderlich, dass die Mitwirkung an der Erfüllung des kirchlichen Auftrags dem kirchlichen Selbstverständnis entspricht. Letzteres muss als Zweck im Statut der Einrichtung verankert sein (§ 5 Abs. 1 ZuOG-EKD). Eine Verbindung zur Kirche wird gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 insbesondere dann angenommen, wenn die Einrichtung das einschlägige Kirchenrecht anwendet. Diese Vorschrift ist als Gegenstück zu Art. 2 Abs. 2 GrOkathK zu sehen. Der Unterschied besteht darin, dass die evangelische Kirche die Anwendung der eigenen Gesetze nur indirekt vorschreibt, wohingegen die katholische Kirche die verbindliche Anwendung der GrOkathK von einer Einrichtung voraussetzt. Ein weiterer Unterschied zur Handhabung im katholischen Arbeitsrecht ist, dass in der evangelischen Kirche im Rahmen der Zuordnungsfrage zwischen kirchlichen Einrichtungen an sich und solchen des Diakonischen Werks differenziert wird, vgl. §§ 8, 9 ZuOG-EKD. Nach § 9 Abs. 1 S. 1 ZuOG-EKD ist eine Einrichtung bereits durch die Mitgliedschaft in der Diakonie der evangelischen Kirche zugeordnet. Dies liegt daran, dass Einrichtungen nur dann in die Diakonie aufgenommen werden, wenn sie bereits die Anforderungen an eine Zuordnung zur evangelischen Kirche erfüllen. Bei sonstigen, nicht der Diakonie angeschlossenen Einrichtungen muss dagegen geprüft werden, ob die im ZuOG-EKD geregelten Voraussetzungen erfüllt sind. Ob eine Einrichtung i.S.d. ZuOG-EKD als Teil der evangelischen Kirche angesehen werden kann, erfolgt durch eine formale Entscheidung. Zuständig ist jeweils die Gliedkirche, in deren Gebiet die zuzuordnende Einrichtung ihren Sitz hat, §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 ZuOG-EKD.
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