Die Dienstgemeinschaft prägt zwar das Dienstverhältnis, ist aber nicht als eigenständige Rechtsquelle dessen zu verstehen. Dennoch kann die Kirche den Gedanken der Dienstgemeinschaft ihren privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen zugrunde legen und dadurch das kirchliche Selbstverständnis vertragsrechtlich absichern. 67Diese Befugnis geht aber nicht so weit, als dass die Kirchen weltliches Arbeits- und Zivilrecht überwinden können. Die Besonderheit besteht vielmehr darin, dass sie ihre Dienstverhältnisse im Rahmen des für alle geltenden Rechts frei gestalten können. Nur deshalb und innerhalb dieser Grenzen kann ein kirchlicher Arbeitgeber von seinen Dienstnehmern Voraussetzungen für die Beschäftigung verlangen, Anforderungen an die Ausführung der kirchlichen Tätigkeit stellen und etwa eigene kollektivrechtliche Wege gehen, die ein säkularer Arbeitgeber nicht verlangen oder wählen darf. 68Der Kirche wird dadurch garantiert, dass die religiöse Dimension der Dienstgemeinschaft innerhalb der weltlichen Rechtsordnung und in einem marktwirtschaftlich organisierten Arbeitsleben anerkannt wird. 69Andersherum endet die staatliche Regelungskompetenz kirchlicher Arbeitsverhältnisse dort, wo eine Entscheidung über Wesen und Auftrag der Kirche getroffen wird. 70
Grundlage des Verhältnisses von Dienstnehmer und Dienstgeber im kirchlichen Dienst ist somit der weltliche Dienstvertrag nach § 611 Abs. 1 BGB mit all seinen weltlichen Möglichkeiten und Grenzen. Das so geschlossene Arbeitsverhältnis wird jedoch maßgeblich durch die „Gemeinschaft des Dienstes“ beeinflusst. Folglich grenzt das Zusammenspiel von Gemeinschaftsvorstellung und Tätigkeit im Sinne Jesu Christi den kirchlichen Dienst vom säkularen Arbeitsverhältnis ab und begründet nicht nur im Individualarbeitsrecht, sondern auch im kollektiven Arbeitsrecht eine Sonderstellung der Kirchen. 71Um den Stellenwert der Dienstgemeinschaft zu verdeutlichen, haben beide christlichen Kirchen den Leitgedanken fest in ihren Grundordnungen verankert. Die evangelische Kirche hat in § 2 des „Kirchengesetz[es] über die Grundsätze zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie“ (Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz – ARGG) die Dienstgemeinschaft als „Partnerschaftliche Festlegung der Arbeitsbedingungen“ normiert. In der katholischen Kirche ordnet § 1 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (GrOkathK) an, dass der Gedanke der Dienstgemeinschaft als Grundprinzip der arbeitsrechtlichen Beziehungen dient. Zudem enthalten die Dienstverträge regelmäßig in der Präambel oder im ersten Abschnitt einen Verweis auf die Dienstgemeinschaft. So heißt es etwa in § 1 des Musterregelarbeitsvertrages der (Erz-)Bistümer Aachen, Essen, Köln, Münster (westfälischer Teil) und Paderborn:
„Der Dienst in der katholischen Kirche erfordert von der/dem Dienstgeber/in und der/dem Mitarbeiter/in die Bereitschaft zu gemeinsam getragener Verantwortung und vertrauensvoller Zusammenarbeit unter Beachtung der Eigenart, die sich aus dem Auftrag der Kirche und ihrer besonderen Verfasstheit ergibt.“ 72
Dadurch stellen die Kirchen auch nach außen sichtbar ihre Arbeitsverhältnisse auf das Fundament der Dienstgemeinschaft und begründen so die Besonderheit des kirchlichen gegenüber dem weltlichen Arbeitsrecht. 73
IV.Erweiterung des kirchlichen Arbeitsrechts – Zuordnung kirchlicher Einrichtungen
Neben der verfassten Kirche gibt es eine Vielzahl an Einrichtungen, die zwar kirchliche Arbeit leisten, aber nicht unmittelbar in die Kirche eingegliedert sind. Diese Organisationen sind jedoch dann vom Geltungsbereich des kirchlichen Arbeitsrechts erfasst und können an diesem partizipieren, wenn sie der Kirche in besonderer Weise zugeordnet werden. 74Dass sich die arbeitsrechtliche Regelungsautonomie nicht nur auf die verfasste Kirche als amtskirchliche Organisation beschränkt, sondern sich auch auf einzelne Einrichtungen, die der Kirche zugeordnet werden, beziehen kann, ergibt sich bereits aus dem Kontext säkularer arbeitsrechtlicher Mitbestimmungsgesetze. 75Diese enthalten, etwa in § 118 Abs. 2 BetrVG, § 1 Abs. 3 Nr. 2 SprAuG, § 1 Abs. 2 S. 2 DrittelbG, § 1 Abs. 4 S. 2 MitbestG, Regelungen, wonach die jeweiligen Gesetze nicht auf „Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform“ anwendbar sind. Dadurch hat der Gesetzgeber einfachgesetzlich normiert, dass nach säkularem Recht organisierte karitative und erzieherische Einrichtungen die Möglichkeit haben am kirchlichen Arbeitsrecht zu partizipieren. Das Recht, im Rahmen des kirchlichen Arbeitsrechts privatrechtliche Arbeitsverhältnisse mit Bezugnahmeklausel einzugehen, steht deshalb neben der verfassten Kirche auch solchen Einrichtungen zu, die der Kirche zugeordnet werden.
Insbesondere im Bereich der Wohlfahrtspflege sind viele rechtlich selbstständige Einrichtungen vorhanden, die sich entweder im „Deutschen Caritasverband e. V.“ (DCV) der katholischen Kirche oder im „Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband“ und „Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst“, die gemeinsam das „Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.“ (Diakonie) 76der evangelischen Kirche bilden, zusammengeschlossen haben. Selbstständige kirchliche Einrichtungen können, müssen aber nicht den Wohlfahrtsverbänden angeschlossen sein.
Beim DCV handelt es sich um einen von den deutschen Bischöfen anerkannten katholischen Wohlfahrtsverband. Der Caritasverband wird der katholischen Kirche zwar zugeordnet, ist aber als rechtlich selbstständige Organisation einzuordnen. Auch die Diakonie steht der evangelischen Kirche als eingetragener Verein rechtlich gegenüber, wird der evangelischen Kirche aber zugeordnet. Durch den Zusatz „unbeschadet deren Rechtsform“ hebt der weltliche Gesetzgeber hervor, dass die Zuordnung zur Kirche nicht von der Rechtsform abhängt. Vielmehr sind die jeweiligen Einrichtungen bei der Wahl ihrer rechtlichen Organisationsform an keine Vorgaben gebunden. 77Sie können sowohl den nicht rechtsfähigen Zusammenschluss, beispielsweise der private Verein, die rechtsfähige juristische Person des Privatrechts, wie die GmbH, als auch die juristische Person des öffentlichen Rechts als Rechtsform wählen. 78Um am kirchlichen Arbeitsrecht teilhaben zu können, muss die jeweilige Einrichtung die Anforderungen, die an die Zuordnung zur Kirche gestellt werden, erfüllen. Denn nur wenn ein Anstellungsträger die Zuordnungskriterien erfüllt, ist er auch in der Lage, die für die vorliegende Untersuchung relevanten Bezugnahmeklauseln in kirchlichen Arbeitsverhältnissen zu vereinbaren. Im Rahmen der Zuordnungskriterien ist zwischen staatlichen und kircheninternen Anforderungen zu differenzieren.
1.Säkulare Zuordnungsvoraussetzungen
In einer Entscheidung aus dem Jahre 2014 hat das BVerfG festgelegt, dass es im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses der verfassten Kirche nicht nur Aufgabe der Kirche sei, über die Zuordnung einer Einrichtung zu ihr zu entscheiden, sondern auch die der staatlichen Gerichte. 79Letztere hätten deshalb zu prüfen, ob eine Organisation oder Einrichtung an der Verwirklichung des kirchlichen Grundauftrags teilhabe. 80Bereits 1977 hat das BVerfG zudem formuliert, dass nach säkularer Rechtsform organisierte Einrichtungen der Kirche nur dann zugeordnet werden könnten, „wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrag der Kirche in dieser Welt wahrzunehmen und zu erfüllen“ 81. Darüber hinaus hat das BAG die Zuordnung zur Kirche davon abhängig gemacht, ob eine Einrichtung, die in einer Organisationsform des Privatrechts geführt wird, bei Erfüllung ihrer Aufgaben auch die „Wesens- und Lebensäußerung der Kirche“ darstellt, um eben dieser zugeordnet werden zu können. 82Die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen gelten sowohl für die katholische als auch für die evangelische Kirche. 83
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