II.Privatrechtliche Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Arbeitsrecht als Anknüpfungspunkt der Bezugnahmeklauseln
Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts räumt den Kirchen also die Möglichkeit ein, ihre eigenen Angelegenheiten auch in privatautonomen Gestaltungsformen, wie einem Arbeitsvertrag nach § 611 Abs. 1 BGB, zu ordnen. Daraus resultiert jedoch zugleich die Fragestellung, ob bei einer privatrechtlichen Ausgestaltung kirchlicher Arbeitsverhältnisse das kirchliche oder das säkulare Arbeitsrecht vorgeht. 47Das BVerfG führt hierzu in einem grundlegenden Beschluss aus dem Jahre 1985 aus:
„Bedienen sich die Kirchen wie jedermann der Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, so findet auf diese das staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Das ist die schlichte Folge einer Rechtswahl. Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt indessen deren Zugehörigkeit zu den ‚eigenen Angelegenheiten‘ der Kirche nicht auf. Sie darf deshalb die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen Dienstes, das spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium, nicht in Frage stellen. Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bleibt für die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse wesentlich.“ 48
Demnach können die Kirchen zur Begründung von Arbeitsverhältnissen auf staatliches Recht zurückgreifen, sind dann aber auch an die Grenzen und Möglichkeiten des Privatrechts gebunden. Dies sei eben, so das BVerfG, die „schlichte Folge einer Rechtswahl“. Ein Rückgriff der Kirchen auf das staatliche Arbeitsrecht führt indes nicht dazu, dass die kirchlichen Arbeitsverhältnisse ihre Zugehörigkeit zur Kirche und zu den eigenen Angelegenheiten verlieren. 49Vielmehr bleibt auch für die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts, unabhängig von der konkreten Nähe des Arbeitnehmers zum Verkündungsauftrag der Kirche, wesentlich. 50Jedoch können die Kirchen nur auf die nach staatlichem Recht zustande gekommenen Arbeitsverhältnisse einwirken, wenn eine arbeitsrechtliche Regelungsmaterie von den „eigenen Angelegenheiten“ i. S. d. Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV erfasst ist. Denn nur dann ist es den Kirchen gestattet, vom staatlichen Recht abweichende Regelungen festzulegen. Streitpunkte sind regelmäßig die Auslegung und die Reichweite der „eigenen Angelegenheiten“. Allgemein zur Konkordanz zwischen staatlicher Ordnung und kirchlicher Selbstbestimmung führte das BVerfG deshalb bereits 1976 schlichtend aus, es sei „auf beiden Seiten davon auszugehen, dass staatliche Gesetze nicht die den Kirchen wesentlichen eigenen Ordnungen beeinträchtigen und dass kirchliche Gesetze nicht die für den Staat unabdingbare Ordnung kränken werden“ 51. Zu den eigenen Angelegenheiten gehört in jedem Fall, dass die Kirchen das Recht haben, in begrenztem Maße von ihren Arbeitnehmern bei der Wahrnehmung ihrer Tätigkeit die Beachtung der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre zu fordern. 52Von diesem Recht haben die Kirchen in Form von sog. Verhaltensund Loyalitätspflichten, die bis in die Intimsphäre reichen, Gebrauch gemacht.
Die Rechtsverhältnisse der kirchlichen Mitarbeiter bestimmen sich also nach zivilrechtlichen Grundsätzen, welche durch die im kirchlichen Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten ergänzt werden. 53Das gilt sowohl auf der Ebene des Individualarbeitsrechts als auch auf der Ebene des kollektiven Arbeitsrechts. In einer neueren Entscheidung hat das BAG für den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV daher klargestellt, dass die das weltliche Arbeitsrecht ergänzende kirchliche Regelungsautonomie sowohl „die individualrechtliche wie kollektivrechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen der in kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer“ erfasse. 54
Schließen die Kirchen oder ihre Einrichtungen privatrechtliche Arbeitsverträge ab, können die Arbeitsvertragsparteien auch auf das aus dem weltlichen Arbeitsrecht stammende Instrument der Bezugnahmeklauseln zurückgreifen und auf kollektivrechtliche Arbeitsrechtsregelungen verweisen. Die im allgemeinen Arbeitsrecht geltenden Grundsätze zu Bezugnahmeklauseln sind auch im kirchlichen Arbeitsrecht anzuwenden, müssen jedoch regelmäßig durch die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts modifiziert werden.
III.Leitgedanke der Dienstgemeinschaft auch bei privatrechtlich begründeten Arbeitsverhältnissen
Die christlichen Kirchen stellen als Basis und Begründung für die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts auf den Leitgedanken und das Ideal der Dienstgemeinschaft ab. 55Mit dem Begriff Dienstgemeinschaft soll das Leitprinzip des kirchlichen Dienstes benannt werden, damit dieser nach innen und außen glaubwürdig als Teilhabe am Heilswerk Jesu Christi verkörpert wird. 56Die auf säkularer Grundlage geschlossenen kirchlichen Arbeitsverhältnisse müssen sich in ein marktwirtschaftlich organisiertes Arbeitsleben einordnen, ohne dabei den Hintergrund des kirchlichen Agierens auf dem Arbeitsmarkt aus dem Auge zu verlieren. Um die Kirchlichkeit in privatrechtlichen Anstellungsverhältnissen zu gewährleisten, stellen die katholische und evangelische Kirche den Dienst in ihren Einrichtungen deshalb auf das Fundament der Dienstgemeinschaft. Grundlage der Dienstgemeinschaft ist eine Rückbesinnung auf das Handeln Christi, der sich zum Diener aller gemacht hat. Hinter dem Begriff Dienstgemeinschaft steckt nämlich der Gedanke, dass sich die kirchlichen Mitarbeiter nicht auf die dienende Nachfolge des Einzelnen beschränken, sondern Jesus Christus im Dienste der Versöhnung folgen, was ein Zusammenstehen vieler in einer „Gemeinschaft des Dienstes“ 57erfordert. Dadurch entsteht zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten eine Parität und Partnerschaft, die sich über niemanden erheben will und auf dem „Vorbild“ der urchristlichen Gemeindebildung gründet. 58Die Dienstgemeinschaft fußt auf dem Grundideal der Liebe des auferstandenen Christi zu seiner Gemeinde und der erwiderten Liebe der Gemeinde zu ihm. 59Die christlichen Kirchen leiten daraus ab, dass die Dienstgemeinschaft aus drei Grunddiensten besteht. Dazu zählen die Verkündigung des Evangeliums, der Gottesdienst und der aus dem Glauben erwachsende Dienst am Mitmenschen. 60Um diese Grunddienste zu verwirklichen, existieren kirchliche Einrichtungen. Die Mitarbeiter, die in ihnen tätig sind, tragen dazu bei, dass der Sendungsauftrag der Kirchen erfüllt werden kann. 61Da die Dienstgemeinschaft die Bejahung und Anerkennung des Sendungsauftrags der Kirche voraussetzt, geht es im kirchlichen Dienst nicht nur um einen sachgerechten Einsatz von Personal, sondern auch um die aus der Überzeugung und Kraft des Glaubens erwachsende Arbeit in der Erfüllung des Auftrags Christi. 62
Die Dienstgemeinschaft ist somit sinnbildlich für die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung im kirchlichen Dienst zu verstehen, die sich sowohl auf eine interne als auch auf eine externe Komponente erstreckt. 63Intern verbindet sie alle in einer kirchlichen Einrichtung Tätigen zu einer Gemeinschaft. Deshalb steht nicht die im weltlichen Arbeitsrecht vorherrschende „Bipolarität“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Fokus des kirchlichen Arbeitsrechts, sondern eine „Multipolarität“, d. h. eine Tätigkeit in der Gemeinschaft sowie eine Tätigkeit als Gemeinschaft. 64
Dagegen verdeutlicht die externe Komponente der Dienstgemeinschaft, dass bei Wahrnehmung einer kirchlichen Tätigkeit die Erfüllung des Sendeauftrags der Kirchen eine gleichwertige Rolle spielt. 65Nach christlichem Selbstverständnis wird schließlich durch jede Tätigkeit der Mitarbeiter ein Stück des kirchlichen Auftrags in der Welt verwirklicht. 66Basierend auf dem Gedanken der Dienstgemeinschaft wird im kirchlichen Arbeitsrecht von „Dienstverhältnis“, „Dienstgeber“ und „Dienstnehmer“ gesprochen.
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