iii. Auf dem Weg zu einem integrativen Ansatz
Intermar
Einen anderen Weg wählte das (bereits erwähnte) Intermar -Projekt. So wurde für jede Sprachgruppe ein einziger Test entwickelt. Für den romanischen Bereich bekamen die Studierenden fünf Zeitungsartikel zum gleichen Thema (autonome Autos) zum Lesen: jeweils einen in Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch und Rumänisch. Zwei in einer kommunikativen Gesamtaufgabe1 eingebettete Unteraufgaben waren zu bewältigen: Zum einen sollten die Studierenden in ihrer Muttersprache eine Liste aller Information erstellen, die in allen Artikeln gleich waren, und zum anderen in den Texten fünf Informationen unterstreichen, die in mindestens zwei (aber nicht allen) Texten vorhanden waren. Es ging darum, nicht das reine Verstehen in verschiedenen Sprachen zu testen, sondern die Fähigkeit, Informationen aus mehrsprachigen Quellen zu vergleichen und kritisch zu bewerten. Durch den Einsatz verschiedener Sprachen im selben Test sollte außerdem die mehrsprachige Kompetenz besser testbar sein, so zumindest das diesem Test zu Grunde liegende Prinzip: Ziel war es, „to measure the final level of acquisition of IC competences in the context of plurilingual reception inside each language family“ (Intermar, 2013).
Das zweite Beispiel stellt einen Versuch dar, der mehrsprachigen Dimension der Interkomprehension gerecht zu werden und eine holistische Kompetenz durch eine (für mehrsprachige Menschen) realitätsnahe Aufgabe zu testen. Allerdings wird wie im ersten Fall nur eine Fertigkeit – das Leseverstehen – geprüft.
MAGICC: Szenarien mit unterschiedlichen Aufgaben (Tasks)
Im Rahmen des Projekts MAGICC ( Modularising multilingual and multicultural academic communication competence ), das dem mehrsprachigen interkulturellen Lernen in akademischen Kontexten gewidmet war, wurden sowohl ein Referenzrahmen für die Beschreibung der notwendigen Kompetenzen im Bereich Lesen, Hören und Schreiben als auch Lernszenarien für die Entwicklung dieser Kompetenzen erstellt. Die insgesamt zehn Szenarien bestehen aus unterschiedlichen handlungsorientierten Aufgaben und Teilaufgaben (Tasks), die möglichst realitätsnah gewählt sind und es den Lernenden ermöglichen, die für das Studium und für die Arbeitswelt relevanten sprachlichen, akademischen und interkulturellen Kompetenzen zu erwerben. Die Teilaufgaben stehen in einer engen Beziehung zueinander. Für jede Aufgabe sind die Lernziele angegeben, die involvierten Fertigkeiten und Strategien und die Kriterien für die Evaluation dieser Kompetenzen sowie das erwartete Ergebnis, in einem konkreten Beispiel z. B. die Erstellung eines zwei- bzw. mehrsprachigen Texts mit Informationen über zwei Städte auf Grundlage von schriftlichen Texten. In einer Teilaufgabe geht es darum, komplexe Texte, darunter auch nichtlineare Texte mit Grafiken und Statistiken, in mindestens drei Sprachen kritisch zu analysieren und in Beziehung zu setzen. Zur Evaluation dieser Fertigkeiten sollen die Studierenden eine mehrsprachige Liste von Argumenten mit Unterpunkten erstellen (cf. Álvarez & Pérez-Cavana 2016).
Die mehrsprachige interkulturelle Kompetenz wird hier in Form einer komplexen Aufgabe evaluiert: Das Szenario mit den Teilaufgaben involviert mehrere Fertigkeiten (Lesen, Schreiben) in jeweils mehrsprachigen Settings. Die Evaluationskriterien stehen in engem Zusammenhang mit den Lernzielen. Damit entspricht dieser Ansatz in vielen Kriterien einem integrativen Ansatz; gemäß den Lernzielen des Kurses sind die Szenarien allerdings nicht auf eine mehrsprachige Interaktion ausgelegt.
iv. Integrativer Ansatz: das Projekt EVAL-IC
Grundlagen
Im Rahmen des Projekts EVAL-IC 1 wird Interkomprehension als eine Kommunikationsform betrachtet, die auf spezifischen Kompetenzen beruht und durch verschiedene Sprachhandlungen verwirklicht wird: rezeptive Interkomprehension, Interproduktion und interaktionale Interkomprehension. Unter rezeptiver Interkomprehension verstehen wir „Rezeption (Lese- oder Hörverstehen) in fremden Sprachen, wenn diese hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) unter Verwendung von interlingualem Wissenstransfer stattfindet. Vorkenntnisse in diversen Sprachen meistens der gleichen Sprachfamilie werden genutzt, um andere Sprachen zu verstehen“ (Ollivier & Strasser 2013, 43sq.). Unter interaktionaler Interkomprehension werden mehrsprachige Interaktionen zusammengefasst, bei denen „sich mindestens zwei Kommunikationspartner/innen unter Verwendung unterschiedlicher Produktionssprachen verständigen. Jede/r spricht/schreibt in einer Sprache, die er/sie in ausreichendem Ausmaß beherrscht, und versteht den/die Kommunikationspartner/in, der/die sich in einer anderen Sprache (oft innerhalb einer Sprachgruppe) ausdrückt“ (Ollivier & Strasser 2013, 44). Interproduktion bezeichnet „die sprachliche Produktion in einer Sprache, die potenziell von den Adressat/inn/en verstanden werden kann, weil sie z. B. mit einer der von den Adressat/inn/en gelernten Sprachen genetisch verwandt ist, wobei das Schreiben bzw. das Sprechen so gestaltet wird, dass das Verstehen erleichtert wird (Balboni 2007, 2009; Hédiard 2009; Ollivier 2017)“ (Ollivier & Strasser 2018, 196).
Als Grundlage für die Entwicklung von Evaluationsverfahren wurden im Rahmen des EVAL-IC -Projekts Deskriptoren für die mündlichen und schriftlichen rezeptiven und produktiven Kompetenzen sowie für die mehrsprachige mündliche Interaktion erarbeitet.
Um den holistischen Charakter der der Interkomprehension zu Grunde liegenden mehrsprachigen Kompetenz zu unterstreichen, wird zurzeit2 an einem Test gearbeitet, der diese Kompetenz durch eine komplexe authentische Gesamtaufgabe (ein Szenario) überprüft, die einerseits die Aktivierung aller Sprachhandlungen fördert und andererseits verschiedene Stufen im kognitiven Bereich nach der Bloomschen Taxonomie anspricht und die Evaluation der diversen Dimensionen der mehrsprachigen kommunikativen Kompetenz testet: (inter-)linguistische, interkulturelle, soziopragmatische, kognitive und strategische Dimensionen.
Szenario-Beispiel aus dem Projekt EVAL-IC
Da der Test noch in der Entwicklungsphase steht, können keine Einzelheiten dargestellt werden. Sicher ist, dass es sich um ein Szenario handeln wird, das realitätsnah ist und hohe Plausibilität für Studierende, das Zielpublikum des Projekts, aufweist. Die Präferenz geht zurzeit in Richtung einer studentischen Konferenz zum Thema „nachhaltige Entwicklung“. Die Studierenden würden verschiedene Phasen der Vorbereitung und Delegiertenauswahl durchlaufen. Die Vorbereitungsphase sähe vor, dass sich die potentiellen Kandidat/inn/en über Umwelt- und Entwicklungsfragen in den fünf im Projekt vertretenen romanischen Sprachen informieren (rezeptive Interkomprehension) und die Informationen synthetisch zusammenfassen, um Argumente zur Verteidigung ihrer Bewerbung zu haben. Vor dem mehrsprachigen Organisationskomitee (bestehend aus den Evaluator/innen, multirater ) sollten sie nämlich einen kurzen Vortrag (mündliche Interproduktion) mit anschließender Diskussion (interaktionale Interkomprehension) halten, in dem sie sich vorstellen und Argumente vorbringen, warum sie ausgewählt werden sollten. Sie sollten auch mit Kolleg/inn/en an einem Konzept arbeiten (interaktionale Interkomprehension, multi-candidate ) und in einer romanischen Sprache eine Zusammenfassung produzieren (schriftliche Interproduktion), die für die Konferenz als Präsentations- und Arbeitsvorlage dienen könnte.
Dieses Testverfahren aktiviert sowohl rezeptive als interaktionale Interkomprehension und Interproduktion, wird den Kriterien nach Canagarajah (2010, 238)( multitask, multirater und multi-candidate ) gerecht und spricht verschiedene Ebenen der Bloomschen Taxonomie an, u.a. Verstehen, Bewerten und Synthese.
Читать дальше