1 ...8 9 10 12 13 14 ...27 Sie bekamen Koranunterricht. Doch der beschränkte sich auf das Auswendiglernen von Suren, denn der Koran war auf Arabisch, und das verstand keiner. Hans fühlte sich an die Zeit erinnert, als er bei den Chorherren des Heiliggeistklosters Schreibunterricht hatte. Da mussten sie lateinische Texte schreiben, die keiner verstand. Für den Lateinunterricht hatte Vater Schiltberger kein Geld. Was die Originaltexte besagten, das ginge sie nichts an, die Interpretation durch die Geistlichen sei das Wesentliche. Und der neugierige Hans, der zunächst immer Fragen stellte, lernte schnell, dass Fotzn, Watschen, Ohrfeigen die häufigste Antwort waren, manchmal auch Prügel mit dem Rohrstock oder einsame Stunden im Karzer. Je nach Dreistigkeit seiner gottlosen Frage. Also verkniff sich Hans beim Koranunterricht alle Fragen, leierte mit seiner Gruppe die arabischen Laute herunter und lernte irgendetwas auswendig. Immerhin lernte er so Arabisch zu lesen und richtig auszusprechen. Und da das osmanische Türkisch als Schrift die arabischen Buchstaben verwendete, lernte er auch Türkisch lesen.
Strenge Disziplin bestimmte ihren Alltag. Das Korps ist eure Familie, der Sultan euer Vater, lautete das Mantra. Als sie hörten, dass sie sich dem Zölibat unterwerfen mussten, rumorte es in der Truppe. Doch nachdem sich herumgesprochen hatte, dass Ehelosigkeit keineswegs Sexverzicht bedeutete, beruhigten sich die Gemüter schnell. Das kannten sie von den Geistlichen, den Mönchen und Nonnen in der alten Heimat. Da war es mit der Keuschheit nicht weit her. Hans hatte als Kind mit genügend Pfarrersbälgern gespielt. Die jeweils aktuelle Mätresse des Bischofs wurde hofiert wie eine Edeldame. Die Äbtissin des Angerklosters in München erschien sogar zu offiziellen Anlässen ungeniert in Begleitung ihres erheblich jüngeren Liebhabers.
Gewöhnungsbedürftiger als die Philosophie fand Hans die Kleidung, mit der man sie ausstattete. Alle bekamen die gleiche Kleidung, so etwas Verrücktes hatte Hans noch nie gehört. Mönche und Nonnen, ja, die hatten alle das Gleiche an, aber Soldaten? Diese absonderlichen Türken! An den weiten blauen Pluderhosen und hohen roten Lederstiefeln gab es noch nichts auszusetzen, ebenso am Wams und dem roten Mantel. Doch diese Kopfbedeckung! Die enorm hohe kegelförmige Filzkappe, leicht nach hinten gewölbt, erforderte zunächst einen Balanceakt. Damit gehen wollte gelernt sein, damit kämpfen erst recht. Die Janitscharenmütze sollte die Ärmel von Hadschi Bektasch symbolisieren und die Verbundenheit mit dessen Lehren ausdrücken. Auch die Derwische des Bektaschi-Ordens trugen sie.
Diejenigen unter den Rekruten, die bereits richtigen Bartwuchs hatten – so wie Hans Schiltberger –, mussten sich rasieren und durften sich nur einen Schnurrbart stehen lassen. Denn Vollbärte blieben freien Moslems vorbehalten. Hans bot sich an, den katatonischen Max zu rasieren, doch wieder überraschte Max, nahm selbst das Messer und rasierte sich sorgfältig Wangen und Kinn.
Richtig lustig wurde es, als man die Hierarchie lernte. Da Janitscharen Sklaven waren und keinen Besitz haben durften, bestand ihr Lohn, von ein paar gönnerhaft vom Sultan direkt ausgezahlten Dinaren abgesehen, praktisch nur aus regelmäßigen Mahlzeiten. Darum setzten sich die Abzeichen aller Offiziere aus gekreuzten Löffeln zusammen. Je höher der Dienstgrad, desto mehr gekreuzte Löffel, wobei sich mancher zusätzlich schmückende Federn an die Mütze steckte. Die Bataillonskommandeure trugen den Titel Suppenmeister. Die Hauptmänner einer Kompanie nannte man Suppenköche, deren Stellvertreter Oberköche, die Leutnants Oberste Wasserträger, die Feldwebel Oberste Küchenjungen und die Quartiermeister Köche. Da war es nur logisch, dass man keine Standarte vorantrug, sondern einen großen Suppenkessel.
Nachdem sich die erste Heiterkeit gelegt hatte, gewöhnte man sich auch daran. Wobei noch wochenlang mancher Rekrut mit »Ich muss zum Suppenkoch« oder »Der Oberkoch will mich sehen« einen Lachanfall bei seinen Kameraden auslöste und Sprüche wie »Bring eine Schüssel voll mit!« oder »Sag ihm, der Hammel gestern war zäh!« nachgerufen bekam.
Die Einheit, der Hans, Yorick und Max angehörten, zählte einhundert Mann. Orta nannte man so eine Einheit. Neben dem täglichen Islamunterricht mussten sie an den Waffen trainieren. Schwert und Streitaxt beherrschte Hans aus dem Effeff, doch der Bogen, die Hauptwaffe der Janitscharen, bereitete ihm noch Schwierigkeiten.
»Das Korps ist deine Familie, der Sultan dein Vater«, seufzte Yorick eines Abends und ließ sich auf das Bett plumpsen. »Ich kann es nicht mehr hören.«
»Ach, uns gehts doch gut«, antwortete Hans träge und rieb sich wohlig den Bauch, der eben das Abendessen verdaute.
»Du bist immer mit jeder Situation zufrieden, oder?«
»Wenn es gottgewollt ist und ich sie nicht ändern kann …«
»Wenn wir wenigstens Tricktrack spielen könnten«, sagte Yorick und schielte zu Hans hinüber.
»Dann würden sie uns bestrafen.«
»Wieso? Niemand hat gesagt, dass das verboten ist.«
»Hier ist doch alles verboten, was nicht mit Allah oder Waffen zu tun hat«, knurrte Hans.
»Dann hast du also kein Interesse?« Yorick zog unter seiner weiten Weste ein Holzkästchen hervor und öffnete es. Ein wunderschön gearbeitetes Tricktrackspiel lag vor ihnen. In Wahrheit war es ein einfach gemaltes Spielbrett, doch Hans hatte so lange kein richtiges Spielbrett mehr gesehen, dass ihm das hier einfach wunderschön vorkam.
»Wo hast du das denn her?« Hans merkte, dass seine Stimme vor Aufregung zitterte. »Wir sind doch hier gefangen wie Mäuse in der Falle.« Wie in einem strengen Mönchsorden durften die Janitscharen während der Ausbildung die Kaserne nicht verlassen.
»Mein Geheimnis«, schmunzelte Yorick. »Da draußen ist eine Welt und zu der gibt es verschiedene Kontaktmöglichkeiten.«
»Sag schon!«
Yorick schüttelte lachend den Kopf. »Willst du nun spielen?«
»Und wenn uns einer verpfeift?« Hans sah sich im Saal um, aber kaum einer schenkte ihnen Beachtung. Im Gegenteil, erst jetzt fiel Hans auf, dass auf mehreren Betten offenbar gespielt wurde. Leise und unauffällig, mit Würfeln und Spielbrettern.
»War das gestern auch schon so?« Hans zog die Stirn kraus.
»Vielleicht«, sagte Yorick unbestimmt. »Ich glaube, heute kam eine Großlieferung. Und wenn uns einer verpfeift, dann lassen wir Max auf ihn los.« Yorick deutete zu ihrem stillen Freund, der kerzengerade ausgestreckt auf seinem Bett lag und zur Decke starrte.
Hans gluckste. »Die Rache des Untoten.« Dann kniff er die Augen zusammen. »Steckst du dahinter?« Er machte eine ausladende Geste in den Saal.
»Vielleicht. Kann sein, dass ich heute wie auch immer an fünf Spiele gekommen bin. Und die gegen einen kleinen Obolus verteilt habe. Kann aber auch nicht sein.«
»Yorick van Nazareth, du wirst mir langsam ein wenig unheimlich.«
»Gut so«, lachte Yorick.
»Ich dachte, du bist mein Freund. Jetzt sag schon, wie du das gemacht hast.«
»Ich bin dein Freund, und darum ist es besser, ich sage es dir vorerst nicht.«
Ein Tumult entstand in der hinteren Ecke. Don Juan stritt sich mit einem anderen um ein Spielbrett.
»War klar«, kommentierte Yorick, »ich habe Don Juan keins gegeben.«
Der Kastilier versetzte seinem Kontrahenten einen Faustschlag ins Gesicht. Pech für Don Juan Gonzáles de Clavijo, dass der für ihre Orta zuständige Koch den Zank mitbekommen hatte, das Spiel konfiszierte und Don Juan zu einer Woche Küchenarrest verdonnerte.
Am nächsten Tag unterbrach der kommandierende Suppenkoch der Orta Schiltbergers Training mit dem Schwert und winkte ihn zu sich. Hans überlegte fieberhaft, ob er sich etwas zuschulden hatte kommen lassen. Es fiel ihm nichts ein. Doch! Das Tricktrack. Am Vorabend hatten alle ihre Spiele schnell verschwinden lassen, als der Koch sich den Kastilier vorknöpfte. Bestimmt hatte Don Juan ihn verpfiffen. Na bitte, nun würde die Strafe folgen.
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