*
Ihr fürchtet, daß die Umsturzepoche, vor der wir zu stehen glauben, alle Kunst und Poesie, alles Schöne und Wertvolle im Leben vernichte?
Ich fürchte das nicht. Denn mag jeder Tempel zertrümmert, jedes Kunstwerk verbrannt, jedes Saitenspiel zerschmettert werden, das unantastbare Saitenspiel, das Menschenherz, wird nie aufhören, von den ewigen Melodien zu tönen, die der Geist der Welten ihm zuhaucht.
1894
Alle wahrhaft großen Dichtungen sind Variationen zum Schicksalsliede, seien es Maestosi, Allegri oder Scherzi.
1895
Ich betrachte als eine Aufgabe kommender Dichtergeschlechter, neue Mythen zu schaffen, und wir wollen ihnen schon vorarbeiten.
*
Dichten ist immer die Wiedergabe von Erinnerung. Die Erinnerung aber ist selbst etwas Dichtendes, künstlerisch Zusammenfassendes und Auswählendes.
*
Ein Dichter muß 77mal als Mensch gestorben sein, ehe er als Dichter etwas wert ist.
*
Der reimlose Jambus hat ein so formelles Pathos, ein so großrednerisches Moment in sich, daß er uns Modernen meistens geradezu unmöglich wird, da wir in tiefster Seele von dem Willen durchdrungen sind, wahr zu sein, redlich vor allem in der Wiedergabe unserer Stimmungen und inneren Erlebnisse.
*
Höchste Empfindungen, Phantasie im Gewande intimster Natur – – – – eine Durchgeistigung der Realität auf allen Punkten, künstlerischer Polytheismus (im Sinne der Kunst), das meine ich, muß das Programm der Zukunft, unserer Zukunft sein. Der Sieg des menschlichen Geistes über die Außenwelt muß vollkommen werden.
*
Je einheitlicher ein Volk einen Stil aus sich herausentwickelt, um so mehr ist es bei sich selbst daheim . Daher der Zauber des mittelalterlichen Stils, daher heute unsere Heimatlosigkeit.
*
Wenn wir einen nationalen Baustil haben wollten, müßten wir eine einheitliche Weltanschauung haben.
*
Wenn ich so die kleinen Dampfer die riesigen Kähne vorüberschleppen sehe, muß ich immer an den Dichter und das Publikum denken.
*
Schönheit ist empfundener Rhythmus. Rhythmus der Wellen, durch die uns alles Außen vermittelt wird.
Oder auch: Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.
Gesetzt also, es gäbe einen Gott, so wäre sein Glaube, die beste aller Welten vor sich zu haben, verzeihlich.
1896
Das naturalistische Drama hat nur dann Wert, wenn es den Menschen, so wie er heute ist, sich selbst unerträglich macht. Ibsen. Hauptmann.
Kritik oder Beispiel – naturalistische oder idealistische Kunst.
Der Naturalismus eine rein historische Kunstanschauung. Der Naturalismus nur ein Stadium, kein Ziel.
*
Wenn heute wieder ein Schubert geboren würde, würde er eine Mission mehr haben, nämlich, nur Texte zu komponieren, die Kulturwert haben.
*
Die Orgel, das Instrument der Zukunft.
*
In einem Philharmonischen Konzert:
Der Tempel der Germanen: Musik als Architektur empfunden. –
All-Genuß.
Mir ist, ich wäre ein Adler und trüge mich selbst und meine Last dünkte mir köstlich und ein tiefes Wohlgefühl durchströmte mich.
*
Dilettantismus des Geschmacks: Bei Betrachtung von Landschaften fortwährender Vergleichs-Standpunkt. Wie es in der Musik heißt, daß der ein Dilettant sei, der beim Anhören eines Musikwerks in lauter Reminiszenzen aufgeht.
*
Ihr wißt ja alle nicht, was Schaffen heißt. Ein Bild malen, ein Gedicht machen? Nein! Seine ganze Zeit umgestalten, ihr das Gepräge seines Willens aufdrücken, sie mit seiner Schönheit erfüllen, sie überwältigen und unterwerfen mit seinem Geiste.
*
Der Krug des Nichts, aus dem alle Künstler schöpfen.
*
Schopenhauer nennt das bloße intellektuelle Anschauen die höchste Seligkeit, weil hier der schaffende Wille ganz schwiege. Als ob Schauen nicht schon Schaffen wäre!
*
Den Ästhetikern:
Zeigt Wege der Zukunft, aber beschwört nicht ewig die Toten gegen uns.
*
Vor einer roh gefügten Gebirgsbach-Brücke:
So müßte sich jeder Architekt vor die roheste natürlichste Form der Menschenarbeit hinstellen und an diesen Balken und Brettern seine ersten Kunstgedanken auslassen. Er sollte so von Anfang an die Kunst als Bedürfnis empfinden müssen und würde so gewiß zu originellen Gedanken gelangen, deren Regulativ dann das Studium der Vergangenheit sein könnte.
*
Der erste Schnee! Mein erster Gedanke war die ehrsame Zunft der Lyriker, die in deine Flocken starrt, dich grüßend zu besingen. Welche Dekadenz, diese unpoetische Reflexion über deine himmlischen Dekadenzen, lieber trauter Schnee.
*
Es ist eigentlich eine Ungerechtigkeit, daß der Dichter nicht – gleich dem Musiker – den Teilen seiner Werke hinzufügen darf, in welchem Tempo er sie genommen wissen will.
*
Das losgerissene Segeltuch des kleinen Dampfers (vor meinem Fenster), das mit seinem freien Ende im Wasser liegt, so daß es für den stärksten Windstoß zu schwer wird, es als Fahne auszurollen: Bild für ein Künstlerschicksal.
1897
Als ob Kunst nicht auch Natur wäre und Natur Kunst!
1901
Wer wird dieses Drama der Freude dichten: mit stillen großen Menschen, die das Ja- und Amen-Lied im Herzen tragen, das Drama des Mittags, der Sonnenhöhe, ›da alle Dinge rund und vollkommen‹ geworden sind.
*
Was soll uns Tragödie heißen und als tiefste Erregung von der Bühne herab gelten? Die Darstellung des wahrhaft bedeutenden Menschen, der immer eine tragische Erscheinung ist, weil in allem menschlich Großen neben der großen Freude auch der große Schmerz wohnt, weil in jedem ungemeinen Schicksal das Ja und das Nein allen Lebens wie aus zwei Posaunen erklingt, weil der große Mensch eine Abbreviatur des ganzen Weltgeheimnisses ist. Die Tragödie ist der tiefe Gesang vom Wesen der Welt, und ihm von Zeit zu Zeit erschüttert zu lauschen unser Ewigkeitsdienst in all dem uns überbrausenden Alltag.
1905
Wohl alle Kunst ist bis zu einem gewissen Grade unmännlich, besonders aber Dichten und Musizieren. Daher Nietzsches Vorliebe für Horaz als einen sehr männlichen Dichter, daher Lionardos Wunsch: vor allem als Mathematiker, Goethes: recht sehr als Staatsminister zu gelten.
*
Ich liebe die italienischen Kirchen und das Leben in ihnen. Ihr Geheimnis ist, daß sie nicht nur selber Kunstwerke sind, sondern auch alles Leben, das sich mit ihnen vermählt, zum Kunstwerk machen, indem sie es zu einem Bilde abtönen und feierlich umrahmen. Betritt die schlimme römische Sinnenfängerin Gesù, wann immer du willst, oder die ehrwürdige Ara Coeli oder die stattliche Maria Maggiore; welche Gruppen, Gesten, Mienen, welche gehaltenen und tiefen Ausdrücke des Individuums, welche stets bedeutenden Bilder ! Gewiß, alles, was die Menschen zu einem bestimmten Zwecke sammelt, vereinigt sie so mit sich zu einem Kunstwerk: die Markthalle, der Bahnhof, die Kaserne, das Schiff, eine Straße, ein Kornfeld im Herbst – aber wohl nichts bietet so die Gewähr eines künstlerisch abgeschlossenen und abgerundeten natürlichen Lebensgemäldes, wie die Kirche, nichts distanziert sich und seine Gemeinde mit soviel Glück vom kunstarmen Alltag wie sie.
*
Es gibt vielleicht keine glücklichere Manier, als alle Dinge vom Standpunkt des Malers aus zu betrachten.
*
Für Porträtmaler.
Wer einen Menschen recht erfassen will, muß ihn sehen, wenn er vom Schlaf aufwacht, mit wirrem Haar, die Züge und Glieder noch halb gelöst, noch halb unbewacht. Da ist er noch der Mensch ohne Namen, ohne Beruf – wenn auch mit all dem Bedeutenden, wodurch ihn das Leben bereichert hat. Zudem gibt es nichts, das malerischer wäre, als ein Mensch in Trikot oder langem, fließendem Hemd, ein Mensch bei den Bewegungen des Waschens, beim Abtrocknen nach dem Bade, beim Kämmen und Bürsten der Haare. Auch gebe ich allen Bildhauern und Aktmalern den Rat, ihre Modelle einmal einen geräumigen Krug mit beiden Armen unter die geöffnete Brause emporhalten zu lassen. Es ergeben sich da durch die zunehmende Schwere des Krugs eine Reihe interessanter und charakteristischer Phasen, von der ungezwungensten Pose bis zur angespanntesten.
Читать дальше