Wir werden uns, vielleicht, JEDE FRAU IST ANDERS, ich werde mir eine Milchpumpe gekauft haben. MUUHH, werde ich hören, wenn ich davon erzähle, und mich fühlen wie eine Kuh, wenn die Muttermilch in den Trichter, durch die Membran, den Schlauch (wir werden die Reinigungsanleitung sehr genau gelesen haben) in das Fläschchen tropft, ich werde mir TROPFEN FÜR TROPFEN ein bisschen Freiheit, ein Abend, eine Nacht alleine bei einer Veranstaltung zum Beispiel. Ich finde das so cool, dass du das machst , werde ich hören, ich wünschte, ich hätte das auch gemacht , werde ich hören, ich könnte das nicht , werde ich hören, alles hängt vom Partner ab , werde ich hören, du hast einen guten Partner , ich werde mit prall und praller werdenden Brüsten mit meiner Milchpumpe in der Handtasche ein Bier trinken und eine Zigarette rauchen, ich werde natürlich! alles zum Abbau von Alkohol und Nikotin im Körper gelesen haben, und falls mich wer fragt, werde ich sagen (ich werde kaum übertreiben): Ich habe eh einen Liter Milch abgepumpt .
ODER: Ich werde mit meinem Baby auf eine Party gehen, werde mein Baby im Arm halten, während ich alkoholfreies Bier trinke, ich werde endlich ein alkoholfreies Bier gefunden haben, das mir schmeckt, ich werde sehr viel alkoholfreies Bier trinken, wegen der Kalorien, ich werde so viel Schokolade essen wie noch nie ( nicht Hungern, aber auch keine Völlerei , haben wir gelesen, ABER). Ich werde den anderen Müttern dabei zusehen, wie sie die Kinder zusammenpacken und nach Hause gehen, werde beobachten, wie nur mehr die Männer übrig bleiben, wie die Männer zusammensitzen und Bier trinken (die meisten haben in der Schwangerschaft aufgehört zu rauchen, IMMERHIN), ich werde auch nach Hause gehen, mich mit dem Baby ins Bett legen, während mein Mann –
Lassen Sie sich auf die Rolle ein , haben sie uns gesagt, die Zeit vergeht so schnell . DIE ZEIT, wir werden uns entschließen, uns in dieser Zeit auf das Kind zu konzentrieren, BIS ZUM KINDERGARTEN, wir werden in dieser Zeit nicht schreiben (oder was immer es ist, das uns treibt), weil Schreiben ALLES fordert ODER: Wir werden um sechs, halb sechs, um fünf, wir werden, wenn es sein muss um vier Uhr in der Nacht nach dem Stillen aufstehen, UNS DAVONSTEHLEN, wir werden das Kind im Bett bei Papa, das Kind nicht im Bett schlafen lassen , haben wir gelesen, ABER in unserem Bett riecht es nach uns, auf keinen Fall, wenn Sie etwas getrunken haben , außer also wenn der Papa was getrunken hat, wir selbst würden uns nie – DAZU GIBT ES STUDIEN! – auf unser Baby drauflegen im Schlaf, wir werden das Kind also guten Gewissens im Bett bei Papa ODER, wenn der Papa nicht da ist, wenn der Papa in den meisten Fällen arbeiten geht, wenn es vielleicht! gar keinen Papa gibt, allein im Bett – das Bett riecht nach uns – lassen, wir werden koffeinfreien UND koffeinhaltigen Kaffee trinken, wir werden VIELLEICHT – wir haben gelernt, nachsichtig mit uns zu sein, wir haben gelernt, wir lernen: MUTTER zu sein – den einen oder den anderen Text zu Ende schreiben UND: Das ist erst der Anfang.
Franziska Hauser
WECHSELJAHRE TREFFEN AUF PUBERTÄT, TREFFEN AUF LOCKDOWN UND ERINNERN AN MAUERFALL
Mit 25 Mutter, mit 50 Großmutter und mit 75 Urgroßmutter. So lief es wie ein zuverlässiges Uhrwerk bei meiner Großmutter, meiner Mutter und mir.
Mit 46, schon schiebe ich jetzt meine Enkeltochter im Buggy zum Wochenmarkt und muss aufpassen, nicht zu platzen vor Stolz, wenn sie Oma sagt.
Sie ist die Tochter meines Sohnes, den ich mit 25 bekommen habe.
»Warum kriegt man Kinder?«, fragt meine sechzehnjährige Tochter. Sie will einen vernünftigen Grund hören, aber mir fällt keiner ein. Mir fällt nur ein, dass ich damals, als mein Sohn geboren war, beschloss zu warten, bis ich das zweite Kind wieder genauso sehr wollen würde wie das Erste. Ich wollte die Erfahrung, das erste Kind zu bekommen, zweimal haben. Nach dreieinhalb Jahren war es so weit. »Warum ich das wollte, kann ich dir echt nicht sagen, nur dass es total dringend war.« Meine Tochter ist nicht zufrieden mit der Antwort. Momentan ist sie sowieso mit gar nichts zufrieden. Meine Antwort hält sie für so einen ausweichenden Mama-Text, den ich mir für komplizierte Fragen zurechtgelegt habe. Anstatt die Sache einfach mal klarzustellen, versuche ich nur irgendwie rüberzubringen: keine Ahnung, hab dich lieb.
Vielleicht spürt sie dieses tickende familiäre Uhrwerk ablaufen, wonach sie in neun Jahren dran wäre. »Was denkst du denn, warum man Kinder kriegt?«, frage ich. Im Gegensatz zu mir, muss sie nicht lange nachdenken: »Na, weil man nicht allein sein will.«
In Gesprächen mit Freunden hatten wir immer wieder Erklärungen fürs Kinderkriegen gefunden. Zum Beispiel das Bedürfnis Prioritäten zu setzen, um herauszufinden, was wirklich von Bedeutung ist im Leben. Aber, nicht allein sein zu wollen, erschien mir jetzt der dringendste Grund von allen. Aus dem Mund meiner sechzehnjährigen, im Homeschooling gefangenen Tochter war es jetzt auch der traurigste Grund. »Naja und man will wissen, wie es aussieht und ob es so ist wie man selber«, sagt meine Tochter noch.
Als ich mit 20 und mit 23 schwanger war, wurde mein Wunsch nach einem Kind nach zwei Fehlgeburten immer dringender. »Du musst deine Füße erstmal richtig in die Erde stecken, Mädchen«, sagte mir ein Heilpraktiker, »du bist ja selber noch gar nicht richtig angekommen«, und verschrieb mir einen Kräutertee, der mir offenbar half, Wurzeln zu bilden.
Aus blinder Verliebtheit wissen zu wollen, wie unser Kind aussehen würde, wäre 15 Jahre später beinahe nochmal ein Grund gewesen, als ich mich vom Vater meiner Kinder getrennt und meinen jetzigen Mann kennengelernt hatte. Glück vermehrt sich durch Teilung. Manchmal durch Zellteilung. Aber dafür waren meine Füße schon zu tief in der Erde. Dafür war ich schon zu sehr angekommen in der Welt, in der Gesellschaft und der Alltagsrealität. Zu vernünftig für so etwas Unvernünftiges wie Kinderkriegen.
Mein Sohn hatte die erste Freundin und langsam verschoben sich die Prioritäten. Ich wurde nicht mehr so sehr gebraucht, nicht mehr rund um die Uhr. Mein Körper gehörte wieder mir, wurde nicht mehr eruptiv beschlagnahmt. Mein Kopf durfte sich wieder eigene Gedanken machen, musste keine Kinderfragen mehr verstehen, die ja bekanntlich die kompliziertesten sind.
Auch heute noch sind die Fragen meiner Tochter kompliziert, obwohl wir einander viel nähergekommen sind, was den Intellekt betrifft. Auch die Arbeitsteilung im Haushalt funktioniert endlich. Aber wir entfernen uns in unseren Interessen und der körperlichen Nähe. Nur auf den Haaransatz lässt sie sich noch küssen und manchmal umarmen. Füße massieren, auch erlaubt.
Als meine Tochter 15 wurde, begann eine Pandemie und alles änderte sich. Als ich 15 wurde, gab es einen Mauerfall und alles änderte sich. Meine Mutter war in den Wechseljahren wie ich jetzt. Im Neuorientierungs-Chaos der Nachwendezeit hatten viele DDR-Mütter ihre jugendlichen Kinder vorübergehend komplett vergessen, und ich musste allein klarkommen mit der Freiheit, die bis dahin so begrenzt war in unserem kleinen sicheren Land, von dem ich meiner Tochter jetzt zu erzählen versuche: Damals, als es noch normal war, dass Frauen nicht erledigt waren, wenn sie ohne Ernährer Kinder bekamen, war es eine alberne Vorstellung, dass Mütter im Westen noch an den Herd gestellt wurden. Das kam mir so infantil vor wie ein Mutter-Vater-Kind-Spiel im Kindergarten. So war das doch zu Hause nicht wirklich, oder?
Als ich einen neuen Westberliner Schulfreund nach der Arbeit seiner Eltern fragte, nannte er nur den Job seines Vaters. »Und deine Mutter?«, fragte ich. Er sah mich irritiert an »Meine Mutter? Was soll sie arbeiten?« Unfassbar für mich, dass ein erwachsener Mensch nicht arbeitete. Offenbar hatte ich da irgendetwas ganz Entscheidendes nicht geschnallt.
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