Was ich von meinem Mann höre: Ich glaube, wir sollten fahren.
Was ich antworte: Es ist noch nicht schlimm. Es ist erst der Anfang. Ich muss aufs Klo. Ich habe Hunger.
Was wir schon gehört haben: dass manche Frauen vor der Geburt einen Einlauf wollen, damit der Kot nicht zugleich mit dem Kind – SCHERZ, weil es ihnen unangenehm ist, wenn sie während der Geburt kacken, unangenehm vor den anderen, habe ich gedacht. Was bei mir wieder rauskommt, OBEN: das Essen. Was wir gelernt haben: dass man ins Krankenhaus fahren soll, wenn die Wehen regelmäßig alle fünf Minuten kommen.
JEDE GEBURT IST ANDERS, ABER.
Was wir gelernt haben: dass die Wehen im Krankenhaus häufig wieder aufhören, im Auto schon alle zwei Minuten, im Krankenhaus wieder Pause, ein Urinstinkt, das Krankenhaus ist der Säbelzahntiger, vor dem wir auch während der Geburt flüchten können müssen, sonst wären wir schon AUSGESTORBEN, der Säbelzahntiger ist ein kleiner Aufnahmeraum, der Säbelzahntiger ist ein CTG, der Säbelzahntiger piepst piepst piest, der Säbelzahntiger, das sind die drei anderen Frauen, die draußen (NICHT!) schreien, die Ärzte, die ein und aus gehen und kritische Blicke auf das CTG werfen und ich: kann nicht flüchten.
Was die Hebamme sagt: Sie dürfen die Maske abnehmen.
Wie der Corona-Test war, werden sie mich fragen (später), ob es sehr unangenehm, JA, unangenehm , werde ich sagen, aber IM VERGLEICH ZU EINER GEBURT, ich werde lachen (später).
Was die Hebamme sagt: Die Herztöne des Kindes sind höher, als sie sein sollten.
Was mein Mann sagt (SPÄTER!): Die Wehen waren höher als die Skala am CTG.
Was die Hebamme fragt: Warum sind Sie so unruhig? Wie können Sie sich beruhigen? Sie müssen sich beruhigen, die Herztöne müssen runter, SONST.
Die Atmung, haben wir gehört, DIE ATMUNG, einatmen, haben wir gehört, und ausatmen, durch den Mund ausatmen, lange ausatmen, haben wir gehört, die Wehe ausatmen, durch die Wehe durchatmen, die Wehe wegatmen, UNMÖGLICH, ich werde mich erinnern (später), wie sehr ich mich konzentrieren muss, mit aller Kraft muss ich mich konzentrieren, trotz der Wehe ruhig zu bleiben, zu atmen, einatmen, ausatmen, einatmen, lange AUSATMEN, während mein Mann auf das CTG starrt, während es mir kalt über den Rücken läuft, wie ein Fieber, wie eine Vergiftung, werde ich sagen, wie damals bei der Lebensmittelvergiftung, werde ich erzählen (später), wie ein Kreislaufkollaps, denke ich in dem Moment, ganz ruhig atmen, bis die Welle vorbei ist und ich mich übergebe, das erste Mal auf den Boden und dann in die Nierenschüssel. Was die Hebamme sagt: dass bei Frauen, die sich übergeben, der Muttermund schneller aufgeht, ALSO: ganz ruhig bleiben, atmen, kotzen, atmen, kotzen, bis die Herztöne ruhig werden, bis die anderen Frauen entbunden haben, bis die Ärzte OK sagen zum CTG, es ABHAKEN. Ganz ruhig atmen, bis die Wanne wieder sauber, bis das Wasser warm ist. Ich muss aufs Klo, sage ich zum letzten Mal. Die Hebamme schüttelt den Kopf, die Hebamme wird zwischendurch, wird immer wieder den Kot, das Blut aus der Wanne fischen, später, wenn sie wiederkommt. Was sie sagt, bevor sie uns alleine lässt: Jammern Sie. Jammern hilft.
WIR WERDEN DIE SCHMERZEN VERGESSEN HABEN.
Was mein Mann mir erzählt, später: dass die andere Hebamme, die den Dienst um Mitternacht übernimmt, die Augen verdreht, als sie mich schreien hört, schreien sieht, meine Augen sind geschlossen, das Wasser ist warm, warm um mich in den Pausen, warm, ich floate, warm, das Dopamin, die Entspannung bis zur nächsten Wehe, Welle, SCHREIEN HILFT.
Die Zeit, haben wir gehört, wird schnell vergehen und gleichzeitig langsam, die Zeit vergeht in Wellen, ES WIRD EIN RAUSCH GEWESEN SEIN, der Muttermund, sagt die Hebamme nach einer Stunde, MEIN MANN SCHAUT AUF DIE UHR, der Muttermund ist zehn Zentimeter offen (das Maximum) und irgendwas mit PRESSEN, dass es ohne PRESSEN nicht geht, haben wir gehört, dass ich aufhören soll zu SCHREIEN, den Mund zumachen, höre ich, und nach unten pressen, NACH UNTEN PRESSEN, sagt die Hebamme, sagt mein Mann, ich will nicht, will nicht nach FUCKING unten pressen, RICHTUNG AFTER, sagt die Hebamme, ich will nicht Richtung After pressen, ich will überhaupt nicht pressen, ICH SCHAFF DAS NICHT, schreie ich, ES REISST, schreie ich, da reißt nichts, sagt die Hebamme, da ist alles GANZ WEICH, sagt die Hebamme, ganz weich, denke ich, fühlt sich ganz anders an, ABER: ICH PRESSE, schreie ich, ICH PRESSE JA SCHON, ICH PRESSE, wenn es sein muss RICHTUNG AFTER. Was wir gelesen haben: dass manche Frauen froh sind, wenn sie in der Austreibungsphase endlich pressen können. Was ich denke: einmal und nie wieder.
WIR WERDEN DIE SCHMERZEN VERGESSEN HABEN, SONST.
Dass die Wehen plötzlich zu kurz sind, hat mir niemand gesagt, und wie es sich anfühlt, als ich etwas spüre, eine Kugel, der Kopf, denke ich, der immer wieder nach vorn, der immer wieder zurück, ich presse, immer wieder nach außen, immer wieder nach innen, ich presse mit aller Kraft, ich denke, denke wörtlich: DAS GIBT’S JA NICHT. Ich gehe in die Hocke, DAS MUSS DOCH GEHEN, ich presse, ich höre die Hebamme sagen: ZUR GEBURT BITTE.
NA ENDLICH, denke ich, ich presse, NOCH EINMAL, GEHT’S NOCH EINMAL, ruft die Hebamme, warum sind die Wehen plötzlich so kurz, ich presse, noch einmal, noch einmal, schnell noch einmal, bevor die Wehe wieder, ich spüre den Kopf, die Wehe ist aus – AUFSTEHEN! – ich stehe, Wasser rinnt, eine Hand dort unten, eine Hand am Bauch, die Wehe kommt, ich presse, ES FLUSCHT AUS MIR HERAUS.
Dass Babys direkt nach der Geburt ganz wach sind, lese ich (früher oder später) und dass sie instinktiv nach der Brustwarze suchen.
Hallo, sage ich, hallo du!
Mach ein Foto, sage ich zu meinem Mann.
Danke, sage ich zur Hebamme.
Manche Frauen wissen genau, was sie zu tun haben, haben wir gelesen, habe ich gehört, sage ich zur Hebamme, zum Arzt (zur Geburt hat er kommen müssen), aber ohne Hilfe, ohne Anleitung, ohne Anfeuerung, sage ich, hätte ich es nicht so gut geschafft. Vom Trend zur Alleingeburt haben wir gehört, vom Urvertrauen in den eigenen Körper haben wir gelesen, ich habe mir aber im Internet keine Videos von allein im Wald gebärenden Frauen angeschaut, ich habe mir überhaupt keine Videos von gebärenden Frauen angeschaut, warum eigentlich nicht .
Was wir vor der Geburt gelernt haben: Dammriss, Dammschnitt, Dammmassage, GEBURTSVERLETZUNGEN, GENÄHTWERDEN, Heublumendampfbad, Himbeerblättertee. Ich höre die Hebamme sagen: Nichts ist gerissen, nur die Schamlippen sind aufgeschürft. Es wird ein bisschen brennen, später.
Ob er die Nabelschnur durchschneiden will, fragen sie meinen Mann.
Ob ich nochmal pressen kann, fragt die Hebamme, kein Problem .
Ob ich die Plazenta sehen will, sicher .
Dass die so groß ist, hat uns niemand gesagt. Dass manche sie mit nach Hause nehmen wollen, haben wir gehört, vergraben oder verkochen und essen, haben wir gehört, ein MUTTERKUCHEN.
Dass ich im Krankenhaus bleiben soll, eine Woche empfiehlt der Arzt, ich schüttle den Kopf, zumindest zwei Tage empfiehlt der Arzt, um eine Übertragung der Streptokokken auf das Baby auszuschließen (zum Beispiel), sonst müssen Sie in zwei Tagen wiederkommen .
Ob sie mir das Baby kurz abnehmen dürfen, fragen sie, OK .
Ob ich aufstehen kann, fragen sie, natürlich! Ich steige aus der Wanne, aus dem Kot, aus dem Blut, wie Daenerys Targaryen, First of her Name, the Unburnt, Queen of und so weiter nach ihrer ersten Feuertaufe, nur ohne Drachen, mein kleiner Drachen –
kleiner Schatz werden wir sagen, Spatzi werden wir sagen, kleine Maus und so weiter, später –
mein Baby, mein Kind, es wird gewogen, gemessen.
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