»Wie vorhin in dem Theaterstück?«
Merridew nickte langsam und mit geschlossenen Augenlidern. »Ganz genau so. Augenscheinlich ein Raubüberfall. Ein paar belanglose Dinge wurden gemopst, nichts Auffälliges. Es stand in allen Zeitungen. Wundert mich, dass Sie sich nicht erinnern. Sein Name war Professor Phileas Ponsonby.«
Der Klang dieses Namens löste eine vage Erinnerung in mir aus. »Oh ja, doch. Da waren vor Wochen ein paar Schlagzeilen! Ein Professor … So wie der … Wie war noch mal der andere Name, den Sie vorhin nannten?«
»Archibald Benjamin Carruthers.«
»Ha!«, rief ich laut. »ABC! Die Initialen aus den drei Annoncen!«
Ein paar der umstehenden Gäste drehten die Köpfe nach uns um.
»Fein, mein lieber Nigel, fein!«
Fehlte nur noch, dass er mir zur Belohnung ein Zuckerstückchen gab.
»Waren die beiden Kollegen?«, fragte ich.
»Ponsonby war emeritiert. Ein steinaltes Gerippe, das mit seiner Frau in Oxford lebte, aber alle paar Wochen in einer kleinen Wohnung in Nottingham weilte, wenn er dort an der Uni zu Gastlesungen eingeladen war.«
»Aber wer ist dieser Gonzago?«
Merridew hielt den Kopf schief und sah mich betrübt an, so wie ein Vater sein Kind betrachtet, wenn er feststellen muss, dass er im Begriff ist, einen hoffnungslosen Dummkopf großzuziehen. »Unser großer Dichter Shakespeare hat uns so viele wunderbare Werke hinterlassen. Endlos üppig blühende Literatur, aber bei Ihnen ist diese Saat samt und sonders jämmerlich vertrocknet. Im Drama Hamlet gibt es eine Schauspieltruppe am Hofe, die ein Stück aufführt …«
»Ich weiß, ich weiß!«, rief ich, um die Scharte auszuwetzen. Fast hätte ich mit dem Finger geschnippt. »Das Stück im Stück! Die Schauspieltruppe zeigt auf der Bühne einen Mord. Einem schlafenden Mann wird Gift ins Ohr geschüttet … oder so ähnlich. Hamlet will dem König mit dem Stück vor Augen führen, dass er weiß, dass der König seinen Bruder, Hamlets Vater, getötet hat, um an dessen Frau und den Königsthron zu kommen. So war es doch, oder?«
Merridew wackelte halbwegs zufrieden mit dem Kopf. »Kann man gelten lassen. Und wie hieß der Mann im Stück, der Ehefrau und Leben verlor?«
»Äh … hm …«
»Gon… Gon… Na?«
»Gonzago!«, jubelte ich.
»Und das Stück, das die Truppe im Hamlet aufführt heißt Die Ermordung des Gonzago , aber Hamlet nennt es dem König gegenüber Die Mausefalle !«
»Was Sie nicht sagen!«
»Oh ja.« Er trank den Champagner aus und schmatzte genüsslich.
In diesem Moment schrillte irgendwo eine Klingel. Das war das Zeichen, dass in Kürze die Pause zu Ende gehen würde. Das Publikum leerte die Gläser und setzte sich langsam in Bewegung, um rechtzeitig zum zweiten Akt wieder im Saal zu sein.
»Also gut«, fasste ich zusammen. »Jemand weiß etwas über den Mörder von Professor Ponsonby und veröffentlicht wöchentlich Annoncen, in denen er sein Wissen andeutet. Ich nehme an, die Zitate stammen aus dem Hamlet?«
»Ganz recht, alles aus der Ermordung des Gonzago.«
»Aber diese Botschaften kann doch nur jemand richtig deuten, der sich mit den Werken Shakespeares auskennt. Also besser als ich jedenfalls.«
Merridew stieß ein polterndes Lachen aus. »Jedermann kennt sich besser mit Shakespeare aus als Sie, mein lieber Nigel!«
»Na, also bitte …« Ich versuchte mich zu sammeln. Das war jetzt nicht der Zeitpunkt für Empfindlichkeiten. In wenigen Minuten mussten wir wieder hinein, und dann würde ich auf die Auflösung dieses Rätsels bis nach dem Stück warten müssen. »Diese Annonce kann aber andererseits nur jemand verfassen, der sich ebenfalls mit Shakespeare auskennt … Aber halt, Sie sagten vorhin, dieser Archibald Benjamin Carruthers sei Professor für Englische Literatur am Merton College. Sagen Sie bloß, der tote … wie hieß er noch … Ponsonby! Unterrichtete er ebenfalls …«
Merridew schüttelte den Kopf, bevor ich die Frage zu Ende stellen konnte. »Physiker. Und zwar einer von der ganz staubtrockenen Sorte, wenn man den Nachrufen in den Zeitungen glauben kann.«
Ich stieß einen entmutigten Seufzer aus.
»Vorhin stellten Sie aber ein andere kluge Frage, mein Freund«, sagte Merridew mit einem aufmunternden Lächeln.
»Wirklich?«
»Ja, Sie fragten, was der Verfasser mit seinen Annoncen bezweckt.«
»Ja, genau! Das ist doch die Frage. Er verlangt kein Geld!«
»Also?«
»Er will Druck ausüben?«
»Richtig!«, rief Merridew laut. »Stellen Sie sich mal vor, Sie haben jemanden ermordet, und plötzlich prahlt ein Unbekannter ganz öffentlich damit, dass er über Sie und Ihre Untat Bescheid weiß. Wieder und wieder! Stellen Sie sich vor, was das in Ihnen auslöst!«
Ich versuchte es mir auszumalen, aber es gelang mir nur im Ansatz.
Merridew winkte mit einem lauten Brummen ab. »Sie können sich ja wahrscheinlich noch nicht mal vorstellen, einen Mord zu begehen.«
»Sie etwa?«
Er lachte laut auf. »Pausenlos! Bei Gelegenheit nenne ich Ihnen mal die endlos lange Liste meiner potenziellen Opfer! Seit heute Vormittag gehört übrigens auch ein amerikanischer Millionär dazu! Aber jetzt mal wieder zur Sache …«
Die Klingel ertönte ein zweites Mal. Der Raum um uns herum hatte sich bereits merklich geleert. Mühsam stemmte Merridew seinen schweren Körper aus dem Sessel in die Höhe. »Ich will Ihnen sagen, wer hinter den Annoncen steckt. Es ist kein Literaturwissenschaftler, sondern jemand vom Theater.«
Ich stand ebenfalls auf. Plötzlich kam mir etwas in den Sinn. »Augenblick mal, Merridew. Ich las in der Zeitung, wo Die Mausefalle in den letzten Wochen überall gastierte. Unter den Orten war auch Manchester! Und Newcastle! Und letzte Woche waren sie in Birmingham!«
»Ganz recht, Nigel, ganz recht. Überall dort, wo auch die Annoncen aufgegeben wurden. Aber vor allen Dingen fand die allererste Aufführung dieses Mausefallenstücks wo statt?«
Wo war das noch gewesen? Ich versuchte mich zu erinnern, was ich darüber gelesen hatte, und mit einem Mal fiel es mir wie Schuppen von den Augen: »In Nottingham!«
»Und zwar am 6. Oktober im Theatre Royal . Und nun will ich Ihnen auch noch verraten, dass das gesamte Ensemble in diesen Tagen im altehrwürdigen Black Boy Hotel logierte. Das beste Haus am Platze. Ein famoser alter Kasten, in dem ich auch schon ein paar Mal abgestiegen bin. Wenn man Pech hat, erwischt man allerdings eins der Zimmer, deren Fenster auf den finsteren, schmalen May Pole Yard hinausgehen. Und da hat man einen Ausblick auf die Rückseiten der Häuser an der Clumber Street. Und nun raten Sie mal, wo das Haus steht, in dem der unglückliche Professor Ponsonby sein Ende fand!«
»Etwa …?«
Er nickte mit einem Lächeln, wie es breiter nicht sein konnte.
»Sie meinen also, jemand aus dem Ensemble hat den Mord möglicherweise beobachtet?« Was mein Freund mir da berichtete, verschlug mir schier den Atem.
»So sieht es für mich aus, mein lieber Nigel. Und bevor Sie nun sagen: Aber wie kann jemand einen Mord begehen, ohne dass er sich vergewissert, dass die schützenden Vorhänge zugezogen sind, sage ich Ihnen: Solche Dinge passieren nun mal. Ich habe eine Vermutung. Denken Sie an die Botschaft in der dritten Annonce: Wie? Durch falschen Feuerlärm geschreckt? Sie kennen doch das Ärgernis mit dem zu feuchten Holz im Kamin, das erst stundenlang vor sich hinglimmt und gar nicht richtig brennen will. Und wenn es dann doch irgendwann ausreichend erhitzt und hinlänglich getrocknet ist, entzündet es sich häufig mit einem hellen Feuerschein in voller Gänze. Großes Pech für den Mörder, wenn er genau zu diesem Zeitpunkt sein Opfer in die Mangel genommen hat. Wie gesagt, es ist nur eine Möglichkeit von vielen.«
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