Obwohl wir uns gut gegen Manchester City, den FC Sevilla und Borussia Mönchengladbach geschlagen hatten, hielt man uns immer noch für Eindringlinge. Vom ersten Tag in Turin an ist es immer mein Ziel gewesen, Schritt für Schritt bis zum Viertelfinale des höchsten europäischen Wettbewerbs vorzustoßen. In einem Jahr läuft es gut, im nächsten möglicherweise schlecht, aber wenn du ins Viertelfinale einziehst, bedeutet das, dass du angekommen bist, dass du dich auf dem Niveau von Real Madrid, des FC Barcelona und des FC Bayern, also der einzigen Mannschaften, die seit 2013 die Champions League gewonnen haben, befindest.
Im Achtelfinale spielten wir als Erstes gegen den FC Bayern München.
Das Spiel wurde auf unserem Spielfeld ausgetragen und fand in einem für uns sehr günstigen Moment statt. Es war Ende Februar, wir hatten gerade eine Phase hinter uns, in der ein Sieg auf den anderen gefolgt war. Das ließ uns die berühmt-berüchtigte Niederlage von Sassuolo endgültig vergessen, auch wenn wir vor dem Hinspiel gegen die Deutschen in Turin durch ein 0:0 gegen den FC Bologna gestoppt wurden. Zuvor hatten wir den SSC Neapel geschlagen, waren an die Spitze der Qualifikationstabelle der italienischen Meisterschaft gerückt und hatten uns im Hinspiel des Coppa-Italia -Halbfinales mit 3:0 gegen Inter Mailand durchgesetzt. Seit der Weihnachtspause hatten wir 19 Tore geschossen und nur ein einziges in Genua von Antonio Cassano beim Sieg über Sampdoria Genua kassiert.
Josep Guardiolas FC Bayern war natürlich ein Gegner, der aus einem anderen Holz geschnitzt war, doch wir hatten großes Vertrauen und bereiteten uns ganz gelassen auf das Spiel vor. Im Wesentlichen konzentrierten wir uns bei Mario Mandžukić auf die flachen Bälle, der sich je nachdem, wie sich die Aktion entwickelte, entsprechend auf dem Spielfeld bewegen musste. Das war nicht unbedingt ein genialer Einfall, es war schlicht die Basis unseres Spiels.
Nun, in der ersten Spielzeit funktionierte es überhaupt nicht. Und wenn ich „überhaupt nicht“ sage, meine ich das auch genau so. Meine Jungs waren viel zu zaghaft. Es war ein einziger Albtraum! Arjen Robben, Douglas Costa, Thiago Alcántara, Arturo Vidal und David Alaba kamen von allen Seiten. Sie griffen uns an, und wir kamen über die Mittellinie nicht hinaus. Woran sich viele Fußballfans jedoch nicht mehr erinnern, ist, dass wir ihr Tor erst gegen Ende der ersten Halbzeit kassierten, ich glaube sogar erst in der 43. Minute. Dieses Tor von Thomas Müller habe ich noch nicht einmal gesehen. Denn da war ich schon seit ein paar Minuten damit beschäftigt, mir zu überlegen, was ich meinen Jungs sagen sollte und wie ich es tun sollte. Denn es war klar, dass wir, wenn wir so weiterspielen würden, nicht mehr lange standhalten konnten. Ach ja, ich vergaß noch zu erwähnen, dass sich dann auch noch Claudio Marchisio verletzte.
Das Problem war, die richtige Kommunikationsweise zu finden. Sollte ich brüllen wie damals, als ich als Trainer des AC Mailand in Lecce vor drei in der ersten Halbzeit kassierten Toren stand, oder sollte ich den Spielern die Möglichkeit geben, sich abzureagieren. Viele denken, dass einem Trainer eine Viertelstunde zur Verfügung steht, um mit seiner Mannschaft zu sprechen. Doch ich sage euch aus Erfahrung, dass er nicht mehr als drei Minuten hat. Du kannst dich mit so vielen Tafeln dort hinstellen, wie du willst – man hat mir auch schon erzählt, dass manche Trainer bereits Videos parat haben, um die Megafehler zu zeigen –, doch es sind und bleiben drei Minuten.
Ich blickte den Jungs in die Augen und sah dort mehr Frust als Hoffnungslosigkeit. Es war nicht dieser Pessimismus, der dich in der zweiten Halbzeit negativ beeinflussen kann. Ich verrate euch jetzt noch nicht, was genau damals in der Umkleide geschehen ist. Das will ich erst im Zusammenhang mit einer weiteren Regel tun, nämlich dass man sich bei Mitteilungen an die Spieler auf das Wesentliche beschränken sollte. Ich will nur erwähnen, dass ich ganz ruhig zu sprechen begann und dabei – wie ich das immer schon getan habe – einfache Konzepte zu vermitteln versuchte.
In der zweiten Halbzeit eroberten wir nach und nach das Spielfeld zurück, doch nach einem Ballverlust gelang es der Mannschaft nicht, den Konter des FC Bayern zu stoppen, der dann mit dem zweiten Tor für die Bayern – von Arjen Robben – endete. Es war ein typisches Robben-Tor, von der Außenbahn nach innen gezogen: Im Laufe seiner Karriere hat er vermutlich schon Hunderte von Toren auf diese Weise geschossen. In diesen Momenten, in denen es im Stadion still wird und du spürst, wie die Stimmung unter den Gefrierpunkt sinkt, ist es sehr wichtig, den Jungs Mut zuzusprechen, denn vor einem 0:2 zu stehen gegen einen sichtlich stärkeren Gegner, ist nicht so ganz das, was man sich von einer Mannschaft erwartet, die im Jahr zuvor das Finale der Champions League bestritten hatte.
Schon als Jugendlicher habe ich jedoch eine Entscheidung getroffen: Lass dich niemals von Negativität oder von Pessimisten beeinträchtigen, da sie dir nur Energie rauben und sich dies letztlich auf deine Arbeit auswirken wird. Als die Jungs das Mittelfeld zurückeroberten, habe ich genau „gesehen“, wie sich dieses Spiel entwickeln konnte. Ich hatte Vertrauen, da wir endlich den Ball halten konnten und vor allem die direkten Zweikämpfe gewannen. Und tatsächlich, nach etwa zehn Minuten kam der Ball in unsere Angriffszone, Mario Mandžukić gewann einen Zweikampf und lieferte Paulo Dybala die Vorlage zum 1:2. Paul Pogba gewann einen weiteren Zweikampf, und durch eine großartige Mannschaftsaktion kam es zum Ausgleich durch Stefano Sturaro.
Lass dich niemals von Negativität oder von Pessimisten beeinträchtigen.
Angesichts eines 2:2 gibt es sicherlich keinen Grund zum Jubeln, aber so, wie sich die Dinge entwickelt hatten, war es ein fantastisches Ergebnis für uns. Und ich war sehr zufrieden, da ich den Spielern ein Konzept vermitteln konnte und sie es nicht nur übernommen, sondern auch während der gesamten zweiten Halbzeit in die Tat umgesetzt hatten. Wenn ich heute daran zurückdenke, was damals beim Rückspiel geschah, kann ich sagen, dass es, egal welche Anweisung du gibst, keine Garantie dafür gibt, dass dies automatisch auch zum erhofften Ergebnis führt – selbst dann, wenn die Mannschaft diese Anweisung verstanden und in die Tat umgesetzt hat. Denn im Fußball gibt es auch die Variable eines unvorhergesehenen Fehlers, den sogar ein erfahrener Spieler wie Patrice Evra machen kann – und der kostet dich dann unter Umständen die Qualifikation.
All dies bestätigt die Theorie dieses Arztes. Fußball ist also keine exakte Wissenschaft. Das war die Schlussfolgerung, die ich aus diesem Achtelfinale gegen Bayern München zog.
Ich schließe mit dem Gedanken ab, mit dem ich angefangen habe: Je schlechter der Tabellenplatz einer Mannschaft, desto eher findet man einen Spieler, der für sich allein spielt, um zu beweisen, dass er besser als seine Mitspieler ist. Das geht vollkommen gegen meine Philosophie der Einfachheit, denn, wer einfach spielt, stellt sich automatisch in den Dienst seiner Mannschaft. Mein Talent sollte mir dazu dienen, die Leistung des ganzen Teams zu verbessern, und nicht, um mich von ihm abzuheben. Und genau dadurch wird aus einem Champion ein echter Ausnahmespieler. Da die Einfachheit, wie schon mehrfach erwähnt, ein Konzept ist, das man sich nicht so leicht aneignet, ist es auch klar, dass es einem begabteren Spieler leichter fällt, „einfach zu spielen“, gerade weil es für ihn eher machbar ist. Ein schlechterer Spieler verliert sich jedoch häufig in egoistischen Aktionen, was kontraproduktiv für das Endergebnis sein kann.
An welchem Wochentag ist es gut, sich dieses Konzept in Erinnerung zu rufen? Instinktiv würde ich sagen: ständig und täglich. Wenn man jedoch einen speziellen Zeitpunkt nennen wollte, denke ich, dass man es an den beiden letzten Trainingstagen vor dem nächsten Spiel tun sollte. Genau in diesen sensiblen Momenten sollten Trainer und Mannschaft ihre Aufmerksamkeit besonders darauf richten, sich nicht in nutzlosen und sogar kontraproduktiven narzisstischen Aktionen zu verlieren. Die Perfektion einer Bewegung, eines Spielzugs oder einer konzertierten Mannschaftsaktion liegt in ihrer Natürlichkeit und sicher nicht in einer ununterbrochenen, oberflächlichen Suche nach Schönheit.
Читать дальше