Wenn man heute von Fußballtechnik spricht, werden kaum lineare Definitionen verwendet – zum Beispiel, was man unter dem „richtigen Pass“ zu verstehen hat. Stattdessen redet man lieber von „Diagonalen“ oder „Schemata“.
Ehrlich gesagt, mit Fußball hat das nichts zu tun, jedenfalls nicht, wie ich ihn verstehe! Fußball wird von Jungs gemacht, die in aller Freiheit und zum Vergnügen spielen, und ich werde richtig wütend, wenn ich sehe, wie man versucht, das Ganze zu verkomplizieren. Ich höre oft, wie man versucht, Fußball mit wissenschaftlichen Begriffen zu erklären. Das ist meiner Meinung nach völlig falsch, zudem vollkommen nutzlos und irreführend. Ein Spiel beginnt an einem bestimmten Datum zu einer bestimmten Uhrzeit und endet – abgesehen von Ausnahmefällen – nach zwei Halbzeiten von je 45 Minuten und einer Pause zwischendrin. Doch während eines jeden Matchs spielen viele andere Dinge eine Rolle. Wer uns glauben machen will, Fußball sei eine exakte Wissenschaft, wisse, dass er das nie sein wird, eben weil es in einem Spiel Tausende von Variablen gibt. Wie kann man nur denken, dass man in einer Sportart, in der 22 Spieler um einen Ball kämpfen, der mal hierhin und mal dorthin springt, ausschließlich mithilfe von Schemata gewinnen kann?
Man sollte nicht denken, dass man ausschließlich mithilfe von Schemata gewinnen kann.
Es gibt noch einen weiteren Gesichtspunkt zu berücksichtigen, und von diesem bin ich sogar richtig begeistert: Wenn ich meinen Spielern beibringe, dass sie den Ball den Spielern zuspielen sollen, die das gleiche Trikot tragen, und dass sie das Gegenteil dessen tun sollen, was ihre Gegner tun, ist es unvermeidlich, dass ich damit ihre Anpassungsfähigkeit und ihr Reaktionsvermögen herauskitzle. Und genau das wird zur großen Stärke einer Mannschaft, die weiß, wie man gewinnt. Man nennt dies „taktische Flexibilität“. Sie basiert auf einem einfachen Ansatz und nicht auf abstrusen Konzepten, die ebenso kompliziert zu unterrichten wie zu erlernen sind.
Was andere über mich sagen
Carlo Ancelotti
„Er ist ein großartiger Trainer, ihm gelingt es, aus jedem Einzelnen das Beste hervorzuholen. Er hat Erfahrung und ist praktisch veranlagt. Ich weiß nicht, ob wir irgendetwas gemein haben, aber ich bin sicher, dass er gute Fußballkenntnisse hat und diese zugunsten der ihm zur Verfügung stehenden Spieler einsetzt.“
Silvio Berlusconi
„Allegri? Der hat überhaupt keine Ahnung … Ich habe einen Tipp für ihn: Er sollte sich kämmen, bevor er Interviews gibt.“
Regel Nr.
3
„Einfachheit ist das Schwierigste von allem.“
„Je schlechter der Tabellenplatz einer Mannschaft ist, desto weniger spielen sich die Spieler den Ball zu, weil sie beweisen wollen, wie gut sie sind.“
Kehren wir noch einmal zur Einfachheit zurück. Als ich zur Schule ging, schätzte ich besonders die Lehrer, denen es gelang, mir Konzepte mit einfachen Worten begreiflich zu machen. Möglicherweise hatte ich am Nachmittag des Tages zuvor viele Stunden vergeblich damit verbracht, mir schwer zugängliche Theorien einzuprägen. Am nächsten Vormittag gelang es mir dann wundersamerweise, diese zu verstehen, und zwar dank einiger sehr fähiger Lehrer, die sie mit aller Einfachheit zu erklären wussten. Ich erinnere mich noch heute sehr gerne an sie.
Im Fußball Einfachheit zu unterrichten, ist das Schwierigste von allem. Durch sie kann man wichtige, grundlegende Konzepte – ohne die alles sehr viel komplizierter wird – verstehen und anwenden. Sie sind wie das Fundament: Wenn du es nicht solide baust, wirst du darauf nichts Stabiles errichten können. Es mag paradox erscheinen, aber im Fußball ist es folgendermaßen: Die echten Champions tun einfache Dinge. Im Kapitel zu Regel Nr. 2 bin ich auf meine Aversion gegenüber der Ansicht, Fußball sei eine exakte Wissenschaft, eingegangen und habe dabei betont, wie sehr unsere Welt von unvorhergesehenen Ereignissen beherrscht wird. In diesem Zusammenhang möchte ich euch von einem persönlichen Erlebnis berichten, um meine Denkweise verständlicher werden zu lassen. Vor nicht allzu langer Zeit war ich, wie es ab und zu vorkommt, zu einem Abendessen mit Akademikern eingeladen. Es waren also sehr gebildete, kulturbeflissene Leute zusammengekommen: Wissenschaftler, Professoren, Ärzte, anerkannte Fachleute. Ich gestehe, das ist nicht mein bevorzugtes Umfeld, da ich in Gegenwart von gebildeten Gesprächspartnern immer etwas zurückhaltend bin. Andere Situationen sind mir lieber, zum Beispiel, wenn ich meine Freunde treffe, wie es jede Woche nach einem Spiel der Fall ist. Denn bei dieser Gelegenheit sprechen wir ungezwungen, lachen und nehmen uns gegenseitig auf den Arm.
Ich spreche eigentlich sehr gerne, doch in formelleren Situationen gelingt es mir nicht, aus mir herauszugehen, und es fällt mir sehr viel schwerer, mich am Geschehen zu beteiligen. Doch bei einer Gelegenheit wie der eben beschriebenen ist es, da ich relativ bekannt bin, fast unvermeidlich, dass einer der Tischnachbarn früher oder später sein Spezialgebiet verlässt, um auf meines zu sprechen zu kommen. Zunächst sagt er vielleicht zu mir, dass er ein Fan der Fußballmannschaft sei, die ich gerade trainiere, oder er stellt mir zumindest Fragen zu diesem oder jenem Spieler aus meinem Team. Wir landen also, auch wenn der eine Ingenieur, der andere Physiker, der dritte Mathematiker und der vierte Architekt ist, fast immer beim Thema Fußball. Das verstehe ich auch, denn ich würde dasselbe tun: Wenn ich zum Beispiel mit Vasco Rossi bei einem Abendessen zusammensäße, wüsste ich auch gerne, wie der Song Sally (einer meiner Lieblingssongs) entstanden ist und welches Stück der großartige Rocksänger aus der Emilia am liebsten live singt.
Doch an jenem Abend verlagerte sich das Gespräch auf – zumindest für mich – interessantere Themen, und das fiel mir positiv auf. Ein junger Arzt, ein Onkologe, sagte irgendwann überraschenderweise zu mir, dass meine Arbeit schwieriger sei als die eines Wissenschaftlers, wie er einer sei, der wissenschaftliche Ergebnisse erzielen wolle. Und er stellte seine Ansicht sehr überzeugend dar: Für einen Fußballtrainer gebe es seiner Meinung nach sehr viel mehr Variablen. Vor allem aber sei es ein schwieriger Beruf, da ich mit Menschen, und nicht nur mit einem einzigen, sondern mit gut 25, zu tun habe und mich nicht auf irgendwelche wissenschaftlichen Methoden stützen könne, da man in meinem Forschungsgebiet sozusagen nichts reproduzieren könne.
Ich bedankte mich bei diesem Arzt sehr für seine Einschätzung und erwiderte, dass ich meine Entscheidungen oft intuitiv fällen würde und es tatsächlich keine Garantie dafür geben würde, dass sie immer zu denselben – positiven wie negativen – Resultaten führen würden. Die verrückten Variablen sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Lebens, und darin, dass er sie akzeptieren kann, unterscheidet sich ein Erwachsener von einem Kind. Wer hätte zum Beispiel je gedacht, dass ein erfahrener Spieler wie Patrice Evra (108 Einsätze bei Champions-League -Spielen) durch einen ganz banalen Ballverlust auf dem Spielfeld des FC Bayern München in der 91. Minute die Qualifikation wieder in Gefahr brächte, und das nach einer unglaublichen Aufholjagd?
An jene Wochen im Frühjahr 2016 erinnere ich mich noch sehr gut und sehr gerne, da in diesem Jahr von Saisonbeginn an alles Mögliche passierte. Auch im Rückblick bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass die damalige Juventus-Mannschaft, die dann letztlich im Achtelfinale der Champions League ausscheiden musste, sehr viel eher das Zeug dazu gehabt hätte, ins Endspiel zu kommen, als so manch andere Formation der Bianconeri, die vorher oder nachher kam. Das mag widersprüchlich klingen, dessen bin ich mir bewusst, da wir im Jahr zuvor ins Finale gekommen waren und auch im Jahr danach erst am Ende des letzten Akts verloren hatten. Doch diese zweifache Begegnung mit dem FC Bayern, der meines Erachtens auch stärker war als die Mannschaft, die den Wettkampf letztlich gewann, zeigte mir, dass wir auf dem richtigen Weg waren und dass Juventus Turin nicht als „Eindringling“ in die europäische Mannschaftselite gesehen werden durfte und das auch nie sein würde: Es war ein Team, das im Jahr zuvor per Zufall ins Finale gekommen war, das sich dann aber erneut mit widersprüchlichen Ergebnissen herumschlagen musste, wie es aber auch anderen Mannschaften wie zum Beispiel Borussia Dortmund, dem AS Monaco, gewissen englischen Mannschaften und auf andere Weise dem Atlético Madrid geschehen ist.
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