– Echte Synergieeffekte sind unbeachtlich.59 Sie entstehen dadurch, dass der (potenzielle) Erwerber des Unternehmens dieses so geschickt mit seinem Rest-Vermögen verknüpfen kann, dass dadurch ein Mehrwert durch Kostenersparnisse und/oder Erlössteigerungen entsteht („1 + 1 = 3“60-Effekt). Typische Synergien bestehen z.B. darin, dass der Erwerber durch den Hinzuerwerb seine Marktmacht stärken und die Einkaufspreise für Waren drücken kann, die das erworbene und die bereits in seinem Eigentum befindlichen Unternehmen zur Produktion benötigen. Diese Synergieeffekte stehen dem durchschnittlichen Marktteilnehmer nicht offen. Sie sind untypisch.
– Unechte Synergieeffekte sind zu berücksichtigen. Diese entstehen auf der Erwerberseite dadurch, dass der Erwerber bestimmte (offensichtliche) Fehlallokationen im Unternehmen entdeckt und behebt – sofern sie auch von den meisten anderen Marktteilnehmern aufgespürt und beseitigt würden. Ein Beispiel für solche unechten Synergien wäre das unorganisierte Zahlungswesen des Unternehmens, das dazu führt, dass zahlreiche Kundenrechnungen verschlampt und nicht nachverfolgt und Lieferantenrechnungen nur mit erhöhten Säumnis- und Verspätungszuschlägen bezahlt werden. IDW S 1 i.d.F. 2008 fordert jedoch objektivierungsverschärfend, dass unechte Synergien nur dann zu berücksichtigen sind, wenn „die Synergie stiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.“61
– Hinsichtlich der besten Alternativrendite geht das IDW davon aus, dass die Mehrheit der Staatsbürger Geld gespart hat und nicht verschuldet ist. Kommt es deshalb zur Unternehmenstransaktion, so wird der Käufer den Kaufpreis von seinem Ersparten nehmen und der Verkäufer den bezogenen Kaufpreis anlegen. Hinsichtlich der (aufzulösenden bzw. vorzunehmenden) Geldanlage ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Sparer ihr Geld in einer Mischung aus festverzinslichen Wertpapieren und Aktien investiert. Es ist deshalb eine Mischrendite heranzuziehen. Zwar spricht IDW S 1 i.d.F. 2008 von der Alternativrendite als der „Rendite einer Anlage in Unternehmensanteile“62, zugleich soll zur Ermittlung dieser Rendite jedoch das Capital Asset Pricing Model (CAPM) herangezogen werden,63 das letztlich auf der Annahme beruht, dass risikoscheue Investoren ihre Anlage in das effiziente Aktienportfolio (Marktportfolio) mit festverzinslichen Wertpapieren höchstmöglicher Bonität (Staatsanleihen) kombinieren.64
– Der Unternehmenscashflow ist für den Investor nur insoweit relevant, als er ihn auch konsumieren kann. Da die darauf zu zahlende Einkommensteuer den für den Konsum zur Verfügung stehenden Betrag mindert, ist der Nettocashflow sowohl des zu bewertenden Unternehmens als auch der der Alternativanlage um die Einkommensteuerbelastung zu vermindern.65 Im Rahmen der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts typisiert IDW S 1 i.d.F. 2008 die zu berücksichtigende Einkommensteuerlast in Abhängigkeit vom Bewertungszweck:– Wird der Wirtschaftsprüfer als neutraler Gutachter aufgrund „unternehmerischer Initiativen tätig“66 (z.B. für Kreditwürdigkeitsprüfungen und fairness opinions), so wird der ermittelte Wert (noch) nicht unmittelbar zahlungsrelevant. Der Bewerter kann dann aus Vereinfachungsgründen auf eine Berücksichtigung der Einkommensteuer verzichten (mittelbare Typisierung der Einkommensteuerlast).67– Muss der Unternehmenswert einer Kapitalgesellschaft dagegen aufgrund gesellschaftsrechtlicher oder vertraglicher Anlässe ermittelt werden und wird seine Höhe zahlungsrelevant (z.B. squeeze out), darf der Bewerter typisierend unterstellen, dass die (potenziellen) Investoren als natürliche Personen dem deutschen Einkommensteuerrecht unterliegen und unbeschränkt steuerpflichtig sind,68 so dass grundsätzlich die Nettocashflows in Form von Dividenden und Zinseinnahmen dem Abgeltungsteuersatz von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag69 unterliegen – während auf eine Berücksichtigung der Kirchensteuer verzichtet wird, weil ihre Entstehung vom individuellen Einzelfall abhängt (unmittelbare Typisierung der Einkommensteuerlast70). Allerdings sind für die Bestimmung der „Effektivbesteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen zusätzliche Annahmen“71 (z.B. über die Länge der Haltedauer und die Höhe der Wiederanlagerendite im Unternehmen) zu treffen.– Die Typisierung ist grundsätzlich unzulässig, wenn ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft zu bewerten ist. Dann müssen die persönlichen Ertragsteuern stets individuell ermittelt und berücksichtigt werden.72
II. Anwendung auf den Fall: Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts der Kanzlei „Tippe“
Im Bewertungsfall „Tippe-Neumeier“ sind zahlreiche Käufer und Verkäufer involviert. Gleichzeitig ist der Wert des Anteils, der auf den einzelnen (potenziellen) Investor entfällt, relativ klein. Die umfassende Ermittlung der subjektiven Grenzpreise und das Festlegen angemessener Schiedspreise ist – sofern es überhaupt möglich ist – mit sehr hohem Zeit- und Kostenaufwand verbunden. Es bietet sich daher an, eine objektivierte Unternehmensbewertung durchzuführen und auf diesem Wege einen typisierten Unternehmenswert zu bestimmen.
Bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts ist die aktuelle Unternehmenssituation zugrunde zu legen. Aus ihr resultiert ein Nettocashflow von 25 000 Euro. Die von den Neumeiers geplante Strategieänderung hat noch keinen Niederschlag im aktuellen Unternehmensgeschehen gefunden. Sie besteht nur in den Köpfen der potenziellen Investoren und lässt sich nicht justiziabel beziffern. Sie wird daher nicht berücksichtigt. Auch die Möglichkeit zur Mietersparnis, die sich der neuen Käufergruppe aufgrund ihrer spezifischen Situation eröffnet, bleibt unbeachtet. Der durchschnittliche Kapitalmarktteilnehmer könnte sie nicht realisieren.
Dafür werden die von den Tippes nicht gezogenen Honorare der Sportvereine in die Ermittlung des zukünftigen Cashflow einbezogen, wenn sie „im Unternehmenskonzept dokumentiert sind“73. Es handelt sich bei ihnen um unechte Synergien, die – neben den Neumeiers – auch jeder andere durchschnittliche Marktteilnehmer realisieren könnte. Der Nettocashflow ist folglich um 5 000 Euro zu erhöhen und beträgt damit für den Prognosezeitraum 30 000 Euro jährlich. Aus Vereinfachungsgründen wird in diesem Fall noch von Unternehmen- und Einkommensteuern abstrahiert.
Der Nettocashflow ist mit der Rendite zu diskontieren, die ein durchschnittlicher Marktteilnehmer aus einem Mischportfolio aus festverzinslichen Wertpapieren und Aktien erzielen könnte. Sie ist im Sachverhalt mit 8,5 % angegeben.
Unter diesen Bedingungen ermittelt sich der objektivierte Unternehmenswert i.H.v. 352 941 Euro:
Achten Sie darauf: Der objektivierte Unternehmenswert ist eine Verlegenheitslösung. Er erhebt nicht den Anspruch, für den einzelnen (potenziellen) Investor einen ökonomisch fundierten und relevanten Wert zu bestimmen. Dies zeigt sich auf eklatante Weise, wenn man den objektivierten Unternehmenswert mit den Grenzpreisen aus Fall 2 vergleicht, die sich ergaben, als nur Tippe (Verkäufergrenzpreis 500 000 Euro) und Neumeier (Käufergrenzpreis 700 000 Euro) die Investoren waren. Wäre der objektivierte Unternehmenswert in diesem Fall angewandt worden, so hätte dieser Wert den Verkäufer Tippe extrem benachteiligt. Aber auch im Falle der Käufergruppen Tippe-Neumeier erhält Tippe Senior am Ende des Tages deutlich zu wenig, denn auch hier errechnet sich seine Vergütung nur als Bruchteil aus dem – aus seiner Sicht – viel zu niedrigen objektivierten Unternehmenswert. Augenfällig ist zudem, dass bei Verwendung dieses neutralen Gutachterwerts die Verkäufer niemals an den Synergien der Käufer partizipieren.
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