Gewalt, Thronfolge und Gedächtnis
Bayezids Herrschaft begann mit den Siegen seines Vaters Murad an der Mariza (1371) und auf dem Kosovo (1389), die noch heute in West und Ost nachwirken. Das slawische Königreich von Stefan Dušan zerbrach, als sein Sohn einige Monate nach der Mariza-Schlacht kinderlos starb. Unter den slawischen Fürsten hatte König Sigismund von Ungarn Zuspruch, andere aber traten in osmanische Dienste. Ihre Loyalität belohnte Bayezid, indem er Olivera heiratete, die Tochter von König Lazar, der sein Leben auf dem Kosovo verloren hatte. Die türkischen Emire von Kleinasien, Galatien und Kappadokien fanden sich mit einem Mal hin- und hergerissen zwischen Bayezid im Westen, den Mamluken-Sultanen im Süden und Timur im Osten. Unter diesen Umständen sahen viele ihre beste Hoffnung auf Unabhängigkeit in der Unterstützung für Kadı Burhanettin, den Philosophensultan von Sivas. Er herrschte über ein hoch zivilisiertes Sultanat, ein würdiger Nachfolger der persisch beeinflussten Kultur der seldschukischen Jahrhunderte. 3
Osmanische Sultane des neunten islamischen Jahrhunderts
Bayezid I. |
1389–1402 |
Mehmed I. |
1413–1421 |
Murad II. |
1421–1451 |
Mehmed II. „der Eroberer“ |
1451–1481 |
Bayezid II. |
1481–1512 |
In Bayezids Augen bestand die beste Absicherung gegen Gefahren aus dem Westen wie aus dem Osten in der Eroberung Konstantinopels. Die Stadt wäre eine praktisch uneinnehmbare Festung, sollte sie abermals die Hauptstadt eines Reiches werden, das sich zu beiden Seiten der Meerenge erstreckte. Wenn Konstantinopel erobert war, konnte Bayezid alles andere einbüßen, diese Stadt aber würde er nicht wieder verlieren. 4So lautete eine Lektion der Geschichte des späten Byzanz, dessen Langlebigkeit bei Weitem alles übertraf, was man angesichts seiner zerrütteten Politik hätte erwarten können. Bayezid warf sein Gewicht im byzantinischen Erbfolgestreit in die Waagschale; er nahm das christliche Philadelphia (Alaşehir) ein und zwang die türkischen Ritter der Ägäis, ihre Lehen ein weiteres Mal aus seiner Hand zu empfangen. Er erreichte die widerwillige Huldigung durch Kastamonu und andere Emirate. Aber im Sommer 1391 wurde Bayezid von Burhanettin in der Schlacht besiegt. Kurz darauf rückte Timur von Osten her vor. Weil er den Ernst der Lage erkannte, versuchte Bayezid seinen eigenen Kredit im Osten zu sichern, indem er die Mamluken um Hilfe ersuchte. 5Dann begann er mit der Belagerung von Konstantinopel.
Es war eine Strategie mit gewaltigen potenziellen Vorteilen und keinem offensichtlichen Nachteil. Bayezid erbaute am Bosporus, acht Kilometer oberhalb von Konstantinopel auf der asiatischen Seite der Meerenge, eine Festung und belegte die Stadt mit einer Dauerblockade. Sie zeigte Wirkung. Als der Preis des aus Venedig importierten Getreides in die Höhe schoss, sah sich der griechische Adel in der Stadt gezwungen, an Profiteure zu verkaufen. Viele zogen weg. 6Doch die Stadt selbst hielt sich allen Entbehrungen zum Trotz. Während die Belagerung fortgesetzt wurde, unternahm Bayezid weit ausgreifende Feldzüge nach Westen und Norden, bis nach Temesvár und Belgrad. Er eroberte Nikopolis, erzwang die Unterwerfung der Walachei und besiegte eine Allianz christlicher Könige, die im Nikopolis-Kreuzzug von 1396 von Ungarns König Sigismund angeführt wurden. Die Niederlage hatte zur Folge, dass die Osmanen Vidin am Schwarzen Meer eroberten und den Unterlauf der Donau kontrollierten. Der nach wie vor mächtige Evrenos, einer der Eroberer Thrakiens unter Murad, unternahm für Bayezid Feldzüge in Epirus, Griechenland und auf der Morea (Peloponnes). Von ihrem Stützpunkt in Gallipoli aus patrouillierten Bayezids Galeeren im Mittelmeer. Doch all das genügte nicht. Die letzten Bollwerke gegen Timur fielen, als der Mamluken-Sultan starb und Kadı Burhanettin im Kampf fiel. Bayezid würde ins Feld ziehen, um sich Timur zu stellen, ohne die Kaiserstadt in seiner Gewalt zu haben.
Falls Timur überhaupt einen Plan hatte, der über Plündern und Brandschatzen und das abenteuerliche Leben auf einem nicht endenden Feldzug hinausging, so scheint er sich eine Wiederholung der Laufbahn Dschingis Khans und eine Wiederherstellung von dessen Tributreich vorgestellt zu haben. Bayezids Tributforderungen an seine Vasallen lieferten Timur den Vorwand, im Sommer 1400 anzugreifen. 7Bayezid ging ein kalkuliertes Risiko ein, indem er einen seiner Söhne nach dem von Timur belagerten Sivas entsandte, während er selbst einstweilen vor den Mauern Konstantinopels verblieb. Die osmanischen Heere trafen zu spät vor Sivas ein, dessen Stadtväter lebendig begraben wurden. In jenem Winter fielen Aleppo, Diyarbakır, Homs, Hama und Baalbek allesamt an Timur. Als Strafe für seinen Widerstand wurde Damaskus geplündert und seine Bevölkerung massakriert. Angesichts wenig beneidenswerter Optionen – Timurs Grausamkeit auf der einen Seite, Bayezids autoritärer Interventionismus und taktische Risikofreude auf der anderen – unterwarfen sich viele türkische Emire Timur in der Hoffnung, er werde die Osmanen schwächen und ihnen selbst bliebe das Schicksal von Sivas erspart. Ihr Abfall war entscheidend für die vernichtende osmanische Niederlage bei Ankara am 28. Juli 1402. Bayezid wurde gefangen genommen und starb in der Gefangenschaft. Timurs Armeen verheerten Kleinasien bis zur Ägäis. 8
Jede ernsthafte Hoffnung auf Unabhängigkeit, die jene türkischen Emire gehegt haben mochten, welche sich auf Timurs Seite geschlagen hatten, wurde zuerst durch seine exorbitanten Tributforderungen und die willkürliche Zerstörung ihrer Besitztümer, später durch das Überleben von Bayezids Söhnen zunichte gemacht. Auch westlich der Meerenge entstand den Osmanen kein ernsthafter Herausforderer, sodass die Tatsache, dass Bayezids Erben noch lebten, bedeutete, dass die türkischen Emire dem Untergang geweiht waren. Keiner verstand es, nach Timurs Tod im Jahr 1405 Kleinasien zu vereinigen. Kaiser Manuel II. von Konstantinopel spielte eine größere Rolle als zuvor, aber letztendlich richtete er kaum mehr aus, als den unvermeidlichen Konflikt zwischen den osmanischen Prinzen in die Länge zu ziehen.
Das Kriegsdrama zwischen Bayezids Söhnen, das mit Unterbrechungen 20 Jahre lang wütete, 9führte paradoxerweise zu einer neuerlichen Stärkung der osmanischen Einheit. 10Die Frage lautete, ob die Osmanendynastie noch über devlet verfügte, jene magische Eigenschaft innerer Autorität, die stets ein göttliches Geschenk war. 11
Zwei der Brüder, Musa und Mustafa, waren von Timur zusammen mit ihrem Vater gefangen genommen worden. Musa wurde freigegeben und brachte Bayezids Leiche heim, aber Mustafa hielt man in Samarkand zurück. Nach zwei Jahren verwirrender Kämpfe war der älteste Bruder Isa tot. Mehmed hatte sein Hauptquartier in Tokat und kontrollierte die galatische Hochebene. Musa mit dem Leichnam ihres Vaters stand unter seiner Aufsicht. Die stärkste Position hatte mit den beiden osmanischen Hauptstädten Bursa und Edirne Süleyman inne. Er traf eine Abmachung mit Genua und Konstantinopel und schloss Frieden mit Venedig. Mustafa war anscheinend in Samarkand und außer Reichweite.
Im Jahr 1409 ging Mehmed in die Offensive. Er hatte mehrere Verbündete unter den türkischen Emiren und stützte sich außerdem auf den christlichen Fürsten der Walachei – all diese Bündnisse wurden durch Ehen besiegelt. Nun entsandte er Musa gegen Süleyman in Edirne, während er selber Bursa angriff. Zu einem Krieg an zwei Fronten gezwungen, konnte Süleyman keine der Städte verteidigen und verlor alle beide – Musa eroberte Edirne, Mehmed eroberte Bursa, und Süleyman starb auf der Flucht. 12Doch für Musa lief es in Edirne nicht gut. Seine kurze Herrschaft über die Stadt war ein Muster an Inkompetenz. Er belagerte Konstantinopel, doch seine übergriffige Bürokratie und seine persönliche Rachsucht verprellten just jene türkischen Plünderer, die er brauchte. Verbündete und Untergebene gleichermaßen liefen zu Mehmed über, der Musa im Juli 1413 angriff, ihn besiegte und tötete. 13
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