»Vielen Dank.« Etwas zögerlich setzte sich Beatrice. Auston tat es ihr nach. Er war ihr so nahe, dass sie seine Körperwärme spüren konnte. Sie wunderte sich, dass es sie weder ängstigte noch abstieß, so dicht neben einem Mann zu sitzen.
Plötzlich kam Beatrice ein Gedanke: »Wieso glauben Sie, dass dies mein Platz ist?« Irritiert schaute sie ihn an. »Mir war nicht bewusst, dass noch jemand diesen Pfad hier herauf kennt.«
»Oh, bis heute kannte ich ihn auch nicht«, sagte er mit einem Augenzwinkern. Ihre Verblüffung schien ihm Spaß zu machen.
»Sie machen sich über mich lustig!« Jetzt wurde Bea langsam wütend.
»Nein, nein, nichts liegt mir ferner«, sagte er lachend. »Ich habe ein Fernglas!«
»Ein Fernglas? Wie meinen Sie das? Haben Sie mich damit etwa beobachtet?« Bea bekam einen roten Kopf. »Haben Sie nichts anderes zu tun, als harmlose Menschen mit einem Fernglas zu beobachten? Und wieso habe ich Sie nicht gesehen?«
»Aha! Wer hat nun wen beobachtet?«
»Das war etwas ganz anderes. Ich habe Ihr Haus angeschaut, ich wusste ja gar nicht, dass Sie da sind.«
»Also bedeutet das doch, wenn Sie gewusst hätten, dass ich da bin, hätten Sie mich beobachtet?«
Bea schaute ihn entrüstet an. Doch dann sah sie den verschmitzten Ausdruck in seinen Augen und musste einfach loslachen. »Sie sind so durchtrieben, Lord Auston. Vor Ihnen muss man sich in acht nehmen.«
»Ich befürchte, meine Erziehung wurde sträflich vernachlässigt.« Er ließ den Blick sinken und schüttelte den Kopf, als ob er am Boden zerstört wäre.
Bea schaute ihn streng an: »Mit diesem Benehmen können Sie mich nicht mehr täuschen! Ich habe Sie durchschaut! Sie sind ein ganz durchtriebener Mensch. Wie mein Mann!«
Jetzt schaute Jake sie fast verärgert an. Sie bemerkte sofort, dass es diesmal ernst war. »Tun Sie mir bitte den Gefallen und vergleichen Sie mich nie mehr mit Ihrem Mann. So wie ich Ihren Mann kennengelernt und was ich über ihn vernommen habe, ist er der letzte Mensch, mit dem ich verglichen werden möchte.«
Beatrice sah Auston erschrocken an und sagte leise: »Ehm, bitte verzeihen Sie. Ich wollte Sie nicht verletzten. Sie haben in keiner Weise Ähnlichkeit mit meinem Mann! So habe ich das nicht gemeint.« Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel und wunderte sich über seine vehemente Reaktion.
Zu ihrem großen Erstaunen sagte er: »Ihnen verzeihe ich immer!«, und sah ihr dabei direkt in die Augen. Beatrice fand, er hatte die schönsten Augen, die sie je gesehen hatte. Dieses Braun war so dunkel, dass es manchmal fast schwarz wirkte. Die langen Wimpern verstärkten diesen Eindruck noch. So in ihren Gedanken versunken wurde sie erst wieder durch sein leises Lachen in die Wirklichkeit zurückgerufen. Sie erschrak, da ihr bewusst wurde, dass sie ihn die ganze Zeit angestarrt hatte. Schnell schaute sie weg, ihre Wangen färbten sich dunkelrot. Sie murmelte: »Verzeihung, ich bin noch nicht ganz ich selbst.«
»Wie meinen Sie das? Waren Sie krank?«
Beatrice überlegte kurz: »Ehm … Ja, ich war krank. Dies ist mein erster Spaziergang seit Langem. Und … Ich muss jetzt wirklich gehen, sonst machen sich alle Sorgen.«
»Wer macht sich denn die Sorgen? Ihr Mann?« Jake zog zweifelnd eine Augenbraue nach oben.
»Reden Sie nicht so mit mir. Können Sie sich nicht vorstellen, dass sich jemand um mich Sorgen macht?« Bea schaute ihn entrüstet an.
»Jetzt muss ich mich wohl entschuldigen?«
»Ja, das müssen Sie! Das war sehr unschön von Ihnen.« Bea schniefte laut und wenig damenhaft.
»Ich bin so ein Tölpel! Aber eines kann ich Ihnen sagen. Wenn Sie meine Frau wären, würde ich mir Sorgen machen.«
»Ich bin aber nicht Ihre Frau und deshalb dürfen Sie sich keine Sorgen machen. Wenn wir Freunde wären, ja dann vielleicht.« Jake bedachte Beatrice mit einem Lächeln: »Können wir Freunde werden?«
Sie sah ihn forschend an: »Geht das denn? Wir kennen uns ja kaum.«
»Wir können uns ja kennenlernen. Nur glaube ich, dass Ihr Mann dies nicht gut finden würde.«
»Oh, er ist zurzeit nicht da«, sagte Bea freudig. Doch sogleich wurde ihr bewusst, dass ihre Freude darüber möglicherweise einen befremdlichen Eindruck auf Lord Auston machen könnte und fügte rasch hinzu: »Nun, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich freue mich natürlich nicht, dass mein Mann weg ist. Ehm …, sondern dass er sich freut, nicht hier zu sein. Nein, also… Es ist doch schön für ihn, wenn er…«
Jake lächelte: »Oh, ich verstehe Sie sehr gut. Es ist schön für ihn, mal unterwegs zu sein.«
Bea nickte erleichtert: »Ja genau! Das ist es.«
»Lady Michael, ich glaube, Sie sollten jetzt wirklich wieder zurückgehen. So langsam wird es kühl hier oben. Nicht, dass Sie wieder krank werden.«
Bea stand schnell auf. »Sie haben recht, ich muss jetzt wirklich nach Hause. Sophia macht sich sicherlich schon Gedanken um mich.«
»Wer ist Sophia? Ihre Gesellschafterin?«
Bea musste lachen. »Sie ist meine Zofe und gleichzeitig meine beste Freundin. Das kommt Ihnen sicher seltsam vor. Doch so ist es.«
»Es kommt mir nicht seltsam vor. Es ist schön, dass Sie eine Freundin haben.« Er zog seine Jacke wieder an und half Beatrice über die Steine hinweg zurück auf den Weg. Langsam gingen sie auf dem schmalen Pfad hintereinander den Hügel hinunter. Als die Sträucher sich teilten und sie auf der Wiese ankamen, trennten sich ihre Wege. Beide spürten ein leichtes Bedauern.
Gedankenversunken ging Jake zu seinem Vollblut, das er unterhalb des Hügels festgemacht hatte. Beschwingt bestieg er sein Pferd und ließ es in einen leichten Galopp fallen. Sein Herz tat einen Sprung, als das Haus, sein Haus am Ende der Allee, in Sicht kam. Bei den Ställen übergab er einem Knecht die Zügel und ging ins Haus, um in der Bibliothek ein Glas Cognac zu genießen. Er wollte jetzt unbedingt noch einen Moment für sich sein. Noch in Reitkleidung setzte er sich vor den Kamin, in dem ein wärmendes Feuer brannte, und machte es sich gemütlich.
Nachdenklich sah er in die tänzelnden Flammen. Wie schnell sich das Leben doch änderte! Noch vor ein paar Wochen wohnte er in London im Haus seiner Eltern, und jetzt saß er hier auf dem Land und war ein vermögender Gutsbesitzer.
Vor drei Monaten hatte ihn die Nachricht über eine Erbschaft erreicht. Ein entfernter Onkel ohne eigene Nachkommen vermachte ihm sein gesamtes Vermögen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er keine Kenntnis von diesem Verwandten gehabt. Auch seine Eltern waren erstaunt. Seit Jahren war der Kontakt zu diesem Cousin seiner Mutter abgebrochen. So waren sie davon ausgegangen, dass er längst verstorben sei. Natürlich freuten sie sich für ihren Sohn und waren dem alten Lord sehr dankbar. Jake verfügte nun über ein großes Anwesen und ein beträchtliches Vermögen und war daher gut versorgt.
Jake schüttelte immer noch erstaunt den Kopf über die Wendung in seinem Leben. Die letzten Tage waren nur so verflogen. So viel Neues war auf ihn zugekommen. Eines hatte er gleich bemerkt: Die Menschen, mit denen er auf dem Gut zu tun hatte, waren alle äußerst freundlich und hatten sehr schnell herausgefunden, dass ihr neuer Dienstherr genauso um ihr Wohl besorgt war wie sein Vorgänger. Manche der Pächter probierten natürlich aus, wie weit sie Jakes Unerfahrenheit ausnutzen konnten. Doch Jake kannte solche Typen noch vom Krieg her, als er als Offizier eine Kompanie zu befehligen hatte. Die Untergebenen versuchten sich gern mal darin, wie weit sie bei ihren Vorgesetzten gehen konnten. Daher machte er ihnen sehr schnell klar, dass er sie sofort durchschaut hatte. Er nahm es ihnen nicht übel, lachte, schlug ihnen auf die Schulter und sagte: »Na, versuchen kann man es ja mal.«
Das imponierte ihnen mächtig und nahm ihn sehr für sie ein. Bei der nächsten Begegnung zogen sie dann höflich ihre Mütze. Jake musste lächeln, wenn er an diese erste Zeit dachte. Jeden Tag hatte er mit seinem Verwalter zusammengesessen. Viel gab es zu lernen. Dabei wurde ihm bewusst, wie langweilig sein Leben bisher gewesen war. Wie sehr ihm eine wirkliche Aufgabe gefehlt hatte.
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