Das Telefon klingelt.
Der Hans nimmt den Hörer ab.
- Und? Weißt Du es inzwischen?
- Na klar!
War ihm beim Titel-Tippen doch eben eingefallen, wer das nur sein konnte, der da 100 wird:
Wilhelm Pieck
Komma
Präsident a. D.
der Deutschen Demokratischen …
- Also bist du das wirklich???
- Was bin ich?
- Na, der Kleine auf dem Foto von damals …
- Ach so …“
Und da nun ahnt unser Hans auch gleich, was der Mann am anderen Ende der Leitung wohl meint.
- Das haben wir im Archiv gefunden und dann in die Zeitung gesetzt. Mit der Frage dazu: ‚Wer ist dieser kleine Junge?’
Woraufhin unser Hans, mit Schmunzeln im Blick, das erwidert:
- Eine Art Steckbrief sozusagen!
Am anderen Ende der Leitung lacht es kurz.
- Ja, das war ich …
Das spricht unser Hans dann und spürt nun doch eine Art von Stolz in sich aufsteigen. Sagt aber gleich erst mal wieder das:
- Bitte später noch mal … Ich muss noch … Ist doch gleich Abgabe-Termin …
Der Hans legt wieder den Hörer auf, tippt fleißig weiter und fragt sich dabei bissel belustigt das:
- Woher weiß das mein Telefon?
Klingt ja inzwischen wie Alarm-Leuten, dieses Klingeln immer wieder! War ihm da nämlich eben das durch den Kopf geschossen: Wie da gestern einer der Genossen auf der Redaktions-Konferenz wieder mal so bissel rum gemeckert und also vorgeschlagen hatte, doch endlich mal darüber zu reden, wie das gehen könne: Die Zeitung so zu machen, dass sie dann auch wirklich gelesen wird. Und wie da dann die Stellvertretende Chefredakteurin aber gleich dazwischen gefunkt und bissel genervt das gesprochen hatte:
- Rollt der schon wieder diese Bombe über den Tisch!
Um dann kurz nur anzufügen:
- Schluss mit der Debatte!
Wussten doch alle hier am Tisch, dass da Vieles viel besser und ganz anders gemacht werden müsste, wenn die Zeitung wirklich gelesen werden sollte. Was aber auch alle am Tisch wussten: Dass das nie nicht ausgesprochen werden durfte! Jedenfalls in Sitzungen nicht.
Um Gottes, respektive Erichs Willen! 10
Das Telefon klingelt.
Der Hans nimmt wieder ab.
- Hättest du denn am Wochenende mal Zeit?
- Zeit? Wofür?
- Na, mal wieder her zu kommen nach Frankenberg …
- Und: Warum?
- Feierstunde für den Genossen Pieck!
- Ach so …
- Wenn wir Dich doch jetzt gefunden haben – war ganz schön schwer …
- Und wie: Gefunden?
- Deine Tante hat Dich auf dem Foto erkannt …
- Aha. Na da … Muss ich wohl kommen!
- Na dann: Bis dann!
Berichten wir also nun, liebe Leserin, lieber Leser, wie da was abgegangen war, als unser Hans in seine frühe Kindheit zurück reiste … Siehe nächste Geschichte!
- Wann kommd der denne endlisch, der Ongel Bieg?!? 11
Das fragt der Seppel in der Sprache seiner Heimat wieder und wieder seine Gute Mutt’l, die da blau beblust vor ihm steht. (während wir das, was da auf Sächsisch gesprochen wird, für die Nicht-Sachsen unter den Lesern gleich mal ins Hohe Deutsche übersetzen – Original-Sprache: siehe unten!)
- Bald, Seppel, bald!
So tröstet die Mutt’l ihren Sepp’l, der mit ihr seit Stunden schon auf der „Jahn-Kampf-Bahn“ in seiner kleinen Heimatstadt Frankenberg/Sachsen rum steht und da nichts Anderes zu tun hat, als das:
Warten!
Warten!!
Warten!!!
Auf den Größten Onkel des ganzen Landes, der heute, am 1. Mai (da noch „Kampftag der Arbeiterklasse“) von der (da noch) Großen Hauptstadt ihres (da noch) Großen Landes her zu ihnen in die kleine Stadt nach Sachsen angereist kommen wird. Schon die Tage zuvor hatte die Mutt’l zu ihrem Seppel ja immer das gesprochen:
- In drei Tagen kommt er! 12
- Nur noch zwei Tage! 13
- Morgen ist es so weit! 14
Heute nun endlich! Gleich früh am Morgen hatte die Mutt’l sich in ihre frisch gebügelte FDJ-Bluse gesteckt, hatte auch ihren Seppel hübsch bissel rausgeputzt, ihn dann bei der Hand und mit nach hier zur „Jahn-Kampf-Bahn“ hin genommen. Und hier nun stehen und stehen sie also mit den vielen, vielen anderen Leuten der Stadt seit Stunden rum und haben dabei immer nur das zu tun:
Warten!
Warten!!
Warten!!!
Und neben der Mutt’l vor ihm stehen ja auch noch die vielen anderen blauen jungen Frauen, die sich alle fest bei den Händen halten. Warum, das hatte die Mutt’l ihrem Seppel vorhin so zu erklärt:
- Absperrkette heißt das. 15
Dass also die Leute, die heute alle nach hier ins Stadion gekommen sind, dass die dem Hohen Onkel nicht etwa zu nahe treten oder ihm gar etwas antun tun! Umbringen oder so …
Bis dass es passiert!!!
Aufregung vorne beim Stadion-Tor! Der Seppel guckt aufgeregt hin und sieht da auch gleich, wie sich die Onkels dort berappeln und stramm in einer Reihe aufstellen. Wer das ist, das hatte ihm die Mutt’l vorhin so erklärt:
- Die wichtigsten Onkels von der ganzen Stadt sind das!
Bürgermeisters, oder wie die heißen. Und ihre Dieners oder so … Und schon auch rollen Autos ins Stadion ein. Und was das für Autos sind! So groß und so schwarz! Und wie viele das sind! Und die Leute im Stadion: Wie die toben! In die Hände klatschen und klatschen sie und rufen alle zusammen immer wieder:
- Hoch!
– Hoch!!
– Hoch!!!
Und wie laut die das schreien!
Der Seppel horcht und guckt aufgeregt hin, sieht, wie die Autos anhalten, sieht Leute in schwarzen Anzügen aussteigen. Und was das nun wieder für Leute sind, das hatte ihm die Mutt’l ja auch noch mit erklärt:
- Die allergrößten Onkels vom ganzen Land sind das! 16
Und da sieht der Seppel dann endlich auch den Onkel aus dem Auto steigen, auf den er seit Tagen so sehr zu warten gehabt hatte. Den Allerobersten Groß-Onkel vom ganzen Land:
Onkel Pieck!
Und wie wichtig der aus dem Auto steigt! Als wie:
- Guckt mal: Ich bin da!
Und wie die Onkels, die da vor ihm aufgestellt sind, wie die gleich Alle losklatschen! Als wie:
- Ja, wir sehen es!
Und wie auch die anderen Leute im Stadion da mitmachen und wie verrückt die alle klatschen tun!
Jubel!
Jubel!!
Jubel!!!
Und da nun jubelt natürlich auch der Seppel mit. Hüpft und hupft und klatscht und klatscht dabei in seine kleinen Hände. Ganz so, wie es ihm die Mutt’l vor sich vormacht. Und wie die sich jetzt jubeln und klatschen und die Arme zum Winken hoch reißen lässt! Ganz außer sich ist sie! Und da ist das der Seppel natürlich auch: Außer sich!
Bis dass er auf einmal das sieht: Die Absperr-Kette vor ihm, sie hat ein Loch!
Wie die Mutt’l nämlich so närrisch klatscht und winkt, da kann sie doch die beiden Frauen neben sich gar nicht mehr bei den Händen halten, wie bis eben noch! Geht doch gar nicht!
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