Wieder griff sie nach meiner Hand. »Hörst du das?«
Ich lauschte und vernahm nur das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.
»Die Wachen kommen. Sie müssen von deiner Ankunft Wind bekommen haben.«
Vor einem Teppich sank sie auf die Knie und rollte ihn zur Seite. Eine Falltür kam zum Vorschein und wurde geöffnet.
»Schnell da runter.«
Ich musste ein paar Mal blinzeln, um zu verstehen, dass sie mich meinte.
»Na los. Sie werden gleich hier sein.«
Ich konnte mich nicht bewegen. Das sollte doch ein Scherz sein. Ich konnte mich nicht in einer Wüstenstadt befinden. Ich war keine Auserwählte und schon gar nicht kämen hier jetzt Wachleute mit Säbeln herein. Wie zur Bestätigung meiner Gedanken krachte die Tür gegen die Wand und eben diese Wachen quollen in den Raum und natürlich hingen Krummsäbel an ihren Gürteln.
Ein irres Lachen stieg in mir auf. Ich musste den weißen Hasen verpasst haben, der mich in den Kaninchenbau gelockt hatte.
Mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck blickte Ayla zu mir hoch und sprang in das schwarze Loch. Vielleicht hätte ich ihr folgen sollen, anstatt den Verstand zu verlieren, denn der schmerzhafte Griff, mit dem ich an die raue Wand gedrückt wurde, vertrieb den Nebel aus meinem Kopf. Mit erschreckender Klarheit drangen die vorher gedämpften Geräusche zu mir durch.
»Schnell, ihr nach!«, brüllte der Mann, der mich an die Wand quetschte. Mit unnötiger Brutalität drehte er mir den Arm auf den Rücken. Ich biss die Zähne zusammen und wimmerte. Ich konnte kaum atmen, so sehr fixierte er mich. Aber den Geruch von Nelken und sein Atem, der nach schwerem Rotwein roch, nahm ich wahr.
Warum war ich nicht in den verdammten Tunnel gesprungen?
Eine Wache steckte den Kopf aus dem Loch im Boden. »Es ist wie in einem Labyrinth da unten. Ich fürchte, sie ist weg.«
»Dann sucht weiter«, schnauzte der Anführer. »Wir bringen diese hier weg.«
Der Druck auf meinen Arm verschwand, dafür stieß man mich Richtung Tür.
»Hören Sie«, wagte ich einen Versuch. »Für wen auch immer Sie mich halten, das ist ein Missverständnis.«
Mit einer Hand am Säbel zerrte er mir Aylas Tuch vom Kopf. Meine blonden Haare kamen zum Vorschein. Die restlichen Männer im Raum sogen den Atem ein und machten ein merkwürdiges Zeichen mit einer Hand.
Dachten die etwa, ich würde sie verhexen oder so? Das war lächerlich. Hatten die noch nie eine Blondine gesehen?
»Du bist eindeutig diejenige, von der unsere Sultanin gesprochen hat. Haar so hell wie die Sonne.« Er machte ebenfalls dieses Zeichen und damit beantwortete sich meine Frage.
Auf der Straße empfingen mich diese trockene Hitze und etliche Menschen, die sich vor dem Haus versammelt hatten.
»Zieh das Tuch über deine Haare«, herrschte mich der Anführer an.
Ich gehorchte. »Wo bringt ihr mich hin? In den Palast zu dieser Sultanin?«
Die Männer lachten freudlos.
»Niemand geht in den Palast.« Damit wurde ich vorwärts geschubst, auf eine Horde Kamele zu, die sorgfältig aufgereiht am Rand der Straße warteten. Der feine Herr Anführer dirigierte mich auf das erste der Tiere zu, über dessen Rücken ein rotes Tuch hing. Ich stemmte die Füße in den Boden. War das sein Ernst? Ich konnte nicht reiten und ich hatte Angst vor Tieren, die größer als mein Kater Charlie waren. Mein Entführer zeigte kein Mitleid mit mir. Ohne Anstrengung setzte er mich auf den Rücken des Kamels und schwang sich hinter mich. Umständlich erhob sich das Tier und ich rutschte gefährlich zur Seite. Mit einem harten Griff wurde ich zurückgezerrt.
»Aber wo bringt ihr mich denn hin?«, versuchte ich erneut mein Glück. »Wenn ihr mich einfach zurück nach Hause schicken könntet, würde ich keinen Ärger machen. Ich verspreche es.« Ich wusste, ich hörte mich weinerlich an, aber das war mir egal. Ich befand mich seit einer halben Stunde hier, wo auch immer hier sein mochte, und hatte schon mehr als genug von diesem Ort.
»Niemand kann dich dorthin zurückschicken, von wo du kamst«, setzte mich mein Begleiter ungerührt in Kenntnis.
Aber das konnte nicht sein. Ich konnte ja schlecht hierbleiben. Ich hatte ein Leben zu Hause. Seit drei Semestern studierte ich alte Sprachen. Ich hatte zwar gerade keinen Freund, der mich vermissen würde und meine Eltern wohnten am anderen Ende des Landes, aber ihnen würde auffallen, wenn ich nicht anrief. Also zumindest in zwei, drei Wochen. Seit meine beste Freundin vor sechs Monaten mit ihrem Liebhaber durchgebrannt und nach Mallorca in ein Ökodorf gezogen war, hatte ich zwar keine Freunde mehr, aber ich musste mich um meinen Kater kümmern. Der Streuner kam zwar alleine rein und raus und sein Futterspender war randvoll …
Okay, das führte zu nichts. Es vermisste mich keiner, es wartete niemand auf mich und mein Kater verschwand oft tagelang, bevor er zum Fressen kam und dann wieder verschwand. Wie kam diese Ayla nur darauf, dass ich hierbleiben und einer mir völlig Fremden helfen konnte? Zumal sie sich aus dem Staub gemacht hatte und ich auf diesem stinkenden Kamel durch die glühend heiße Wüste ritt.
Halt! Stopp! Wo war die Stadt geblieben?
Umständlich verrenkte ich mir den Kopf, um an meinem Entführer vorbei nach hinten zu sehen. Wir mussten vor Kurzem durch das weit offenstehende Stadttor geritten sein und ich hatte es nicht mitbekommen.
»Wo bringt ihr mich hin?«
Ich bekam keine Antwort.
»Ich habe etwas gefragt.« Ich stieß dem Kerl den Ellenbogen in die Rippen. Er zuckte nicht mal.
Ich versuchte es noch ein paar Mal, aber ich bekam nur ein gegrunztes »Sei still«, zu hören.
Schon nach kurzer Zeit spürte ich das erste Prickeln eines beginnenden Sonnenbrandes auf meinen Armen. Nicht nur meine Haare waren hell, auch meine Haut verfügte kaum über nennenswerte Pigmente. Ich versuchte den Schal von Ayla weiter über meine Arme auszubreiten, aber wie sehr ich auch an ihm zerrte, er war zu klein.
»Ich bekomme einen Sonnenbrand«, wandte ich mich nach hinten.
»Was bekommst du?«
»Einen Sonnenbrand. Auf meinen Armen.«
»Du meinst einen Sonnenstich. Auf deinem Kopf«, äffte er meinen Tonfall nach.
»Was? Nein.« Ich sah ihn irritiert an. »Meine Haut wird ganz rot von der Sonne.« Ich zeigte nach oben zum Himmel.
»Wieso tut sie das?«
War das sein Ernst? Bekamen diese Leute hier etwa nie Sonnenbrand? »Ich brauch etwas, um meine Arme vor der Sonne zu schützen.«
»Ich habe nichts und es ist mir auch egal.« Damit schien das Gespräch beendet.
Abwechselnd bedeckte ich die freien Stellen meiner Haut mit den Händen, aber ich konnte sehen, wie meine Arme sich röteten. Wenn diese Barbaren vorhatten, mich in der Wüste auszusetzen, damit ich wie ein Hühnchen im Backofen schmorte, dann würde ich echt sauer.
Bevor die Furcht in mir hochkriechen konnte, tauchte vor uns eine Stadtmauer auf. Sie reichte nicht besonders hoch, dennoch breitete sich Erleichterung in mir aus. Sie würden mich nicht zum Sterben in der Wüste zurücklassen.
In der Stadt bewegten wir uns geradewegs, durch enge Gassen, auf einen freien Platz zu. Hatte zwischen den gedrungenen Häusern noch gespenstische Ruhe geherrscht, so bestand auf dem Markt fleißige Geschäftigkeit. Ein hölzernes Podest am hinteren Rand schien das Ziel der Anwesenden zu sein. Die wenigen umstehenden Buden luden zum Essen ein.
Auf der Plattform versammelte sich eine Reihe Menschen. Die Ketten um ihre Fuß- und Handgelenke ergaben in der ersten Sekunde keinerlei Sinn für mich. Bis mich die Erkenntnis überflutete und mir eiskalt die verbrannten Arme hochkroch.
Ich befand mich auf einem Sklavenmarkt. Ich presste mir die Hände auf den Magen, um die plötzliche Übelkeit einzudämmen. Sie hatten vor, mich zu verkaufen. Auf einem Markt. An andere Menschen. Denen ich dann gehörte.
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